Netflix: »Too Much«
© Ana Blumenkron/Netflix
Die eigenen Lebenserfahrungen als Vorlage zu nehmen für die künstlerische Erfahrung, das hat Lena Dunham von Beginn ihrer Karriere an cleverer und schonungsloser getan als andere, sowohl in ihrem Debütfilm »Tiny Furniture« als auch in »Girls«. Nach dem Ende jener stilprägenden Serie, die gefeiert, aber auch angefeindet wurde wie wenige andere in den 2010er Jahren, unternahm die Amerikanerin dann einen kreativen Richtungswechsel, man denke an ihre Romanadaption »Catherine, Lady wider Willen« oder die Beteiligung als Hauptdarstellerin und Produzentin an Julia von Heinz' »Treasure«. Mit »Too Much« kehrt Dunham nun zurück nicht nur zum Serienformat, sondern auch zur autobiografischen Inspiration.
Ähnlich wie vor einigen Jahren Dunham selbst verschlägt es ihre Protagonistin Jessica (Megan Stalter) aus New York nach London, halb in Jane-Austen-Sehnsucht, halb als Flucht vor der Ex-Beziehung. Die Ankunft in London ist allerdings mit Ernüchterung verbunden. Von romantischer Stimmung à la »Sinn und Sinnlichkeit« oder auch nur »Bridget Jones« fehlt nicht nur in der Sozialbauwohnung jegliche Spur, die Arbeit unter dem neuen Boss (Richard E. Grant) in der Werbeagentur lässt sich auch nicht reibungslos an, und vor allem gibt es vor dem zurückgelassenen Emotionschaos weder gedanklich noch online echtes Entkommen. Letzteres könnte sich womöglich ändern, als Jessica in einem Pub den niedlichen, selbst nicht unbedingt erfolgreichen Musiker Felix (Will Sharpe) kennenlernt. Doch gänzlich unkompliziert und unvorbelastet ist natürlich auch der nicht.
Wer nun meint, dieser Plot klänge letztlich nach einer klassischen romantischen Komödie, liegt nicht falsch. Wo es in »Girls« mehr um Sex und um Selbstfindung ging, gehören in »Too Much« die Liebe und das Etablieren von Zweisamkeit zu den Themen, womit Dunham natürlich auch wieder den Blick vom eigenen Alltag auf ihre Altersgenoss*innen erweitert. Ein Großteil der Skepsis, der Galligkeit und des Zynismus, die in ihrer ersten Serie immer mitschwangen, ist nun einem deutlich optimistischeren, ja liebevolleren Tonfall gewichen.
Dunham ist eine zu gute Autorin (nicht zuletzt von Dialogen) und zu genaue Beobachterin, als dass sie sich in den kitschigen Untiefen des Genres verfangen würde. Auch in »Too Much« sind die Figuren noch überfordert, chaotisch und cringe, und für ernste Momente gibt es ebenso Platz wie für Melancholie. Aber die hoffnungsvolle Leichtigkeit in Dunhams neuem Blick tut ihr ebenso gut wie dem Publikum, das sich auf teilweise wirklich herrlich komische Gags freuen darf.
Die schonungslose Wahrhaftigkeit und damit Relevanz von »Girls« entwickelt ihre neue Arbeit zwar nie. Doch weil Stalter und Sharpe einzeln wie gemeinsam in den Hauptrollen stark aufspielen, eine ganze Heerschar zum Teil sehr prominenter Nebendarsteller für viel Freude sorgt und »Too Much« nebenbei ein unerwartet glaubwürdiges, frisches London-Bild zeichnet, ist die Serie doch eine der sehenswertesten dieses Sommers.
OV-Trailer
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