Tom Cruise: Der Typ der gern mal abhängt
Tom Cruise in »Mission Impossible: Fallout« (2018). © Paramount Pictures
Ethan Hunt sagt Ciao. In diesem Monat kommt der letzte Film der »Mission: Impossible«-Reihe ins Kino: »The Final Reckoning«
Auch der auf meditative Arthouse-Filme eingestellte Cineast kann nicht verhehlen, dass der hämmernde 5/4-Takt zu Beginn einer neuen »Mission Impossible« die Lebensgeister weckt. So wie das »Schnief schnief di schneuf«-Motiv von Doktor Schiwago das Publikum mit süßer Wehmut einlullt, so verheißt das »Hallo wach!«-Intro von »M:I« jede Menge Spaß. Die Filmreihe, die mit »Mission: Impossible – The Final Reckoning« voraussichtlich ihr Finale feiert, schafft es nun schon seit 29 Jahren, dieses vorfreudige Adrenalin zu erzeugen. Die Reihe ist ein filmgeschichtliches Phänomen, nicht nur weil sie das erfolgreichste Remake aller Zeiten darstellt. Dabei ist das Original lediglich eine hübsch durchgeknallte, dem experimentierfreudigen Geist der Swinging Sixties verhaftete US-Spionageserie, in der auf Teufel komm raus, unter anderem mit Masken, getrickst und getäuscht wurde. Im deutschen Fernsehen wurde sie als »Kobra, übernehmen Sie« (obwohl der Satz im Original nie vorkam) in verschiedenen Formaten und zuletzt auf Sky Nostalgie ausgestrahlt. Es gibt zudem eine gegen Ende der Achtziger gedrehte und bald eingestellte Neuauflage. Seinen buchstäblichen Höhenflug erfuhr der Stoff erst durch Tom Cruise. Der Star, der mit »M:I« auch sein Produzentendebüt feierte, machte das Franchise zu seiner Eigenmarke, mit sich selbst in der Rolle von Agent Ethan Hunt als zugkräftigstem Special Effect.
Obwohl bereits der erste »Mission: Impossible«-Thriller 1996 gut ankam, fand die Reihe stilistisch erst zehn Jahre später zu ihrer jetzigen Form. Regisseur Brian De Palma, der den Auftakt inszenierte, tauchte das Agentengeschehen in Neo-Noir-Düsternis und versah die Action mit Hitchcock'schen Spannungselementen. Bei einem missglückten Einsatz in Prag bleibt von Hunts Team vermeintlich nur er am Leben, als Hauptverdächtiger. Das bläulich ausgeleuchtete nächtliche Prag wirkt surreal, und die Suche nach einem Maulwurf erinnert an die Paranoia aus »Der dritte Mann«. Aller Arthouse-Sensibilität zum Trotz servierte De Palma aber auch jene ebenso kreativen wie haarsträubenden Actionszenen, die zum Aushängeschild der »M:I«-Filme wurden – hier etwa eine Verfolgungsjagd zwischen Hubschrauber und TGV im Ärmelkanaltunnel.
Für »M:I 2« (2000) vertraute Cruise die Regie dem damals angesagten, nach Hollywood migrierten chinesischen Regisseur John Woo an, der den Thriller, der sich um den Diebstahl eines tödlichen Virus dreht, mit gewohnter Theatralik inszenierte. Woos Hongkongfilm-Schwulst mit Zeitlupen, opernhafter Action, Taubengeflatter und einem Plot, der selbst nach den Maßstäben des Genres konfus ist, sägte gewaltig an den Nerven. Für »M:I 3« 2006 ersetzte Cruise ihn durch den aufstrebenden Fernsehregisseur J. J. Abrams (»Lost«, später »Star Trek« und »Star Wars«), der mit der Spionageserie »Alias« Furore gemacht hatte. Abrams' innovative TV-Ästhetik mit dynamischen Actionsequenzen und schnellen Schnitten verleiht dem Plot, der sich rund um einen Waffenhändler dreht, neuen Drive. Mit der Entführung von Hunts frisch angetrauter Ehefrau kommt erstmals auch der menschliche Faktor glaubwürdig ins Spiel. In Nr. 3 wird zudem mit verstärktem Latexmasken-Einsatz an die Serientradition angeknüpft. Mit »Benji« Simon Pegg als nervösem Techniker, der zu seinem Leidwesen auch an die Front muss, und dem lässig-stoischen Hacker »Luther« Ving Rhames ist, wiederum an die Originalserie angelehnt, auch die Bildung des IMF-Teams (IMF für Impossible Mission Force) abgeschlossen. Es verwundert nicht, dass Abrams als Produzent bis heute mit im Boot ist, während Cruise für Nr. 4 mit dem oscargekrönten Animationsstar Brad Bird erneut eine unorthodoxe Wahl traf. Brad Bird, der in »Ratatouille« eine Ratte in ein Gourmetrestaurant geschmuggelt hatte, erwies sich in »Mission: Impossible – Phantom Protokoll« von 2011, seiner ersten Realfilmregie, als Glücksgriff. Mit osteuropäischen Schauplätzen hat auch dieser Film einen nostalgischen Kalter-Krieg-Charme. Und er präsentiert die bis heute weltweit ikonischste Actionszene: Tom Cruises Gekraxel am Burj Khalifa in Dubai, dem höchsten Gebäude der Welt. Überdies verleiht Bird dem Film, auch dank schlitzohriger Taschenspielertricks, jenen charakteristischen Mehrwert aus spielerischer Eleganz, Leichtfüßigkeit und trockenem Humor, der aus einem im Grunde krawalligen Spektakel ein erhebendes Vergnügen macht. Das gilt umso mehr für die vier folgenden, ab 2015 von Christopher McQuarrie inszenierten Filme. Auch er kommt aus der Auteur-Ecke – seine Karriere begann mit Bryan Singer und dem Drehbuch für »Die üblichen Verdächtigen« –und wurde dank Tom Cruise groß. Von diesem liebevoll »McQ« genannt, ist er seit »Operation Walküre« (Drehbuch, 2008) ein stetiger Begleiter und gewissermaßen der Hausregisseur des Stars.
Da wir schon dabei sind, Cruises Mitstreiter zu loben: ein unterschätzter Aspekt von »M:I« sind die markanten Frauenrollen. Anders als beim Paten des Agentenfilms, James Bond, auf den wir noch zu sprechen kommen werden, sind Frauen hier stets praxisnahe, kühl kalkulierende Figuren, die mit ihren Tricksereien Hunt mal übertölpeln und mal das Leben retten. Waffenhändlerinnen wie Vanessa Redgrave in Nr. 1., ausgebuffte Diebinnen wie in den beiden letzten Filmen Hayley Atwell oder auch Ehefrau Julia – Michelle Monaghan als handfeste Krankenschwester – haben Wichtigeres zu erledigen, als Hunt anzuschmachten.
Die beste von Hunts Gefährtinnen, Rebecca Ferguson als geheimnisvolle Ilsa Faust, wurde in Nr. 7 via Messerattacke aus der Reihe getilgt. Schande! Cruise hatte die schwedische Schauspielerin explizit wegen ihrer Ähnlichkeit mit Ingrid Bergman, seinem ersten Schwarm, engagiert (Ilsa ist auch der Rollenname von Bergman in Casablanca). In »M:I 5« hat Ferguson eine berühmt gewordene killer thigh move-Szene, in der sie, in goldgelber Abendrobe, blitzschnell einen Schurken anspringt und dessen Hals wie mit einer Schere zwischen ihre Oberschenkel klemmt. Anschließend rettet sie wie nebenbei Ethan Hunt vom Dach der Wiener Oper, indem sie sich mit dem Agenten, ihn in den Schraubstock ihrer Schenkel zwingend, aus schwindelerregender Höhe abseilt. Cruise lässt sich diese Tuchfühlung mit dem fassungslosen Blick eines kleinen Jungen gefallen.
Während Emmanuelle Beárt in Nr. 1 als Femme fatale eingesetzt wird und Thandie Newton in Nr. 2 mit sexbetontem Woo-Kitsch nicht nur ins Bett von Hunt, sondern auch in das seines Widersachers steigt – mal freiwillig, mal im Dienste der guten Sache –, geraten alle folgenden Abenteuer auf unaufdringliche Weise keusch. Wenn das kurzzeitige IMF-Mitglied Paula Patton sich in »Mission: Impossible – Phantom Protokoll« mit grüner Abendrobe aufsext, ist das nur der Beginn einer slapstickhaften Aufreißernummer, um einen schmierigen Waffenhändler ins Boudoir zu locken. Mit Ilsa wiederum verbindet Hunt eine zärtliche Kumpelhaftigkeit, vor deren Hintergrund sich beide jeweils entschuldigen, bevor sie einander elektroschocken oder mit dem Auto anfahren. Ob da mehr läuft, bleibt in der Schwebe. Ab dem dritten Film der Reihe verzwirbeln sich ständig zwei rote Fäden, die Möglichkeit eines Ausstiegs mit der Idealfrau und die unaufschiebbar dringende Weltrettung.
Reden wir also endlich über die Bond-Filme, die mit steigender Popularität der »M:I«-Spektakel immer älter aussehen. Es gibt neben personellen Überschneidungen – darunter die spätere Bond-Gefährtin Léa Seydoux, in »M:I 4« noch eine Auftragskillerin, die umstandslos aus dem Burj Khalifa geworfen wird – einige Ähnlichkeiten. Geliebte Frauen stehen bei Hunt wie bei der ab 2006 von Daniel Craig verkörperten Bond-Figur für die unerlöste Sehnsucht nach dem rettenden Hafen. Auch die Missionen – die Ausschaltung psychopathischer Schurken, die von apokalyptischen Fantasien angetrieben werden und über ein riesiges Netzwerk sowie unbegrenzte Geldmittel verfügen – sind in ihrem frei drehenden Wahnwitz nahezu deckungsgleich.
Doch Hunt und sein Team müssen obendrein gegen eine weitere Nemesis kämpfen: »die da oben«, die eigenen Vorgesetzten. Wo der Brite James Bond ein arroganter Spesenritter ist, mit der Queen plaudert, in Wellnessressorts herumhängt, in Casinos Fantastilliarden verplempert und Werbung für BMW macht, da ist der Ami Hunt konsequent Sand statt Öl im Getriebe des Systems. Hunt & Co., offiziell verleugnet, sind die Unberührbaren des Agentenmilieus und haben ihrerseits vor hohen Tieren keinerlei Respekt. Jedes Abenteuer weist einen Neben- oder gar Hauptstrang auf, in dem das Team die eigene Regierung sabotiert und intrigante Anzugträger entlarvt. Der Rebell Hunt bricht bereits im ersten »M:I«-Abenteuer in die CIA-Zentrale ein, und in Nr. 5 trägt sein Kompagnon Benji die Maske des britischen Premierministers. Das macht Spaß! Jedenfalls mehr als das »Geschüttelt statt gerührt« und all die anderen Mätzchen von 007. Für so was hat der Schaffer Hunt ebenso wenig Zeit wie für jene elegisch-therapeutische Vergangenheitsbewältigung, in die sich der zunehmend genervt wirkende Bond Daniel Craig zuletzt verirrte.
Den Unterschied zwischen staatstragendem Killer und narrenfreiem Underdog macht »M:I 6« deutlich, wo Ethan Hunt mit August Walker einen CIA-Aufpasser zur Seite gestellt bekommt. Wie es der Zufall will, ist Ex-Superman Henry Cavill ein heißer Kandidat für den nächsten Bond. Und dieses trotz Pornoschnauzers ausnehmend schöne Mannsbild schrumpft neben dem einen Kopf kleineren und 20 Jahre älteren Cruise zum Deko-Objekt mit der Ausstrahlung einer Topfpflanze. Walker steht herum und schaut wichtig – während Zampano Hunt sich mit der Zähigkeit eines Terriers in immer aberwitzigere Kapriolen stürzt.
Wie die Bond-Filme sind auch die »M:I«-Spektakel technisch state of the art und führen jeweils angesagtes digitales Zauberspielzeug vor, wie etwa die AR-Brille, die schon wieder out ist. In den beiden letzten Filmen aber werden Schurken aus Fleisch und Blut von einem selbst lernenden Computervirus, der »Entität«, abgelöst. Zwar hatte der »M:I«-Verschwörungszirkus stets eine metaphysische Unterströmung, in der das Verwirrspiel zwischen loyalen, rebellischen, abtrünnigen und doppelten Agenten an J. K. Chestertons Krimi »Der Mann, der Donnerstag war« erinnert und das Ineinander-Aufgehen von Terror und Terrorabwehr symbolisch für das Hamsterrad der Existenz gelesen werden kann. Mit einer KI, die in HAL-Manier Amok läuft und überdies Bilder fälscht, wird in »M:I 7« und 8 jedoch die Abstraktion auf den Gipfel getrieben und ist mit dem Verstand kaum mehr fassbar.
Umso besser deshalb, dass Tom Cruise, nach dem Ausrutscher mit John Woo, entgegen dem CGI-Trend stur auf händische Skills wie Masken setzt. Neben kindlich beschwingten »Fantomas«-Gaukeleien amüsiert das vor sich hin improvisierende Team auch durch die oft schiefgehenden Versuche, den »Nippel durch die Lasche« zu ziehen. Vor allem aber setzt Cruise auf analoge Action und konterkariert die virtuellen Angebereien mit seinem eigenen Körper. Und dies mit existenziellem Risiko, denn vor »M:I« hatte er sich kaum je an Stunts versucht. Zum Standard in jedem neuen Abenteuer (wiewohl schwer nachprüfbar ist, ob der Schauspieler tatsächlich jeden Stunt selbst vollzieht) gehören halsbrecherische Motorradfahrten und buchstäbliche Cliffhanger: beim Klettern, kopfüber in abstürzenden Bussen und Waggons hängend oder an startenden Flugzeugen. Trotz wochenlangen Trainings und computergestützter Hilfsmittel bleiben die Stunts ein Himmelfahrtskommando. In »Mission: Impossible« ruft ständig der Abgrund.
»Ich möchte wirklich kotzen, wenn ich an den Stress während der Aufnahmen denke«, sagt Regisseur Christopher McQuarrie etwa in Bezug auf Cruises Motorradsprung von einer Alpenklippe in »M:I 7«. Im Vorgängerfilm vollzieht Hunt einen Hechtsprung von einem Hochhaus zum nächsten, und man sieht, wie er weiterhinkt; tatsächlich hatte sich Cruise da gerade den Knöchel gebrochen. Anders als bei ausgebildeten Akrobaten wie etwa Jackie Chan sieht man diesem 170 cm kleinen Actionhelden die Anstrengung und Konzentration bei seinen halsbrecherischen Manövern an. Dieser ins Geschehen eingeschmuggelte Realismus hat auch etwas Ungutes. Denn man wird in die Rolle eines Voyeurs gedrängt, der sich fragt, wie lange der nun 62-jährige Schauspieler seine Kunststückchen noch verkraftet. Und doch ist die authentische Angespanntheit vor dem Sprung in den Abgrund die nötige Zutat, um die größenwahnsinnigen Spektakel zu erden.
Dieses Kino, das sich nicht seiner Herkunft vom Jahrmarkt schämt, erinnert daran, dass die Lichtspiele mehr sind als Theater. Ein Nebenaspekt der weit ausgreifenden Actionsequenzen ist etwa, das in urbanen Verfolgungsjagden – wobei neben dem Motorrad etwa auch ein Fiat 500 Abarth zum Einsatz kommt – eigentlich totfotografierte Orte wieder spannend werden. Denn die Schauplätze sind so klassisch und old school wie die Action: London, Rom, der Vatikan, gar der Kreml. Im bisherigen Highlight der Filmreihe, »M:I – Fallout« (Nr. 6), wird in einer eleganten und einfallsreichen Choreographie Paris durchquert. Der Stadtraum wird, von den Dächern des Grand Palais über die Herrentoilette bis hinunter in die Kanalisation, auf Straßen und Plätzen oder im Gegenverkehr um den Arc de Triomphe zu Spielwiese und Hindernisparcours. Es ist leider bezeichnend, dass die Deutschen als typische Spaßbremsen 2003 die Anfrage »eines Herrn Cruise«, der im Reichstag drehen wollte, abschlugen, obwohl eine Actionszene in der Kuppel einen beträchtlichen Werbeeffekt gehabt hätte.
Die Reihe steht – und fällt – also mit diesem etwas schrägen Star. 2006 erlebte Tom Cruise wegen bizarrer Eskapaden und aggressiver Scientology-Werbung einen Karriereabsturz und bekam vom langjährigen Produktionspartner Paramount die Zusammenarbeit gekündigt. Längst aber ist Cruise, das Stehaufmännchen, das mit manischer Energie und unerschütterlicher Nettigkeit seine Haut zu Markte trägt, eine lebende Legende. Das zeigt auch sein Fallschirmsprung zum Abschluss der Olympischen Spiele in Paris 2024. Worauf es diesem Showman ankommt, der genau weiß, was er will, kann und wie er das Publikum um den Finger wickelt, machte er in einem australischen Fernsehinterview deutlich. Gefragt, warum er bei seinen Motorradstunts keinen Helm trägt, lautete seine Antwort: »Das sieht einfach nicht cool aus«. Recht hat er.
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