Interview: Ari Aster über »Eddington«
Ari Aster und Pedro Pascal am Set von »Eddington« (2025). © Leonine Distribution
Der 1986 in New York geborene Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Ari Aster ist einer der Protagonisten des neuen Arthouse-Horrors. Aster, Sohn einer Schriftstellerin und eines Jazzmusikers, studierte Film in Santa Fe und begann Ende der nuller Jahre, Kurzfilme zu drehen. Auf die Szene platzte er mit einem Doppelschlag: dem psychologischen Familienhorrordrama »Hereditary« (2018) und der Folk-Horror-Geschichte »Midsommar« (2019), beide produziert von A24. Mit dem epischen, surrealen »Beau is Afraid« wechselte Aster Stil und Tonfall – und wurde an der Kasse bestraft. »Eddington« lief im diesjährigen Wettbewerb von Cannes
Mr. Aster, »Eddington« als Corona-Film zu beschreiben, greift viel zu kurz, schließlich wimmelt es darin vor Themen, Ideen und Figuren. Wie kondensieren Sie ein solches Sammelsurium von Einfällen zu einem Film?
Ari Aster: Das ist meistens ein längerfristiger Wachstumsprozess. Ideen habe ich eigentlich ständig und mache mir auch permanent Notizen. Aus manchen wird nie etwas Konkretes, aber bei anderen bleibe ich hängen. Wenn eine Idee anfängt zu wachsen, weitere anzieht und mich über einen längeren Zeitraum nicht loszulassen scheint, dann bleibe ich dran. Im Fall von »Eddington« war Corona tatsächlich das, mit dem alles begann. Die ersten Wochen des Lockdowns 2020, mit all ihrer Tragik und dem gleichzeitigen Irrsinn, regten meine Kreativität gehörig an. Noch im gleichen Sommer schrieb ich innerhalb von ein paar Wochen eine erste Fassung des Drehbuchs. Allerdings habe ich die dann erst einmal wieder beiseitegelegt und mich auf »Beau Is Afraid« konzentriert. Als der im Kasten war, bin ich zu »Eddington« zurückgekehrt, habe an einigen Einfällen geschraubt, neue ergänzt, andere herausgeschmissen. So wie vermutlich alle Autoren ihre Arbeit editieren.
Hatten Sie Joaquin Phoenix als Sheriff schon beim Schreiben im Kopf?
Nicht von Anfang an. Die Arbeit mit ihm an »Beau Is Afraid« war allerdings eine großartige Erfahrung, bei der wir uns wirklich angefreundet haben. Deswegen war er der Erste, dem ich das fertige Drehbuch zu lesen gab. Ich wollte wissen, was er davon hält – und wusste, dass er perfekt in die Rolle passen würde.
»Eddington« kommt ohne echte Sympathieträger oder positive Botschaften aus. Würden Sie zustimmen, dass der Film von einer gewissen Hoffnungslosigkeit durchzogen ist?
Interessant, dass Sie das so sehen. Ich würde mich selbst eigentlich als jemanden beschreiben, der sehr viel Hoffnung hat. Ich sehe immer irgendwie noch Licht am Horizont und glaube, dass sich das auch in meinen Filmen niederschlägt. Was ich allerdings nicht mehr im Übermaß habe, ist Zuversicht. Was nicht zuletzt daran liegt, dass an der Spitze unserer Gesellschaft Menschen stehen, die nicht an unsere Zukunft zu glauben scheinen. Damit müssen wir irgendwie umgehen, und solange wir nicht wieder enger zusammenrücken, wird das schwierig. Im Grunde ist »Eddington« ein Film über sehr viele sehr unterschiedliche Menschen, die sich eigentlich alle in der gleichen Situation befinden, aber das nicht sehen und sich deswegen gegenseitig – manchmal buchstäblich – an die Gurgel wollen. Das ist weniger eine Hoffnungslosigkeit als das Gefühl einer Machtlosigkeit, aus dem es durchaus Wege hinaus gäbe.
Im gleichen Kontext erzählt der Film auch von Paranoia, oder? Immerhin geht es um das Infragestellen von Pandemieregeln, um einen sektenartigen Kult und diverse Verschwörungstheorien.
Definitiv, denn wir scheinen alle in Feedback-Schleifen festzustecken. Je diffuser und unüberschaubarer die Ränder der großen Welt da draußen werden, desto mehr konzentrieren sich die Leute auf die Dimensionen ihrer eigenen kleinen Welt. Aber je mehr man um sich selbst kreist, desto weniger vertraut man den anderen und deren Blick auf die Welt. Und ohne jetzt selbst nach zu viel Paranoia zu klingen: Dass wir uns in dieser Situation befinden, ist natürlich kein Zufall. Wer die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt destabilisieren will, der baut natürlich auf diese Spirale aus Misstrauen und Angst.
Sie beklagen die gesellschaftliche Spaltung, und tatsächlich bekommen in »Eddington« alle ihr Fett weg. Nicht nur Big Data und Waffenlobbyist*innen, sondern auch die Black-Lives-Matter-Bewegung oder Missbrauchsopfer. Darf man sich nicht auf eine Seite schlagen, wenn man heutzutage in den USA heiße Eisen anfassen will?
Keine Ahnung. Mir ging es einfach darum, ein umfassendes Bild von der Welt abzugeben, in der wir aktuell leben. Ich wollte mich nicht auf eine Figur oder eine Ideologie konzentrieren, sondern möglichst viele Facetten zeigen. Den Blick nicht zu verengen, war mir wichtig, und ich hätte es auch uninteressant gefunden, pauschal irgendwelche Menschen zu verurteilen. Mein Film ist nicht ausschließlich, aber eben doch auch eine Satire, und die macht beim Bloßstellen von Heuchelei keine Gefangenen. Außerdem müssen wir doch bitte das Paradoxe, die Widersprüchlichkeiten des Lebens aushalten. Ich hatte jedenfalls beim Schreiben des Drehbuchs ein Herz für jede einzelne dieser Figuren – und trotzdem nicht das geringste Interesse, irgendwen als makellos darzustellen.




Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns