Buch-Tipp: »Woody Allen. Ganz nebenbei.«

»Scoop« (2006). © Concorde Filmverleih

»Scoop« (2006). © Concorde Filmverleih

Die Autobiographie des Regisseurs ist nun doch erschienen

Natürlich hat er es voraussehen können: als er auf Seite 221 den Namen seiner Ehefrau Soon-Yi fallen lässt und ankündigt, dazu werde er an späterer Stelle noch ausführlicher schreiben, fügt er in Klammern hinzu, er hoffe, »Sie haben das Buch nicht bloß wegen der Geschichte gekauft«.

Vermutlich wird aber genau das auf einen Teil der Leserschaft zutreffen. Zwar gibt es jene, die seit seinem 1969er-Regiedebüt »Woody der Unglückrabe« (Take the Money and Run) jeden neuen Woody-Allen-Film bei seiner Kinopremiere gesehen haben – selbst wenn das in späteren Jahren über weite Strecken als Pflichtübung erschien, mit wenigen herausragenden Filmen wie »Match Point« oder »Blue Jasmine«. Viele Kinogänger werden indes nur Teile seines unüberschaubaren Werkes kennen – nicht zuletzt die, denen zu Woody Allen vor allem einfällt: »das ist doch der, der ein Verhältnis mit seiner Stieftochter begann ... und hat er nicht auch eine andere Stieftochter missbraucht?«

Mit der ersten Stieftochter, Soon-Yi, ist der 1935 geborene Allen seit 1997 verheiratet; die Autobiografie ist ihr gewidmet. Der Vorwurf des Missbrauchs an der siebenjährigen Dylan Farrow blieb hängen, obwohl zwei Untersuchungen keine Beweise fanden, die eine Anklage rechtfertigt hätten; durch einen Offenen Brief, in dem Dylan Allen nach 22 Jahren der Vergewaltigung bezichtigte, wurde der Verdacht wieder akut – es kam zu zahlreichen Distanzierungen von Schauspieler*innen, die mit dem Regisseur gearbeitet hatten. Allens Fall wurde verknüpft mit den – erwiesenen – Anschuldigungen gegenüber Roman Polanski und den multiplen gegenüber dem Filmproduzenten Harvey Weinstein, der dafür mittlerweile rechtskräftig verurteilt wurde. Eine pikante Note erhält das Ganze dadurch, dass einer der Journalisten, die Weinsteins Verbrechen enthüllten, Woody Allens Sohn Ronan Farrow war. Der empörte sich verständlicherweise darüber, dass Allens Autobiographie im selben Verlag erscheinen sollte wie sein eigenes Werk und konnte die Veröffentlichung mit Unterstützung aus dem Verlagsteam verhindern. In Deutschland dagegen sind beide Bücher – trotz Protesten anderer Autoren – bei Rowohlt erschienen, wo schon früher Bücher von Woody Allen als Taschenbuchausgaben veröffentlich worden sind.

Der weitgehend chronologisch angeordnete Text, der ohne Kapitel und Überschriften auskommt und auch nicht durch ein Register erschlossen ist, wirkt anfangs wie der atemlose Monolog eines Stand-Up-Comedians; man stellt sich den Verfasser dabei auf der Bühne eines Clubs vor, wo er eine Pointe nach der anderen herausstößt (und fühlt sich an Szenen in »Der Stadtneurotiker« erinnert). Das führt zu gelegentlichem Overkill und bemühter Witzigkeit – auch der letzte Satz des Buches ist so eine Pointe. Man erfährt dabei viel über seine Kindheit in New York, als sich sein Vater zeitweise als Buchmacher betätigte, während die Mutter »die Familie über Wasser hielt« (auch dies ähnlich wie in »Der Stadtneurotiker«), dass er die Schule schwänzte und die Zeit lieber in Museen verbrachte; zugleich kokettiert er mit seinem Image, wenn er schreibt, »dass eine Hornbrille jemanden nicht automatisch zum Literaturkenner macht und schon gar nicht zum Intellektuellen…ich war gesund, beliebt, sehr sportlich… und doch entwickelte ich mich zu einem ängstlichen, nervösen emotionalen Wrack.« Er überrascht mit einer Liste von Filmklassikern, die er nie gesehen hat oder nicht schätzt, sowie dem Bekenntnis, Mickey Spillane sei damals sein Lieblingsautor gewesen. Er bekennt, in einer Blase zu leben (»nie habe ich eine Sicherung ausgewechselt, E-Mails verschickt oder einen Geschirrspüler benutzt«) und macht sich durchgängig selbst klein, zumal im Vergleich mit seinen Idolen wie Ingmar Bergman oder Tennessee Williams. Der Leser darf sich fragen, wie viel davon ernstgemeint ist und wie viel bloß dem Hang zur Pointe geschuldet ist. 

Zugeneigt schreibt Allen über seine Ehefrauen, Lebensgefährtinnen und einige Kurzzeitfreundinnen, erwähnt bei seiner zweiten Ehefrau Louise Lasser aber auch die Probleme, die sich aus ihrer bipolaren Störung ergaben. Seltsam ist die Geschichte von Jean Doumartin (»über mehrere Jahrzehnte hinweg meine engste Vertraute«), die eine Reihe seiner Filme produzierte, und mit der er sich immer noch regelmäßig zum Essen traf, während er wegen Unterschlagung gegen sie prozessierte.

Er erzählt von seinen Anfängen als Gagschreiber und Autor für Kolumnisten und Fernsehkomiker, von seinen Fehlstarts im Filmgeschäft mit »What's New, Pussycat?« (Schrott, aber ein Hit«) und als Bühnenautor mit »Don't Drink the Water!« (»auch Schrott, aber erfolgreich«). Er nennt die James-Bond-Parodie »Casino Royale« (mit ihm als »Jimmy Bond«) »die schlimmste und dümmste Zelluloidverschwendung der Geschichte« – während bei seinen eigenen Filmen als Autor-Regisseur immer alles weitgehend reibungslos läuft (immerhin erwähnt er, dass er einmal einen renommierten Kameramann gefeuert hat). Der Vergleich zwischen zwei seiner langjährigen Kameramänner bezieht sich eher auf private Umgangsformen, auch dass er einen seiner Filme (»September«) noch einmal komplett neu gedreht hat, ist ihm nur eine kurze Erwähnung wert. 

Detailliert wird die Beziehung zu Mia Farrow beschrieben, das langsame Kennenlernen, das »Zusammenleben«: »nicht mal einen gemeinsamen Haushalt hatten wir und in den dreizehn Jahren Beziehung habe ich nie bei ihr in New York übernachtet«. Allen behielt seine eigene Wohnung, besuchte Mia und die zahlreichen Adoptivkinder aber morgens und abends, brachte einige der Kinder zur Schule und kümmerte sich an den Nachmittagen um sie. Dann spricht er von allmählicher Entfremdung, ihren »Alleinbesitzansprüchen« auf den gemeinsamen Sohn Dylan (damals noch Satchel), auf dessen Geburtsurkunde sie Allen nicht eintragen ließ (später behauptetet sie, ihr Ex-Mann Frank Sinatra sei Dylans Vater), ihre übermäßige Strenge gegenüber den adoptierten Kindern, besonders Soon-Yi, und dem »kultähnlichen Gehorsam, den die Kinder zu leisten hatten«. Dass er sie als »eine gestörte Persönlichkeit« bezeichnet, ist angesichts der geschilderten Vorgänge nachvollziehbar. 

Nach der Darstellung dieser unerquicklichen Geschichte würdigt er allerdings ausführlich ihre schauspielerischen Leistungen in den dreizehn gemeinsamen Filmen, nennt den letzten davon, »Husbands and Wives«, sogar den besten Film seiner Karriere. Am Ende kommt er auf seine »Ächtung« in den letzten Jahren zurück, die ihn an die McCarthy-Ära erinnert – etwa wenn Schauspieler sich gegen ihn aussprachen, ihn aber wissen lassen, das nur auf Druck ihrer Agenten gemacht zu haben. 

Worüber man kaum etwas erfährt, ist seine Arbeit am Set (auch wenn er zugibt, die unüblichen Proben bei »Innenleben« seien ein Fehler gewesen), mit unterschiedlichen Produktionsfirmen (auch wenn man weiß, dass er dabei weitgehende Freiheiten hatte); manches wird verkürzt und geglättet, so sein politisches Engagement für bestimmte demokratische Präsidentschaftsbewerber oder die Produktion der Dokumentation »Wild Man Blues« – darüber findet man etwa in der vor zwanzig Jahren erschienenen Biografie von Marion Meade Genaueres, so wie man im Interviewband von Stig Björkman oder in der Fallstudie zu »Radio Days« einen nachdenklicheren Woody Allen erlebt. Am Ende bleibt eine pointenreiche Lektüre, an deren deutscher Übersetzung mich die zahlreichen altertümlichen Ausdrücke – »schnieke«, »Flitzpiepe« oder »Nieselpriem« – irritiert haben. Sollten Bezeichnungen für Frauen wie »Miezen im Minirock«, »Schnuckelchen«, »Trulla« oder »kleiner Gaumenschmaus« allerdings ihre Entsprechung im Original haben, muss man Woody Allen tatsächlich zugestehen, in einer Blase zu leben.


 
 

Woody Allen: Ganz nebenbei. Autobiographie; Rowohlt, Hamburg 2020, 443 S., 25 €.

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