Kritik zu Schwestern – Eine Familiengeschichte

Was bedeutet das: algerische Wurzeln? Die Regisseurin Yamina Benguigui erschließt komplexe Historie in den Schicksalen dreier Schwestern

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Das Wort »Familiengeschichte« lässt oft eine Art Seifenopern-Plot erwarten: Irgendwas mit verschollenen Zwillingsbrüdern, unbekannten Vätern und ungewöhnlichen Großmüttern. Und natürlich ein Geheimnis. Was die französische Regisseurin Yamina Benguigui in »Schwestern« erzählt, erfüllt solche Erwartungen einerseits zur Gänze. Andererseits aber hat die Filmemacherin für ihre autobiografisch inspirierte Geschichte eine ganz eigene Form gefunden, die dem Seifenoperncharakter völlig den Boden entzieht.

Es beginn mit laut streitenden Frauen: Die 40-jährige Norah (Maïwenn) muss aus ökonomischen Gründen, sie ist gerade arbeitslos geworden, wieder bei ihrer Mutter Leila (Fattouma Ousliha Bouamari) einziehen. Die älteren Schwestern Djamila (Rachida Brakni) und Zorah (Isabelle Adjani) helfen zwar, aber aus den Aggressionen und Vorwürfen, die diese vier erwachsenen Frauen gegeneinander erheben, ergibt sich das Bild einer doch zugleich zerrütteten Familie. Die als Bürgermeisterin erfolgreiche Djamila, im Alter die mittlere, straft sowohl ihre ältere Schwester Zorah, die Theaterstücke schreibt, als auch die jüngere Norah, die noch nie einen Job behalten konnte, mit Verächtlichkeit. Mutter Leila stellt infrage, was sie für die Töchter alles geopfert hat. Norah schließlich meint, dass ihre Probleme im Leben ihren Ursprung in der Scheidung der Eltern haben: Ihre Mutter hätte den Vater nicht verlassen dürfen.

Nach und nach klärt sich, was in dieser Familie vorgefallen ist: Mutter Leila war im algerischen Widerstand. Den Vater ihrer Töchter hat sie dort kennengelernt. Sie ging mit ihm ins Exil nach Frankreich, wo aus dem Helden des Unabhängigkeitskriegs ein prügelnder Ehemann wurde. Als sie sich von ihm trennte, entführte der Vater Norah und den noch jüngeren Sohn Redah zurück nach Algerien. Die kleine Norah konnte Leila irgendwann »zurückrauben«, aber von Redah verloren sich die Spuren.

Benguigui erzählt von diesen Traumata auf drei verschiedenen Ebenen. Das eine sind die direkten Gespräche zwischen Schwestern und Mutter, das andere sind Rückblenden in die Zeit des Unabhängigkeitskrieges und der Kindheit der Schwestern, und die dritte Ebene ist die Inszenierung eines Theaterstücks, bei dem Zorah Regie führt und für das sie die Vorlage geliefert hat. Darin schlüpft ihre eigene erwachsene Tochter Farah (Hafsia Herzi) in die Rolle Leilas. Als sie davon erfahren, wehren sich Schwestern und Mutter heftig gegen diese Art des Pu­blikmachens ihrer Geschichte.

Was kompliziert klingen mag, entfaltet sich auf der Leinwand auch dank der wunderbar ausdrucksstarken Schauspielerinnen mit großer Natürlichkeit und interessanten Brechungen. Wer hier was wie erinnert und, vor allem, was sie dabei fühlen, kommt auf großartige Weise zur Geltung. Und als die Schwestern schließlich gemeinsam zu einem Besuch nach Algerien aufbrechen, findet Benguigui noch Gelegenheit, das spannungsreiche Verhältnis zwischen »Exilanten« und Daheimgebliebenen zu thematisieren. Ein kleines Filmjuwel.

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