Kritik zu Mein Blind Date mit dem Leben

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Augen auf und durch: In Marc Rothemunds flotter Komödie verschweigt ein Azubi seine Sehbehinderung und behält trotzdem alles im Blick

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Blind Dates leben für gewöhnlich von der Unkenntnis der Beteiligten: Je weniger man über den anderen weiß, desto größer das Überraschungspotenzial. Für Sali (Kostja Ullmann) dagegen laufen Blind Dates ganz anders ab. Er muss vorab so viel wie möglich wissen, um Zufälle und Unwägbarkeiten auszuschließen. Die Größe eines Raums, die Stufen einer Treppe, die Schritte bis zur nächsten Kurve prägt er sich ebenso präzise ein wie den Standort von Requisiten oder die erwartete Blickrichtung seines Gegenübers. Denn Sali verfügt über gerade noch fünf Prozent seines ursprünglichen Sehvermögens, möchte aber nicht, dass andere etwas davon bemerken. Für ihn sind alle Dates »blind« und können nur dank einer Kombination aus Planung, Auswendiglernen und Improvisation funktionieren.

»Mein Blind Date mit dem Leben« bezieht seinen besonderen Reiz aus der schier unglaublichen Entschlossenheit des Protagonisten, seine Behinderung nicht als Limitation zu akzeptieren, sondern als Ansporn zu nehmen. Immer wieder begibt er sich auf unbekanntes Terrain und blufft sich durch die heikelsten Situationen. Weil Marc Rothemunds Inszenierung diese ungewöhnliche Nicht-Seherfahrung konkret nachvollziehbar macht, ist es ein sehr sinnlicher Film voller Gerüche, Geschmäcker, Materialien, und alles lebt von der ständigen Frage: Wie um Himmels willen lässt sich die Welt auf so ungewöhnliche Weise erfahren, ohne dass die Welt etwas davon mitbekommt?

Ein spannendes Thema also, insbesondere wenn es als leichte Komödie daherkommen soll. Rothemunds Film schafft über weite Strecken den Spagat zwischen seriöser Beschreibung und heiterem Staunen. Er basiert lose auf der Autobiografie des heutigen Businesscoachs Saliya Kahawatte, der trotz plötzlicher Netzhautablösung sein Abitur schaffte, eine Hotelfachausbildung absolvierte und lange als Barkeeper arbeitete, ohne sein »Geheimnis« preiszugeben. Kostja Ullmann spielt ihn sehr glaubwürdig als willensstarken jungen Mann, mit dem man gerne mitfiebert, weil er sich das Träumen nicht ausreden lassen will. Als er merkt, dass er mit der Wahrheit nicht weit kommt, beginnt er, sein Defizit zu unterschlagen, und ergattert prompt eine Lehrstelle in einem Münchner 5-Sterne-Hotel. Mit Fantasie und der Unterstützung einiger Kollegen, die ihm früher oder später auf die Schliche kommen, stellt er sich Tag für Tag neuen Herausforderungen: Wie richtet man, ohne als Quasiblinder aufzufallen, ein Zimmer her, wie schneidet man die Mortadella, wie mixt man einen Drink?

Salis Lektion: Wo der sprichwörtliche Wille ist, da ist tatsächlich (fast) immer ein Weg. Der Preis allerdings ist hoch. Seine Erfolge verdanken sich einerseits seiner ungeheuren Selbstlosigkeit, andererseits seiner Bereitschaft, ein ziemlich hohes Lügengebäude zu errichten, das spätestens dann einzustürzen droht, als er sich auf eine Liebesgeschichte mit der Biohoflieferantin Laura (Anna Maria Mühe) einlässt. Und erst da gleitet die Erzählung ins Formelhafte ab und sieht aus wie ein Sat.1-Movie, das etwas zu krampfhaft den Hollywoodvorbildern nacheifert.

Meinung zum Thema

Kommentare

Sehr schöne "Verpackung" eines Schicksals, das wir so einfach "100%" SCHWERBEHINDERT nennen. Wir brauchen solche Formen der Beschreibung eines Einzelschicksals, um über das Thema ins Gespräch zu kommen.
Nachteil des Films: Er ziehtdas NICHTERKANNTWORDENSEIN seines Handicaps
etwas zu sehr in die Länge. Ansonsten sehenswert für jeden Menschen, der sich für einen Beitrag zur Verbesserung des Gemeinwohls entschieden hat. Der Rest, das sind unsere "Alltagsblinden" fürs Füreinander in der Gesellschaft! Gemeinwohl kommt vor Dein Wohl = der bessere Weg!

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