Nahaufnahme von Channing Tatum

Tänzer, Toyboy, Tausendsassa
»Der Hochstapler – Roofman« (2025). © Leonine Distribution

»Der Hochstapler – Roofman« (2025). © Leonine Distribution

Zwischen Muskelspiel und Selbstreflexion: Channing Tatum verkörpert den modernen Mann Hollywoods – körperbewusst, emotional, ironisch. Ein Schauspieler, der seine Widersprüche umarmt und dabei immer glaubwürdig bliebt. Wie jetzt in der Tragikomödie »Der Hochstapler – Roofman«

Für einen solchen Menschen gibt es viele Worte. »Hallodri« zum Beispiel, ein Begriff, der nicht etwa mit »Hallo« zu tun hat, sondern vom griechischen »Allotria«, »Spielerei« abstammt. Zu Channing Tatum passt er: Er spielt gern. Er ist außerdem ein »Hansdampf in allen Gassen«, ein Tausendsassa. Einer, der vieles kann – und mit Leidenschaft tut.

Mit einer entsprechenden Physis: Tatum, geboren im Frühling 1980 in einer Kleinstadt Alabamas, aufgewachsen im Sonnen-, Party- und Rentnerparadies Tampa, Florida, betrieb schon als Kind eine ganze Umkleide voll herausfordernder Sportarten. Er spielte jahrelang Fußball, Baseball und American Football, war Leichtathlet und (seit seinem sechsten Lebensjahr) Martial-Arts-Kämpfer.

ADHS sei der Grund für die Rastlosigkeit, erklärte Tatum in Interviews. Die früh erlernte, vollkommene Körperbeherrschung schadete dem 1,85 Meter großen Mann jedenfalls nicht: In seinem neuesten Film »Der Hochstapler – Roofman« versteckt er sich als Dieb, entflohener Sträfling und liebender Vater monatelang in einer Toys"R"Us-Filiale und geistert dort in den Schließzeiten unentdeckt durch die Gänge, um Süßigkeiten aus den Regalen zu futtern, BMX-Rad und Inliner zu fahren und zu duschen. Als er eines Nachts nackt aus der Nasszelle tänzelt und von einem Mitarbeiter erwischt wird, flüchtet er durch den ganzen Laden und hievt sich am Ende – noch immer unbekleidet – mit Schwung zurück ins Versteck. Das Ganze wirkt wie ein irrwitzig-beeindruckender Triumph der Muskelkraft über die Umstände.

Tatum zeigt von jeher gern Muskeln – und tut dies stets fröhlich und unbekümmert: Bereits in seinem zweiten Film »She's the Man – Voll mein Typ!« 2006 präsentiert er als verliebter Fußballspieler mindestens die Hälfte der 105 Minuten den T-Shirt-losen, durchtrainierten Oberkörper und gibt den Konkurrenten nebenbei zielgenau etwas auf die Mütze. Im gleichen Jahr spielt er in dem von Anne Fletcher inszenierten Liebesdrama »Step Up«, dessen Erfolg ein ganzes Franchise inklusive vier Fortsetzungen hervorbrachte, einen prekären, aber hochtalentierten Streetdancer. In dem thematisch dreisten, tänzerisch eindrucksvollen Abklatsch von »Fame« erscheint sein Körper biegsam und stark wie ein Baum.

Das Tanzen liegt ihm anscheinend ebenso im Blut wie das Ausziehen: Bereits 1999 als Student arbeitete Tatum, das erzählt er oft und gern, acht Monate lang als Stripper in Tampa, ein Jahr später nahm er einen Job als (platinblonder) Hintergrundtänzer im Video zu Ricky Martins »She bangs« an, ein Clip, der ganz aus Bewegung, aus Hüftschwung, glänzender Haut und Batida-de-Coco-Modeloptik besteht. Bevor seine Rollen größer wurden, hatte er zudem gemodelt – hochgewachsen genug und nach klassischem Maßstab attraktiv, schienen bei ihm dennoch stets ein gewisser Trotz und eine große Prise Ironie durch, die bei Kampagnen und (später) Filmen genutzt werden.

In den 2010ern schuf er für sich erfolgreich eine Art Prototyp-Rolle, die seine mangelnde Ausbildung mehr als wettmachte: Für den einfalls- und kenntnisreichen Schauspiel-Regisseur Steven Soderbergh, der aus jedem Darsteller mühelos das herausbringt, was er für den Film braucht, spielte Tatum nicht nur in »Haywire«, sondern auch endlich in einem Film, der vom Drehbuchautor und Freund Reid Carolin nach Tatums eigenen Erfahrungen geschrieben wurde. »Magic Mike« handelt von Stripper Mike (Tatum), der ein leichtes, seichtes Party-Leben führt, bis er die gar nicht partyaffine Brooke (Cody Horn), die Schwester eines Strip-Neuzugangs kennenlernt. Während sich der Frauenheld Mike in Brooke verliebt und sich über sich selbst wundert, verliebt das Publikum sich in ihn – was niemanden wundert.

Die (nicht mehr von Soderbergh inszenierten) Sequels fielen gegenüber dem 2012 veröffentlichten ersten »Magic Mike«-Film stark ab. Doch Tatums Stripper ist ein Beispiel für die Anziehungskraft des charmanten Angebens: Tatum als Mike zeigt seinen ausgearbeiteten Körper nicht, weil er sich damit über andere erheben, weil er in Konkurrenz treten und gewinnen will. Sondern, weil er stolz und mit sich und seinem Körper im Reinen ist. Und Menschen, die eine gesunde, nicht pathologische Selbstliebe mitbringen, können bekanntlich andere besser lieben. (Wobei man dazu vermutlich auch Tatums Ex-Frau Jenna Dewan, mit der er eine Tochter hat, und Ex-Freundinnen wie Zoe Kravitz befragen sollte.)

Mit »Dog – Das Glück hat vier Pfoten« aus dem Jahr 2022, den Tatum zusammen mit dem »Roofman«-Autor Reid Carolin als Debüt inszenierte, zeigte sich, was er bei anderen Regisseur:innen gelernt hatte: Formal ist das Drama unauffällig, doch die Geschichte – ein an PTBS leidender Ex-Soldat lernt durch einen ebenfalls traumatisierten Hund, wieder Vertrauen in Beziehungen aufzubauen – ist der rührende Versuch der Wiederherstellung von verschütteten Gefühlen und die deutliche Positionierung als »versehrter« Mann. Der ehemalige Armee-Ranger Briggs, sensibel gespielt von Tatum, entspricht zwar oberflächlich sämtlichen maskulinen Klischees. Er entpuppt sich aber als gefühlvoller und vor allem lernfähiger Mensch. Die humanistische Botschaft: Gewalterfahrungen und Kriegsverletzungen müssen aufgearbeitet werden.

Dass er in Zoe Kravitz' Regiedebüt »Blink Twice« von 2024 einen zunächst anziehend wirkenden, sich aber als Chef eines brutalen Vergewaltigungsrings entpuppenden Missbrauchstäter spielte, zeugt von seinem Bewusstsein für das Thema – und von seinem Mut. Nicht jeder Schauspieler, dessen Attraktivität als Markenzeichen gehandelt wird, würde das aufs Spiel setzen. Ebenfalls 2024 erschien »Fly me to the Moon«, in dem er zwar wieder einen blitzblanken Helden, den Direktor des NASA-Apollo-Programms, spielt, dem von einer Trickbetrügerin (Scarlett Johansson) tüchtig zugesetzt wird. Doch Tatum verlässt sich mitnichten nur auf seine ebenmäßigen Züge, sondern demonstriert neben der wie immer sicheren und konzentrierten Schauspielkollegin Johansson hochkomisches Talent und Selbstironie.

Ein echter Imagewandel ist Tatums momentan allseits hochgelobte Arbeit also nicht – nur wer in dem Mann immer nur den normativen (Tanz-)Körper gesehen hat, wird sich über sein Talent bei der Darstellung von Komplexität wundern. Denn die Roofman-Figur ist ambivalent: Natürlich will er seiner entfremdeten Tochter Geschenke machen, natürlich nimmt man ihm die Gefühle für eine neue Bekanntschaft (Kirsten Dunst) ab. Gleichzeitig nutzt er die Menschen um sich herum aus, er lügt, betrügt und enttäuscht.

Es passt zu Tatums zur Schau gestellter Moral (und zu den wahren Begebenheiten, auf denen der Film basiert), dass der Roofman am Ende zerknirscht im Gefängnis hockt. Wirklich sauer ist dennoch niemand auf ihn. Dafür tut er einem zu sehr leid.

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