Buch-Tipp: »Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen«

Ich, der Enthüller

Der Name Woody Allen kommt im Personenregister von »Durchbruch« nicht vor, das dürfte Absicht sein. Man findet die entsprechenden Passagen aber, wenn man unter den Namen Mia Farrow oder Dylan Farrow nachschlägt. Ronan Farrow hat ja bekanntlich verhindert, dass in den USA Woody Allens Erinnerungen in demselben Verlag erschienen wie sein Buch. Im Fall des Missbrauchsvorwurfs, den seine Stiefschwester Dylan gegen Woody Allen erhob, schlägt er sich ganz auf ihre Seite (immerhin greift er nicht die Behauptung seiner Mutter auf, Woody Allen sei möglicherweise gar nicht sein leiblicher Vater, sondern Farrows Ex-Mann Frank Sinatra. Insofern kann man die Kritik verstehen, er habe ein Buch über Harvey Weinstein geschrieben, aber Woody Allen gemeint. Aber selbst wenn das so wäre, nimmt es dem Nachweis schweren Fehlverhaltens bei dem Hollywoodproduzenten Weinstein nichts von seiner Richtigkeit.

»Durchbruch« liest sich wie ein (Polit-)Thriller: ein aufrechter Journalist, der gegen alle Widrigkeiten, die ihm aus dem Umfeld seiner Zielperson, aber auch aus der Hierarchie seines Medienunternehmens, in den Weg gelegt werden, hartnäckig ermittelt und am Ende genügend juristisch einwandfreies Material zusammengetragen hat, damit die große Enthüllungsgeschichte erscheinen kann. Eine Geschichte, die schließlich zur Anklage und am Ende zur Verurteilung des einst mächtigen Filmproduzenten Harvey Weinstein wegen sexueller Übergriffe bis zu Vergewaltigungen führt – und die #MeToo-Bewegung stärkt.

Wir erfahren von Privatdetektiven, die auf Farrow angesetzt werden, zumal von der Agentur Black Cube, gegründet von ehemaligen Mitarbeitern des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, aber auch von Personen, die ihr Interesse an der Arbeit Farrows und an den Geschichten der Opfer bekunden, ihn und diese engagieren wollen – aber dies nur als Tarnung benutzen, um sie im Auftrag Weinsteins auszuspionieren. Wir erfahren einiges über Unterlassungserklärungen, über die Strategie, Frauen vertraglich zum Stillhalten zu verpflichten, ebenso über die Praxis von Boulevardblättern, die Rechte an unliebsamen Geschichten quasi im Auftrag der Angeklagten zu erwerben, nur um sie dann in der Versenkung verschwinden lassen zu können – eine gebräuchliche Praxis (nicht nur) bei dem Skandalblatt »National Inquirer«. Darauf bezieht sich der Originaltitel des Buches, »Catch and Kill«.

Gegen Ende des Buches weitet sich die Perspektive: Ronan Farrow muss erleben, dass auch bei seinem Arbeitgeber, dem Sender NBC, in den höheren Etagen eine Reihe von Männern sitzt, die ein ähnlich gestörtes Verhältnis zu Frauen haben wie Harvey Weinstein – und auch hier gab es jahrelang eine Praxis der Schweigeverpflichtungen gegen Abfindungen. Und die wurde bekanntermaßen auch von Donald Trump praktiziert. So erschienen die Weinstein-Enthüllungen schließlich nicht bei NBC, sondern im Magazin »New Yorker«.

Es gibt einige Stellen, oszillierend zwischen Bekenntnis und Selbstironie, in denen das Buch durchaus an die gerade erschienenen Erinnerungen von Ronans ungeliebten Vater Woody Allen erinnert – wenn er schreibt »ich will halt immer von jedem geliebt werden« oder wenn ein leitender Redakteur des »New Yorker« ihn als »TV-Typ« sieht: »vielleicht ein wenig verliebt darin, mein Gesicht auf dem Bildschirm zu sehen. Und vielleicht war ich das.«

Farrow verrät über den der Klappentext des Buches, dass er »mit elf Jahren die Schule verließ und sein erstes Studium mit fünfzehn abschloss« und später »als Diplomat des US-Außenministeriums tätig war« – durchaus das Bild einer recht selbstbezogenen Person. Seine Enthüllungen, die ihm den Pulitzerpreis einbrachten, werden dadurch nicht geschmälert, die Passagen, in denen Weinsteins Opfer wie Mira Sorvino, Annabella Sciorra oder Unbekannte zu Wort kommen, liest man mit großer Bestürzung. Das Buch weckt aber auch Interesse an einer anderen Art der Darstellung – einer, die weniger fixiert ist auf die Person des enthüllenden Autors. Wer wissen will, ob das bei »She Said«, dem Buch der beiden Reporterinnen der »New York Times«, Jodi Kantor und Megan Twohey, der Fall ist, die den Weinstein-Skandal parallel recherchierten und veröffentlichten, muss allerdings zum englischsprachigen Original greifen, da sich dafür kein deutscher Verlag gefunden hat.

 


Ronan Farrow: Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen. Hamburg 2019, Rowohlt, 425 S., 24 €.

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Die gefälschten Reportagen des »Spiegel«-Redakteurs Claas Relotius mögen gering wiegen gegenüber dem mannigfaltigen sexuellen Missbrauch durch Harvey, dafür ging es für den »Spiegel«-Mitarbeiter Juan Moreno um mehr: »Meine gesamte Karriere drohte in die Brüche zu gehen.« Dieser Satz steht am Ende eines Statements von Ronan Farrow, das Moreno seinem Buch vorangestellt hat. Der freie Mitarbeiter gegen den festangestellten und hochgeschätzten Redakteur, der für seine Arbeiten mit zahlreichen Journalistenpreisen bedacht wurde, weil dessen »warme, tröstende Reportagen« als »ein möglicher Ausweg aus der Krise« des Journalismus schienen, und der deshalb kurz davor stand, zum Ressortleiter befördert zu werden. Da ist die Parteinahme der leitenden Redakteure, die mit Relotius' Ungereimtheiten konfrontiert werden, nachvollziehbar.  Aber Moreno bleibt hartnäckig und am Ende kommt die ganze Wahrheit ans Licht. Was sein Buch von dem von Farrow unterscheidet, ist die Tatsache, dass er weiter blickt, auf »das System Relotius«. An seinem Resümee, »der Journalismus ist ein anderer geworden nach Relotius« habe ich allerdings Zweifel: eine schöne Formulierung steht noch immer hoch im Kurs. 

 


Juan Moreno: Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus. Hamburg 2019, Rowohlt, 285 S., 18 €.

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