ARD-Mediathek: »Everyone is f*cking crazy«

»Everyone is f*cking crazy« (Serie, 2023). © SR/Real Film Berlin/Maor Weisburd

© SR/Real Film Berlin/Maor Weisburd

Angst essen Seele auf

Die Therapeutin ist aus dem Fenster gestürzt. Tot. Ob Unfall oder Suizid, bleibt offen. Keine gute Situation für ihre Patienten Derya, Malik, Chloë und Schröder, die mitten im therapeutischen Prozess alleingelassenen werden. In ihrer Not schließen die vier sich zusammen.

Kann man sich nicht gegenseitig analysieren? Das ist die spannende Ausgangssituation einer Serie, zu der die Regisseurin Luzie Loose (»Schwimmen«) gemeinsam mit John-Hendrik Karsten das Buch verfasste. Seelenbehandlungen, ob fiktiv oder dokumentarisch, liegen im Trend. Die auf einer israelischen Vorlage basierende Serie »In Therapie« von Éric Toledano und Olivier Nakache setzte Maßstäbe. Im Oktober startet »Die Therapie«. Der Amazon-Sechsteiler nach dem gleichnamigen Thriller von Sebastian Fitzek verpackt das psychologische Thema in einen Krimiplot.

»Everyone Is F*cking Crazy« knüpft bereits mit dem Titel an einen berühmten Freud’schen Grundgedanken an. Wenn »doch alle in derselben Scheiße« sitzen, dann geht es darum, individuelles Elend in gemeines Unglück zu verwandeln. Der arrogante Malik hält das zunächst für ausgemachten Unsinn. Er lässt den Fatalisten heraushängen, redet sich seine Tablettensucht mit existenzialistischer Philosophie schön. Schröder, eine einsame junge Frau, bekommt ihre aggressiven Ausbrüche nicht in den Griff. Derya ist bipolar: Doch diese schwerwiegende Erkrankung (was wir erst später verstehen) gibt dem Plot einen interessanten Dreh. Und Chloë hat aufgrund ihrer Zwangsstörung unendliche Mühen, einen Zebrastreifen zu überqueren.

Die Ergründung dieser seelischen Zerrüttungen verläuft nicht linear. Rückblenden zeigen die Therapeutin (Jeanette Hain) mit ihren Patienten. Parallel rückt jede Folge die Rolle der Erziehungsberechtigten in den Fokus. Maliks schwuler Vater ist so verständnisvoll, dass es wehtut. Chloës Eltern sind mit sich selbst beschäftigt. Und Schröder lebt bei ihrem alkoholkranken Großvater, der gewiss kein Vorbild ist. Deryas türkische Eltern sind sympathisch und erscheinen in ihrem Einfamilienhäuschen wie Vorzeige-Deutsche.

Zu den Stärken der Serie zählt die visuelle Umsetzung. Selten wurden Krankheitsbilder so fantasievoll abgebildet. Was geschieht, wenn ein Zwangsneurotiker seine komplizierten Rituale einen Augenblick vernachlässigt? Eine geliebte Person muss dafür büßen. Deshalb greift Chloës Schwester in den Mixer und häckselt sich die Finger ab wie in einem Splatterfilm von Peter Jackson – ups. Zum Glück ist das nur Fantasie! Und wie es sich anfühlt, wenn Angst die Seele auffrisst oder man in ihr buchstäblich ertrinkt, dafür findet der Achtteiler Bilder, die in einigen Momenten an Danny Boyles »Trainspotting« erinnern.

Zu einem Ereignis wird die Serie dank ihrer unbekümmert aufspielenden Nachwuchsdarsteller. Neben Via Jikeli (Derya), Arsenij Walker (Malik) und Maja Bons (Chloë) setzt vor allem Luise von Stein als militantes Kraftpaket Schröder Akzente. Trotz kleinerer Durchhänger ist die Serie ein großer Wurf.

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