Interview: Nia DaCosta über »Hedda«
Nia DaCosta und Tessa Thompson am Set von »Hedda« (2025). © Amazon Content Services LLC
Mit »Hedda« verlegt Nia DaCosta Henrik Ibsens klassisches Drama in das England der 1950er Jahre – eine Welt aus Understatement, gesellschaftlicher Etikette und unterdrücktem Begehren. Inmitten dieser kontrollierten Oberflächen explodiert die Titelheldin, gespielt von Tessa Thompson, als komplexe, queere Frau, gefangen zwischen sozialer Erwartung und innerem Aufruhr. DaCosta, bekannt für ihre präzise Psychologie und ihr Gespür für Atmosphäre, erzählt im Interview beim Filmfest Zürich von ihrer Faszination für Ibsens Frauenfiguren, warum sie die Liebesbeziehung umgeschrieben hat und weshalb ihr Film wie ein eskalierendes Wochenende funktioniert.
Wie sind Sie ursprünglich auf »Hedda Gabler« gestoßen, und was hat Sie dazu bewegt, das Stück neu zu interpretieren?
Ich habe das Stück während meines Masterstudiums in Großbritannien entdeckt. Wir lasen Ibsen, besonders »Ein Puppenheim«, und ich war fasziniert davon, dass ein Mann im Norwegen des 19. Jahrhunderts eine so komplexe Frau porträtiert. Als ich dann »Hedda Gabler« las, war ich völlig hingerissen. Diese Figur ist jenseits von faszinierend – sie ist verrückt, spektakulär verrückt, und dabei gleichzeitig empathisch und einzigartig. Ich wollte mehr über sie verstehen. In London kann man in den Archiven der Theater alte Inszenierungen auf Video sehen, und ich sah mir einige an. Dabei fiel mir auf, dass viele Aufführungen gar nicht so witzig oder verstörend wirkten, wie ich das Stück empfand. Ich wollte diese Ambivalenz, diese Energie, herausarbeiten – das war mein Ausgangspunkt.
Wann entstand die Idee, den Liebhaber oder Ex-Liebhaber Ejlert Løvborg in eine Frau namens Eileen zu verwandeln?
Sehr früh. Noch bevor ich genau wusste, wie die Adaption aussehen sollte, kam mir der Gedanke, dass das dramaturgisch und thematisch spannender wäre. Ich wollte drei Frauen zeigen, die um ihre Autonomie ringen – die versuchen, ganze Menschen zu sein, nicht nur Anhängsel der Männer. Diese Entscheidung rückte auch Thea stärker ins Zentrum. Mir gefiel die Idee, weibliche Selbstermächtigung in unterschiedlichen Facetten zu zeigen.
Was hat Sie an den drei Frauenfiguren – Hedda, Thea und Eileen – besonders interessiert?
Mich faszinierte zunächst vor allem Heddas Beziehung zum Richter Brack. Die beiden scheinen sich gegenseitig am besten zu durchschauen und wissen genau, welches Spiel sie spielen. Das zeigt Heddas enorme Gewandtheit: Sie kann Masken tragen, sarkastisch sein, charmant, verletzlich. Thea hingegen trifft eine radikale Entscheidung – sie verlässt ihr Unglück und rettet damit ihr Leben. Wenn Thea das kann, könnte Hedda es theoretisch auch. Und genau das macht Hedda rasend: nicht nur, dass ihre Ex-Geliebte jetzt Thea liebt, sondern dass Thea den Mut hatte, den sie selbst nicht aufbringt. Sie spricht ständig von Tapferkeit, ist aber nicht mutig genug, ihr Leben wirklich zu verändern. Eileen schließlich ist eine Frau, die auf ganz andere Weise kämpft – sie zwingt Männer, ihr zuzuhören, weil sie so klug und überzeugend ist. Doch auch das stößt an Grenzen, wenn es um Klasse, Rasse und Geschlecht geht. Diese drei Frauen zeigen unterschiedliche Strategien, sich gegen gesellschaftliche Einschränkungen zu behaupten – als Frauen, als Queere, als Menschen, die sich weigern, klein zu machen.
Wie verändert die queere Perspektive den Blick auf Ibsens Welt?
Das war gar kein bewusster Plan am Anfang. Ich machte Eileen zur Frau, weil es sich richtig anfühlte – und merkte dann: Jetzt sind alle drei Frauen queer. Das ergab eine neue Schicht. Sexualität ist etwas Grundlegendes, wie Augen- oder Haarfarbe – einfach Teil des Menschseins. Aber queer zu sein bedeutet, dass einem die Gesellschaft dieses Selbst oft abspricht. Dadurch wurde die Geschichte noch schmerzhafter und dringlicher: Drei Frauen, die nicht nur um ihre Stimme, sondern um die Erlaubnis kämpfen, überhaupt sie selbst zu sein.
Heddas Hautfarbe dagegen spielt keine explizite Rolle. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Ich wollte eine bestimmte Realität britischer Gesellschaft abbilden: Frauen gemischter Herkunft, die sich sozial bewegen können – etwa durch Bildung oder Herkunft –, aber dennoch immer als Schwarze Frauen wahrgenommen werden. Diese doppelte Position – sichtbar und doch ausgeschlossen – fand ich spannend. Mir ging es aber nicht darum, ein Lehrstück über Rassismus zu drehen. Ich wollte zeigen: Diese Frau erlebt alles, was sie erlebt, und sie ist eine Frau of Color, und sie ist queer. Das sind einfach Facetten ihres Lebens, die ihr Erleben färben – ohne dass man sie didaktisch hervorheben muss.
Der Film hat ein starkes Tempo, eine dichte Atmosphäre, getragen auch von Hildur Guðnadóttirs Musik. Wie haben Sie den Rhythmus gefunden?
Ich mag Filme, die sich langsam aufbauen – und dann plötzlich explodieren. Erst ein ruhiger Beginn, dann Fahrt aufnehmen, bis der Zug am Ende in das Gebäude kracht. Ich wollte, dass das Publikum von dieser Energie mitgerissen wird. Darum spielt der Film über ein einziges Partywochenende. Vieles, was Ibsen nur andeutet, passiert bei uns vor der Kamera. Diese Party ist die Konsequenz von Heddas Impulsivität. Wir beginnen an einem Ort – und enden an einem völlig anderen, obwohl wir physisch kaum den Raum wechseln. Das liebe ich. Als ich das Drehbuch meiner Agentin schickte, fragte sie: »Kennst du »Das Fest« von Thomas Vinterberg?« Ich sah den Film zum ersten Mal – und war begeistert. Diese Mischung aus Humor, Abgrund und der Entschlossenheit, eine Wahrheit auszusprechen, egal wie zerstörerisch – das hat mich stark beeinflusst.
Sie arbeiten zum zweiten Mal mit Tessa Thompson. Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit entwickelt?
Wir sind beide gewachsen – als Künstlerinnen, als Menschen, auch in unserer Position in der Branche. Tessa spielte in meinem ersten Film, der noch unter einer Million Dollar kostete. Damals stand ihre Karriere erst am Anfang. Jetzt begegnen wir uns auf Augenhöhe, als Profis, die wissen, was sie tun – und als enge Freundinnen. Sie sagte einmal: ‚Mit dir einen Film zu drehen ist wie mit deiner Partnerin zu drehen.‘ Das trifft es ziemlich gut. Wir haben eine große Vertrautheit, sprechen direkt, ohne Umschweife – etwas, das ich mit anderen Schauspielerinnen nicht wagen würde. Bei »Hedda« war die Herausforderung, dass ihre Figur moralisch viel ambivalenter ist als frühere Rollen. Wir mussten einen gemeinsamen Zugang finden – und haben ihn nicht vollständig gefunden, was aber auch produktiv war. Hedda tut schreckliche Dinge, und Tessa musste sie trotzdem verkörpern. Ich hingegen musste sie als Regisseurin zugleich als Figur und als Symbol begreifen. Diese Spannung hat unsere Arbeit sehr geprägt.
Wie kam Nina Hoss ins Spiel – und warum war sie die richtige Wahl?
Ich kannte Ninas Arbeit seit Jahren – seit ich als Studentin in New York in den kleinen Programmkinos saß, etwa im Lincoln Plaza. Ich erinnere mich noch an das Plakat von Christian Petzolds »Barbara« – Nina auf dem Fahrrad – und war sofort fasziniert. Später schlug mir ihre Agentin vor, sie zu besetzen, und ich dachte: Natürlich! Inzwischen war »Tár« erschienen, und alle redeten über sie. Heute erscheint mir die Entscheidung völlig selbstverständlich. Sie ist, wie ich inzwischen gelernt habe, die Lieblingsschauspielerin vieler Kolleg*innen. Zwei meiner Darstellerinnen waren so begeistert, dass sie jeden Abend in ihr Tagebuch schrieben: »Ich habe heute mit Nina Hoss gespielt.« Das sagt alles.
Nina Hoss hatte vor Jahren in Berlin bereits »Hedda Gabler« am Deutschen Theater gespielt. Haben Sie darüber gesprochen, dass sie nun deren Gegenpart Eileen spielt?
Nur am Rande. Ich glaube, sie und Tessa haben sich intensiver darüber ausgetauscht. Für sie war es spannend, eine Figur zu verkörpern, die das genaue Gegenteil von Hedda ist – emotional, moralisch, funktional. Aber wir haben das nicht theoretisch seziert. Es war einfach da, im Spiel.








Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns