KI – Was wollen wir damit machen?

Interview mit KI-Spezialistin Nira Bozkurt
Komplett aus KI-Bildern generiert: »Telepathic Letters« (Edgar Pêra, 2024)

Komplett aus KI-Bildern generiert: »Telepathic Letters« (Edgar Pêra, 2024)

Das Interview ist Teil des KI-Schwerpunkts in unserem November-Heft. Es wird dort von Beiträgen zu aktuellen KI-Entwicklungen in den Bereichen Visual Effects, Experimentalfilm, Schauspiel, Animation, Vorspann/Artwork/Marketing sowie Sound und Synchronisation eingerahmt. Ein Blick ins Heft lohnt sich!

Die in Bietigheim bei Ludwigsburg aufgewachsene Nira Bozkurt arbeitet seit 2016 mit Extended Reality (XR) und KI für immersives Storytelling, seit 2022 beschäftigt sie sich intensiv mit den Potenzialen und Risiken generativer KI, doziert an Filmhochschulen KI-Tools und spricht auf internationalen Fachveranstaltungen darüber. Im September startete sie in der neu eingerichteten Position als KI-Officer an der Filmakademie Baden-Württemberg.

epd Film: Sie haben seit Kurzem eine sogenannte KI-Officer-Stabsstelle an der Filmakademie Baden-Württemberg inne. Welche Tätigkeiten beinhaltet diese Position?

Nira Bozkurt: Sie beinhaltet, zusammen mit der Geschäftsführung eine Strategie zu erarbeiten, wie wir mit KI in der Ausbildung umgehen, sowie Richtlinien für den Einsatz von KI und Machine Learning zu erstellen. Darüber hinaus evaluiere ich die neuesten Tools und berate hinsichtlich der Auswahl von ethisch vertretbaren, künstlerisch kontrollierbaren und nachhaltigen Modellen und Workflows. Die Rolle ist natürlich ganz neu und es entsteht gerade alles noch.

Das heißt, fest integriert ist die Arbeit mit KI in der Ausbildung noch nicht?

Genau. Wir evaluieren noch, wie wir vorgehen können und wo es Sinn macht. Die Filmakademie Baden-Württemberg hat da auch Learning by Doing als Grundprinzip. Wir wollen die Studierenden und auch Mitarbeitende und Lehrende dazu ermutigen, Tools zu testen, damit zu experimentieren, die Möglichkeiten und Limitierungen kennenzulernen, aber auch rechtliche und ethische Bedenken zu verstehen.

Wenn Sie von Tools sprechen, um welche Bereiche geht es dann konkret?

Alles, was die Film- und Medienproduktion betrifft – an der Filmakademie wird auch Game-Produktion gelehrt, deswegen Medienproduktion ganz allgemein. Einige Abteilungen haben schon Erfahrungen gemacht mit verschiedenen Tools, aber es ist nicht so, dass wir konkrete Modelle festgelegt hätten, sondern wir stehen am Anfang. Aber grundsätzlich schließt das alle denkbaren Gewerke ein.

Und gibt es in der Filmproduktion selbst schon Bereiche, in denen KI besonders verbreitet ist?

Bei Previz (Prävisualisierung) und in der Postproduktion wird schon sehr viel gemacht. Und was die Formate angeht, sind es die Kurzformate. Gerade in der Werbung wird viel damit gearbeitet.

Ich habe oft das Gefühl, dass die mit KI erstellten Filme eher experimentell und auch selbstreferenziell sind und dass es bei dem, was zukunftsträchtig sein könnte, eher um einzelne Bestandteile und Arbeitsschritte geht. Ist das auch Ihr Eindruck?

Ja, das ist auch meine Wahrnehmung, dass das partiell eingesetzt wird. Es gibt natürlich viele Automatisierungsversuche: automatisierte Bilderstellung, automatisierte Bildanimierung. Aber das ist wirklich mehr ein Produkt als ein Film. Keine fiktionale Erzählung, nichts, was ich persönlich als Film bezeichnen würde.

Ist denn Animation ein Hauptbereich von KI? Oder wie sieht es zum Beispiel mit der Drehbuchentwicklung aus?

Eine vollständige Drehbuchentwicklung mit KI ist eher schwierig. Ganz einfach deshalb, weil KI-Tools technisch limitiert sind und bei Langformaten nicht funktionieren. Memoryfunktionen, Systeme und agentische Workflows, mit denen man versucht, über eine längere Strecke Konsistenz zu wahren, was ja bei Charakterentwicklung und Stoffentwicklung notwendig ist, funktionieren noch nicht so gut. Die Systeme, die eben nicht lange Texte im Kontextfenster verarbeiten können, verlieren Informationen, wenn etwas extrahiert wird, um es in einem neuen Output weiterzuverarbeiten. Deswegen kann man das bei der Drehbucherstellung eher als Sparringpartner nutzen. Deutsch ist auch nur limitiert trainiert, bei realen, fortwährenden Produktionen sieht man die Muster und sprachlichen Einschränkungen sehr deutlich.

Bei Animation hingegen ist schon sehr viel möglich. Es gibt AI-Tools für Rotoscoping, Upscaling, Motion Capture, Optimierungsfunktionen in professioneller Software wie Nuke bis hin zu GenAI-Tools für Concept Art und Bildanimationen. Die Frage ist natürlich immer, inwieweit das Ergebnis künstlerisch kontrollierbar ist. Für mich sind die wirklich nützlichen Tools nur die, die Künstler*innen für ihre Vision nutzen können.

Also ist es im Grunde eine Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten ähnlich wie CGI?

Ja, wenn man einen künstlerischen Anspruch hat. Ich finde auch den Vergleich mit Filmschnitt immer ganz gut. Der Übergang zum nonlinearen Schnitt, aber auch die Revolution, als Programme kamen, die sich jeder kaufen und auf seinem Rechner nutzen konnte, statt Software in teurer Hardware samt Schnittsuite zu buchen.

In dem Kontext finde ich ganz interessant, dass Sie bei der Ankündigung Ihrer neuen Stelle davon sprachen, dass KI auch eine Möglichkeit für unabhängige Filmschaffende sei.

Ja, eine kostengünstige, größere Verfügbarkeit. Man kann viel mehr machen. Die Medienbranche ist im Umbruch und KI-Tools sind eine große Chance für unabhängige Filmschaffende, insbesondere hinsichtlich der Creators Economy. Also wenn man Handwerk, KI-Tools und eine Vision mitbringt, öffnen sich da ganz neue Türen.

Viele fürchten aber, dass bei der Arbeit mit KI die Kreativität verloren geht. Was muss denn passieren, dass die erhalten bleibt?

Es ist die Kontrollierbarkeit. Für mich ist wirklich der Maßstab, ob ich meine Vision umsetzen kann. Kompromisse macht man ja immer, aber ich darf nicht auf meine Vision verzichten. Also wenn man Sachen hinnimmt, nur um halt irgendetwas zu haben, dann ist es wirklich einfach KI-generiert. Wir wollen ja eine Geschichte erzählen, etwas kommunizieren, mit einer Intention, mit Herzblut. Und dafür braucht man Tools. Und wenn diese Tools erschwinglich sind, haben wir Zugang zu neuen Märkten, zu neuen Möglichkeiten. Aber sobald das Tool anfängt, mich und meine Vision zu beherrschen, stimmt etwas im Verhältnis nicht mehr.

Und wie kann man sicherstellen, dass solche Tools tatsächlich breit verfügbar sind und nicht von den großen Konzernen und Studios dominiert werden?

Es gibt Alternativen zu den kommerziellen Tools, es gibt lokale Nutzungsmöglichkeiten, Open-Source-Modelle, lizenzierte Modelle, europäische Modelle. Klar, es ist schwierig, mit den amerikanischen und chinesischen Konzernen mitzuhalten, aber es gibt Entwicklungen. Das ist auch etwas, was wir mitgestalten wollen. Wir haben an der Filmakademie auch eine starke Research-&-Development-Abteilung und werden Sachen ausprobieren und schauen, mit wem wir was machen können. Wir wollen eben nicht abwarten, dass etwas mit uns passiert, sondern wir wollen Studierende auf den Markt vorbereiten und dafür sorgen, dass sie unter Beibehaltung ihrer Grundausbildung Zusatzqualifikationen bekommen.

Sie sprachen den Vergleich mit anderen Ländern an. Hinkt die deutsche Filmbranche beim Umgang mit KI hinterher?

Die großen Studios haben natürlich große Research-Abteilungen, die vielleicht schon etwas weiter sind. Man hat das ja jetzt auch bei einigen Hollywood-Blockbustern mitbekommen, dass partiell KI eingesetzt wurde. Netflix zum Beispiel ist eine Tech-Company, natürlich werden die damit schon breit forschen. Ich würde aber nicht sagen, dass wir filmproduktionstechnisch irgendwie den Anschluss verloren hätten. Wir sind mittendrin im Umbruch und es entsteht gerade alles, auch die Haltungen dazu. Fragen wie Copyright und Datenschutz zum Beispiel, da müssen die Amerikaner auch erst noch ihre Haltungen dazu entwickeln, allein schon, um ihr bisheriges IP-Geschäftsmodell zu erhalten oder neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Welche gesetzlichen Regelungen sind denn notwendig? Sie sprachen ja auch von einem ethischen Rahmen, den Sie schaffen wollen.

Zum einen muss man natürlich wissen, wie die ganzen Modelle funktionieren. Das ist das A und O, das wir auch den Studierenden mitgeben wollen. Dann ist wichtig: Wie ist die KI trainiert worden? Ist das mit lizenzierten oder unlizenzierten Datensätzen geschehen? Was ist mit den Urheberrechten am Output der KI? Das sind die wichtigsten Fragen, was das Rechtliche betrifft. Datenschutz ist natürlich auch relevant. Und eben Transparenzpflicht. Das bedeutet, dass alle, die KI nutzen, das transparent kommunizieren und erklären, was KI-generiert ist. Mit dem EU AI Act gibt es da schon einen guten Rahmen, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wie das alles im Einzelnen ausgestaltet wird.

Man hört ja auch immer wieder, dass KI zum Beispiel stereotype Rollenbilder reproduziert. Wie kann man das verhindern?

Es gibt Audits, Tests und inzwischen auch ganz viele Filter. Aber vor allem muss man sich bewusst sein, dass sowohl die Trainingsdaten als auch die AI-Engineers selbst Vorurteile haben können. Es ist ja alles eine Perspektive. Jeder Mensch hat eine Perspektive, jede Erzählung hat eine Perspektive. Und als User sollte man natürlich darauf achten: Was sehe ich gerade? Gestern habe ich zum Beispiel ein Bild gesehen, das Deutschland zeigen sollte, aber ich habe eine amerikanische Kleinstadt in den Häusern erkannt. Oder wenn man sagt, ich möchte einen dunkelhäutigen CEO mit Hoodie im Bild haben, bekommt man einen Gangsterrapper mit goldenen Zähnen. Da merkt man so was natürlich ganz stark. Was Textgenerierungs-Tools am Anfang fast immer gemacht haben, war, dass in jeder Geschichte, die in Deutschland spielte, ein Nazi auftauchte. Bei den Bildgeneratoren war es so, dass bei »deutsche Frau« immer eine blonde, blauäugige Frau mit Dirndl gekommen ist. Da ist man als reflektierter Mensch einfach gefordert, diese Art von Vorurteilen zu erkennen. Und als Geschichtenerzähler und Geschichtenerzählerin sollte man ein Bewusstsein dafür haben, was man macht und was man reproduziert.

Am Ende des Tages muss ich mich fragen: Will ich das erzählen? Will ich erzählen, dass jede deutsche Frau blond und blauäugig ist und ein Dirndl trägt?

Kann ja auch manchmal sein, dass man das erzählen möchte.

Das heißt, das wäre dann auch der menschliche Faktor bei der Arbeit mit KI, dass man ein Ergebnis bekommt und sagt Nein, das möchte ich nicht erzählen, oder Ja, das möchte ich erzählen?

Natürlich, die kritische Reflexion ist ein ganz wichtiger Teil dessen, was wir hier machen wollen.

Jetzt gibt es ja bei technischen Entwicklungen auch immer sporadische Hypes, beispielsweise der Hype um 3D. Was ist denn bei KI tatsächlich zukunftsträchtig und was vielleicht auch nur ein Trend, der wieder abebbt?

KI ist tatsächlich kein Trend. Klar, bei 3D haben auch alle geschrien: »Game Changer!« Aber jetzt haben wir ihn wirklich. KI betrifft ja nicht nur die Medien, sondern sie durchdringt alles – gesellschaftlich, sozial, politisch. Es wird natürlich viel gefakt, um Investoren anzuziehen. Dann heißt es, das funktioniert jetzt super, wir können alles vollautomatisch machen, die KI kann meine Gedanken lesen und macht dann einen personalisierten Film. Solche Illusionen, um gewissermaßen die Bubble am Leben zu halten, gibt es natürlich. Was wirklich stimmt, ist, dass man es in der Visualisierung, in der Postproduktion, beim Schreiben, bei allen Schritten der Film- und Medienproduktion einsetzen kann. Und ich persönlich sehe das nicht als Bedrohung. Ich finde es eher interessant, sehe es als Bereicherung und bin neugierig.

Das klingt nach einem sehr positiven Blick in die Zukunft.

Es ist mit KI wie mit allem anderen auch: Sie ist per se weder gut noch schlecht. Es ist immer der Mensch, der etwas damit tut. Natürlich kann ich mir auch vorstellen, dass es viel zu automatisierte Sachen geben wird und durchschnittliche Filme. Und wahrscheinlich werden die auch ein Publikum finden. Aber ich bin schon immer technologieaffin gewesen. Filmemachen an sich ist technologisch. Und jetzt kommt etwas Neues. Das ist eine Riesenchance auch für unabhängige Filmschaffende. Natürlich werden Jobs wegfallen, da brauchen wir uns nicht in die Tasche zu lügen. Aber das ist auch schon vor 25 Jahren in den Fabriken passiert, als automatisiert wurde. Das ist ein natürlicher Prozess, dafür entstehen neue Dinge.

Muss man sich denn darauf einstellen, dass die Arbeit mit KI-Tools elementar sein wird, wenn man zukünftig in der Filmbranche arbeiten möchte?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Neben den Grundfertigkeiten des Filmemachens. Ich glaube, dass die Zukunft denen gehört, die beides können. Denn wenn du dein Handwerk beherrschst, kannst du Tools anders einsetzen. Es ist nicht die Technik an sich, die etwas gut macht. Deswegen glaube ich, dass man beides braucht zukünftig. Und ich glaube auch, dass junge Nachwuchsfilmschaffende diese Tools lernen und damit experimentieren sollten. Sie müssen sich auf jeden Fall auch bewusst machen, womit sie es zu tun haben. Damit sie eben nicht abhängig sind von den Meinungen anderer, sondern selbst entscheiden können: Gehen sie das ethisch an, gehen sie das rechtlich an, gehen sie das künstlerisch an – was möchten sie damit tun?

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