Kritik zu Bugonia
Was ist die Wahrheit? In Yorgos Lanthimos' neuem Werk entführt ein Verschwörungstheoretiker (Jesse Plemons) eine Biotech-Managerin (Emma Stone), die er für ein böses Alien aus der Andromeda-Galaxie hält
Eine »skurrile Science-Fiction-Komödie« soll Yorgos Lanthimos' »Bugonia« laut Verleiher Universal sein. Soso! Sicher, darin geht's buchstäblich zum »Lachen« (autsch!) in den Keller, dazu gleich mehr. Zunächst aber ein Blick auf den Titel des neuen Films, mit dem sich der »Humor« des seit einigen Jahren erfolgreich in Hollywood drehenden Griechen umreißen lässt: »Bugonia« bezieht sich, heruntergebrochen, auf jenen in der Antike im Mittelmeerraum verbreiteten Glauben, dass Bienen aus den Tierkadavern, insbesondere Ochsen, entstehen. Das passiert, wenn man so will, auch gegen Ende von Lanthimos' neuer kinematographischer Attacke, nur ist bei ihm der Ochse ein blutverschmierter Wandschrank mit einer zerstückelten Leiche darin und die geborene Biene, nun ja, eine besondere.
Wie man auch zu seiner Idee von Kino stehen mag: Nach neun eigenen Filmen weiß man zumindest, dass Lanthimos mit seinen produktiv monströsen, zwischen absurdem Theater und Tragödie changierenden Ergüssen das im Hals steckenbleibende Lachen für sich gepachtet hat. Das gilt in besonders zugespitzter Weise auch für »Bugonia«, mit dem der Regisseur beim Filmfest in Venedig polarisiert hat. Für sein Remake der südkoreanischen Science-Fiction-Komödie »Save the Green Planet!« von Jang Joon-hwan aus dem Jahr 2003 hat Drehbuchautor Will Tracy die Handlung ins Amerika der Gegenwart gepflanzt.
In der Neuauflage glaubt White-Trash-Dude Teddy (genial schmierig: Jesse Plemons) an eine intergalaktische Verschwörung: Für den durch verschiedene aktivistische Strömungen von links nach rechts gegangenen, in den sozialen Medien mit allen verschwörungstheoretischen Wassern gewaschenen Imker ist klar: Michelle (ebenfalls grandios: Emma Stone), die auf Effizienz gebürstete, kalte Parade-CEO jenes Biomedizin-Konzerns, in dem Teddy als Paket-Packer arbeitet, ist ein Alien aus der Andromeda-Galaxie, das für das Bienensterben verantwortlich ist und es auf die Menschheit abgesehen hat. Gemeinsam mit seinem ihm hörigen Cousin Don (Aidan Delbis) entführt er die steinreiche, einflussreiche Frau, rasiert ihr die Haare ab, damit sie – klar! – keinen Kontakt mit ihresgleichen aufnehmen kann, und sperrt sie in den Keller seines abgelegenen Hauses. Sie soll gestehen, dass sie ein Alien ist, und die Männer in der kurz bevorstehenden Mondfinsternis mit auf ihr Raumschiff nehmen, damit sie mit ihrem Vorgesetzten sprechen können.
Was folgt, ist ein meist kammerspielartiger Meinungs- und Schlagabtausch darüber, was denn hier bitte die eigentliche Wahrheit ist, und das erinnert sicher nicht unabsichtlich an eine Kommentarspalte of hell in den sozialen Medien. Zwischen dem sich im Kreis drehenden Gelaber, dem man vor allem wegen des wahnsinnig gut aufgelegten Ensembles folgt, spielen noch die Ereignisse um Teddys Mutter (Alicia Silverstone) in Flashbacks und ein Polizist eine Rolle, mit dem Teddy eine kaputte Vergangenheit teilt. Und es wird gefoltert, einmal mit Elektroschocks zum Song »Basket Case« der Pop-Punker von Green Day. »Am I just paranoid? Am I just stoned?« Später splattert es noch ordentlich.
Lanthimos inszeniert wieder mit dem ihm eigenen, mittlerweile aber auch arg eingeschliffenen, formalen Stilwillen und sterilen Wahnsinn. Wo er zuvor mit absurden Überhöhungen immer auch gesellschaftliche Konventionen hinterfragte, etwa die Idee von Familie und Sprache in einem faschistoiden Mikrokosmos (»Dogtooth«), Identität und den Umgang mit dem Tod (»Alpen«), Pärchenkult und Paarungsverhalten im digitalen Zeitalter (»The Lobster«) oder Rollenbilder und (sexuelle) Identitäten (»Poor Things«), regiert in »Bugonia« ein niederschmetternder Zynismus mit ambivalenter Pointe. Wer ist hier eigentlich das Alien?
In Lanthimos' filmischer Evolution erscheint »Bugonia« logisch und mit Blick auf unsere selbstzerstörerische Gegenwart auch heftig konsequent. Weil der Film mit genüsslichem Ekel auf seinem Punkt herumhackt, kommt aber dieses Mal auch nicht viel mehr herum. Ab nach Andromeda, denn die sich bekriegende, auf das Klima und die Wahrheit scheißende Menschheit krepiert an sich selbst. Haha, Schenkelklopfer!







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