Kritik zu Narziss und Goldmund

© Sony Pictures

Stefan Ruzowitzky (»Die Fälscher«) adaptiert nach einem gemeinsam mit dem Berliner Robert Gold verfassten Skript Hermann Hesses bekanntestes Stück Erbauungsliteratur

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Religiös-spirituelle Fragen nach den letzten Dingen, formuliert in schöngeistiger Form, deren populärer Duktus nicht ganz ohne Geheimnis bleibt. Das ist, genau, Erbauungsliteratur. Dazu zählt jene verbotene Liebe, die Hermann Hesse in seinem 1930 erschienenen Roman »Narziss und Goldmund« besingt. Stefan Ruzowitzky, für sein KZ-Drama »Die Fälscher« mit dem Auslandsoscar geehrt, hat nun das populärste Werk des Nobelpreisträgers adaptiert. Und zwar in einem Medium, dem der Autor bekanntlich ablehnend gegenüberstand.

Dabei eignet sich das Historien-Melodram durchaus für die große Leinwand. Die epische Erzählung entwirft das Dilemma eines vergeistigten Klosterschülers mit dem sprechenden Namen Narziss, der die Wahrheit Gottes auf rein kontemplativem Weg sucht. Dabei fehlt dem Asketen, welche Überraschung, die Sinnlichkeit. Diese erblickt er in Gestalt des blonden Jünglings Goldmund, der seine »verlorene Hälfte« verkörpert, nämlich einen musisch begabten Künstler, der weltlich-erotischen Genüssen zugeneigt ist und die Klostermauern folglich hinter sich lässt.

Wie in der Vorlage kreist die Geschichte maßgeblich um die Abenteuer dieses schelmischen Don Juans, der sich durch die Betten liebreizender Töchter schläft. Die Verpflanzung des Stoffs in ein vage definiertes Mittelalter hat vor allem den Sinn, martialische Strafen zu bebildern, die Goldmund nach seinen erotischen Eskapaden jeweils erwarten und ihn sukzessive zum einäugigen Krüppel werden lassen. Dabei entblößt die Verfilmung auch Schwächen ­der Vorlage –­ etwa Hesses dünkelhafte Geringschätzung des kleingeistigen bürgerlichen Lebens. So flüchtet Goldmund, nachdem er als Musterschüler eines Bildhauers die Kunst des Figurenschnitzens bis zur Meisterschaft erlernte – und daraufhin dessen Tochter samt einer finanziell gesicherten Existenz auf dem Silbertablett gereicht bekommt –, wie der Teufel vor dem Weihwasser. Eine junge Frau, die daraufhin von ihm schwanger wird, rafft die Pest dahin. Das Mittelalter eben.

Äußere Umstände müssen herhalten, damit der von den Musen allzu wortwörtlich geküsste Künstler nur nicht sesshaft wird – und zwar in einer Welt der Spätgotik, in der es die Figur eines solchen Künstlers eigentlich noch gar nicht gab. Nun ja, Goldmund kehrt also zu seiner großen Liebe Narziss zurück. Aus diesem homoerotischen Motiv, schon im Roman mehr als nur Subtext, macht der bis in alle Nebenrollen hinein hochkarätig besetzte Film zu wenig. Als junger Adonis, der viel nackte Haut zeigt, macht Jannis Niewöhner eine gute Figur. Dank seinem breiten Berliner Dialekt klingen Hesses Dialoge bei ihm jedoch, als habe Goldmund eine Blechzunge. Sabin Tambrea dagegen nimmt man den asketischen, sich selbst kasteienden Mönch schon eher ab. 

In die Gedankenwelt eines mittelalterlichen Klosters taucht der Film nicht so überzeugend ein wie Annauds »Der Name der Rose«. Mit seinem kurzweiligen Hochglanz-Bilderbogen setzt Ruzowitzky – trotz kitschiger Tableaus und felliniartigen Crescendos – jedoch interessante Akzente. Der predigerartige Tonfall der Vorlage wird dabei immer wieder moderat gegen den Strich gebürstet. Die interessanteste Abweichung vom Roman betrifft das Motiv jener formvollendeten Marienstatue, die Goldmund als Ergebnis seiner lebenslangen Suche nach der verlorenen Mutter anfertigt. Anders als im Buch bleibt das Gesicht der Skulptur jedoch leer: Jeder Betrachter erkennt die eigene Mutter wieder. Dank einem freudianischen Geistesblitz spiegeln Ruzowitzky/Gold dieses Motiv mit jener obszönen Vulva-Zeichnung ineinander, die der junge Goldmund Jahrzehnte zuvor beim Anblick einer Hure angefertigt hatte, die ihren Rock hob. Die transzendente »Wahrheit« dieser Quelle des Lebens verschmilzt mit dem Antlitz der Mutter Gottes – eine liebenswürdig-frivole Idee, mit welcher der Film das schwüle Weltbild Hesses, in dem die Frau, wenn überhaupt, nur als idealisierte Mutter vorkommt, bis zur Kenntlichkeit entstellt. In diesem Sinn erfahren wir ganz nebenbei auch, dass Hieronymus Bosch eine Frau war. Dank solcher Assoziationen gelingt der Versuch, großes deutsches Ausstattungskino zu machen, zumindest teilweise.

Meinung zum Thema

Kommentare

What is homoerotic in the original story by Hesse? Where in the novel do the characters display erotic attraction to one another?
Why can't two men love each other and see in each other other aspects of self that they have yet to develop without wanting to jump each other's bones, as Hesse intended to depict these two characters?
It's extremely annoying to witness this misunderstanding in both the film director and critics.

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