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Dokumentarfilmerin Kathrin Jahrreiß geht der eigenen Familiengeschichte nach und entdeckt in der Generation ihres Großvaters drei sehr unterschiedliche Lebenswege und Schicksale im Umgang mit Faschismus und Zweitem Weltkrieg
»Entweder du vertraust mir. Oder du gehst deine eigenen Wege.« Diese Ermahnung meint zwar nur den richtigen Abzweig zu einem Grab. Doch das kleine Wortgeplänkel drum herum steht wohl nicht zufällig ganz zu Anfang dieses Films, dessen Autorin und Regisseurin eine der beiden Personen auf dem Friedhof ist. Die Wege können jedenfalls gut auch für die persönliche Reise stehen, auf die Kathrin Jahrreiß ihren Vater Walther mitnehmen möchte. Sie führen tief in eine Familiengeschichte, die es in sich hat und exemplarisch ist für die politischen Brüche und Konflikte des letzten Jahrhunderts in Deutschland. Denn Walthers Vater und dessen beiden Brüder wurden zwar mit wenigen Jahren Abstand zwischen 1894 und 1900 in Dresden geboren, haben aber gänzlich unterschiedliche Wege eingeschlagen.
Hermann, der älteste und erfolgreichste der drei (der einzige mit einem eigenen Wikipedia-Eintrag) machte als Jurist nach dem Ersten Weltkrieg schnell Karriere und diente sich dann als Völkerrechtler auch den neuen Herrschern an. Nach dem Krieg rehabilitierte er sich ausgerechnet als Strafverteidiger von Kriegsverbrecher Alfred Jodl im Nürnberger Prozess für eine glänzende Laufbahn im Rechts- und Hochschulwesen der BRD und Europas, die ihm unter anderem 1958–60 die Präsidentschaft der Westdeutschen Rektorenkonferenz einbrachte.
Die beiden jüngeren Brüder waren mit jüdischen Frauen verheiratet. Doch während Walther mit Ehefrau und zwei Töchtern früh in die USA emigrierte und dort als Neurologe arbeiten konnte, blieben Otto und Ruth in Dresden, wo diese noch 1940 an den emigrierten Schwager arglos von nettem nachbarschaftlichem Klatsch schrieb. Zwei Jahre später wird sie aus dieser Nachbarschaft heraus denunziert wegen eines Kino- und Cafébesuchs, von der Gestapo in »Schutzhaft« genommen und dann in Auschwitz ermordet. Auch Otto wird wegen einer scharf formulierten Traueranzeige inhaftiert, kommt dann aber durch äußeres Eingreifen – vermutlich von Bruder Hermann – frei. Er bleibt allein mit zwei kleinen Söhnen, von denen der jüngere der Vater der Regisseurin ist.
Dessen auffälliges Desinteresse an familiären Dingen war ein Ausgangspunkt für Kathrin Jahrreiß' Neugier. Dazu kam die sprichwörtliche »Kiste im Keller«, die sich mit bisher unbeachteten Schätzen an Fotos und Briefen eines Tages im väterlichen Haus fand. Darunter auch ein gemeinsames Foto der drei Brüder im reiferen Alter, das als roter Faden durch den Film führt und nach Recherchen der Regisseurin 1951 bei einem letzten Treffen in Köln aufgenommen wurde. Anderes Material aus der Kiste und aus Archiven blättert der Film sukzessive auf, wobei neben der komplexen Familiengeschichte immer wieder auch schmerzlich die Kollaboration vieler Deutscher mit dem NS-Regime und die spätere Verleugnung sichtbar werden. Mancher allzu expliziten Reflexion im persönlichen Kommentar der Autorin hätte es allerdings nicht bedurft. Und auch bei den Einsprechstimmen für die einzelnen Personen wäre weniger illustrative Überdeutlichkeit und mehr Sachlichkeit schön gewesen.