Remakes: Heute hier, morgen dort

»Final Cut of the Dead« (2022). © Lisa Ritaine

»Final Cut of the Dead« (2022). © Lisa Ritaine

An Hollywood-Remakes internationaler Stoffe hat man sich gewöhnt. Es geht aber auch andersherum: von ­Hollywood nach Indien und Fernost.  Oder gleich ganz ohne die Amerikaner, wie aktuell die französische Adaption des japanischen Zombiefilms »One Cut of the Dead« ­beweist. Tim Lindemann über die trans­nationale Wanderung von Filmstoffen

Abklatsch, Ersatz, aufgewärmt, »das Original war besser« – trotz beständiger Publikumserfolge wird das Phänomen Remake in der Filmwelt oft als minderwertig abgetan. Da spielt es meist kaum eine Rolle, dass der Prozess der Nacherzählung wohl so alt sein dürfte wie die Erzählkunst an sich. Diese Form der Kritik gewinnt an zusätzlicher Schärfe, wenn es sich bei dem jeweiligen Remake um eine transnationale Adaption handelt, wirft dies doch unweigerlich Fragen nationaler Identität auf und erzwingt einen Vergleich der kulturellen Relevanz zweier Länder. 

Das lässt sich am besten an den Remake-Weltmeistern aus Hollywood verdeutlichen; schließlich beruht die US-Filmindustrie seit ihren Anfängen nicht nur auf der Abwerbung vielversprechender Talente aus dem Rest der (zumeist westlichen) Welt, sondern auch auf der Aneignung nichtamerikanischer Stoffe. Man nehme etwa »Höhere Gewalt«, Ruben Östlunds bissige Abrechnung mit skandinavischer Männlichkeit, die sich in Europa zu einem ansehnlichen Hit entwickelte, für den Golden Globe nominiert wurde und – für europäische Filme immer noch sehr selten – sogar in US-Kinos zu sehen war. Die Amerikaner machten daraus »Downhill«, eine eher belanglose Mainstream-Komödie, die trotz Top-Besetzung (Julia Louis-Dreyfus, Will Ferrell) weder Kritiker noch Publikum begeisterte. Es handelt sich hier um einen typischen Fall zu einer gängigen Annahme, die der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser so zusammenfasst: »Europa steht für Kunst, Amerika für Pop; Europa steht für Hochkultur, Amerika für Massenvergnügen.« Das Hollywood-Remake wird stets besonders kritisch beäugt und im Extremfall als Indiz für weltweite Amerikanisierung betrachtet.

Um dem Phänomen Remake auf die Spur zu kommen, lohnt es sich deshalb, den Blick von Hollywood abzuwenden. Aktuell hat sich etwa der französische Filmemacher Michel Hazanavicius (»The Artist«) des japanischen Zombie-Überraschungshits »One Cut of the Dead« angenommen, in dem die Crew eines Zombiefilms von echten Zombies attackiert wird. Hazanavicius fügt in seiner Verfilmung des ohnehin schon metatextuellen Originals noch eine weitere Ebene hinzu, indem er die Ignoranz europäischer Filmemacher gegenüber dem östlichen Kino bewusst persifliert. Als Horrorfilm funktioniert das zwar nur bedingt, ruft aber die lange Tradition japanischer Stoffe im europäischen Kino in Erinnerung. Berühmtestes Beispiel dafür ist wohl der Italowestern-Klassiker »Für eine Handvoll Dollar« von Sergio Leone, der sich sein Setting zwar aus den USA, die gesamte Struktur der Erzählung aber aus Akira Kurosawas Samuraifilm »Yojimbo« entlieh. Jede einzelne Figur in Leones Kultfilm um zwei verfeindete Clans und einen mysteriösen Fremden (Clint Eastwood), der sie gegeneinander ausspielt, hat eine direkte Entsprechung in Kurosawas Original. Da sich Leone nie um Verwertungsrechte bemüht hatte, kam es zum Rechtsstreit, der schließlich außergerichtlich geklärt wurde: Kurosawa erhielt einen Anteil an den weltweiten Einnahmen.

Japan hat seine eigene Remake-Kultur, deren Produkte allerdings nur sehr selten den Weg zurück auf westliche Bildschirme finden. Ein obskurer Eintrag ist etwa die japanische Adaption der US-Kultkomödie »Sideways« von Alexander Payne, in der sich Paul Giamatti und Thomas Haden Church als Kumpel in der Midlife-Crisis durchs kalifornische Weingebiet Napa Valley trinken. Anstatt die Geschichte aber nach Japan zu verfrachten (und die Charaktere auf eine Tour durch die besten Shochu-Destillerien zu schicken), reisen die Hauptdarsteller Fumiyo Kohinata und Katsuhisa Namase auch hier nach Kalifornien. Mag der Film auch nicht ganz an Paynes humorvolle Melancholie heranreichen, erinnert er westliche Zuschauer doch erfolgreich daran, dass sie nicht das weltweite »Standardpublikum« sind und andere Perspektiven auf etablierte Stoffe durchaus existieren. Eine Art direkte Revision des Kurosawa-Leone-Komplexes nimmt der japanische Regisseur Lee-Sang-il in »The Unforgiven« mit Ken Watanabe vor. Indem er Clint Eastwoods Rachewestern »Erbarmungslos« ins Samurai-Genre überträgt (und noch eine gehörige Schippe Weltschmerz drauflegt), verdeutlicht er die transnationale Verwandtschaft der beiden Genres diesmal von östlicher Seite.

Auch anderswo in Asien entstehen prestigeträchtige neue Versionen von Hollywoodvorlagen: Der chinesische Altmeister Zhang Yimou verfilmte 2009 »Blood Simple«, das Debüt der Coen-Brüder, unter dem Titel »A Woman, A Gun and a Noodle Shop«. Die Noir-Coolness der Coens ersetzt er allerdings durch theaterhaften Slapstick und das Südstaaten-Setting durch ein majestätisches Wüstenpanorama. Von westlichen KritikerInnen größtenteils geschmäht, ist das Remake für den Filmwissenschaftler Kenneth Chang der erfolgreiche Versuch, stärkere Frauenfiguren ins chinesische Kino einzuführen und den liberalen Vorlieben westlicher FestivalkuratorInnen entgegenzukommen: Der Plot um eine von ihrem brutalen Ehemann unterdrückte Frau, die fremdgeht und schließlich blutige Rache an ihren Peinigern nimmt, passt da hervorragend. So erkennt Chan in Yimous Adaption einen »filmischen Pragmatismus«, der das transkulturelle Remake im Spektrum kultureller wie ökonomischer Interessen verankert. 

Die Verbindung »Hollywood zu Bollywood« hat ebenfalls schon lange Tradition: Es existieren indische Versionen von »Forrest Gump« (»Laal Singh Chaddha«), »Kevin – Allein zu Haus« (mit dem verwirrenden Titel »Hari Puttar«) und »Mrs. Doubtfire« (»Chachi 420«) – letzterer ist sogar das Remake eines Remakes, bezog sich »Chachi 420« doch auf eine vorherige Adaption der tamilischen Kollywood-Filmindustrie. Als bekanntester Vertreter mag hier vielleicht Sanjayi Guptas »Kaante« (2002) gelten – eine Neuverfilmung von Quentin Tarantinos »Reservoir Dogs« mit einem indischen Top-Cast, die sogar Tarantinos Segen erhielt: Von allen Nachahmern seines Stils sei ihm »Kaante« am liebsten. Hier mag man zudem anmerken, dass »Reservoir Dogs« selbst ein Quasi-Remake von Ringo Lams Hongkonger Gangsterklassiker »City on Fire« von 1987 ist.

»Reservoir Dogs« (1992)

In Europa sind die Grenzen der zahlreichen nationalen Filmindustrien noch durchlässiger und Remakes und Neuverfilmungen sozusagen an der Tagesordnung. Vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das oft noch drängendere Gründe als heutzutage; die Geschichte der Emigration von in Europa verfolgten Künstlern nach Hollywood ist allgemein bekannt, doch viele verschlug es etwa auch nach Großbritannien. Der Filmhistoriker Tim Bergfelder hat nachvollzogen, wie viele deutsche Regisseure entweder aus Gründen direkter Verfolgung durch den Faschismus oder aus schlichter politischer Abneigung das Land verließen und in England Remakes deutscher Filme drehten. Als interessantes Beispiel nennt Bergfelder Günther Stapenhorst, einen konservativen Ex-Offizier und Filmproduzenten. Nach der »Machtergreifung« emigrierte er nach London und adaptierte deutschnationalistische Stoffe wie etwa Luis Trenkers »Der Berg ruft« für den britischen Markt.     

In der Gegenwart vollziehen sich solche innereuropäischen Transfers von Filmstoffen geräuschlos durch den permanenten An- und Verkauf von Verwertungsrechten. An anderer Stelle wurde hier bereits über den im Guinness-Buch der Rekorde verewigten Fall des achtzehnfachen »Synchronremakes« berichtet, das in Deutschland unter dem Titel »Das perfekte Geheimnis« veröffentlicht wurde, ursprünglich aber auf dem italienischen »Perfetti sconosciuti« beruhte. Zu den weniger spektakulären Fällen gehört etwa der niederländische Jugendfilm »Misfit« (2017): Regisseur Erwin van den Eshof adaptierte seinen Film zwei Jahre später persönlich für den deutschen Markt unter dem gleichen Titel. Der Italiener Luca Guadagnino verfilmte den französischen Film »Der Swimmingpool« erfolgreich neu als »A Bigger Splash«; Sönke Wortmanns »Der Vorname« und »Contra« beruhen ebenfalls auf französischen Vorlagen; Christian Alvart hat sich auf Spanien verlegt: mit »Steig. Nicht. Aus!« nach »Anrufer unbekannt« und »Freies Land« nach »La isla mínima«. Aktuell hat mit »EO«, dem neuesten Werk des polnischen Autorenfilmers Jerzy Skolimovski, sogar ein innereuropäisches Remake Chancen auf den Auslandsoscar: Der Film folgt dem Leben eines Esels, der in einem polnischen Zirkus geboren wurde, und beruht lose auf dem französischen Klassiker »Zum Beispiel Balthasar« von Robert Bresson.

Dieser kleine Ausschnitt internationaler Filmadaptionen verdeutlicht einerseits die komplexen Verstrickungen globaler Remake-Praktiken und andererseits die Beschränktheit einer automatischen Abwehrhaltung gegenüber Remakes. Diese geht zumeist auf eine Abneigung gegenüber Hollywoods »kulturimperialistischen« Geschäftspraktiken zurück, reduziert selbst dabei aber die Diversität der weltweiten Filmindustrien auf ein falsches Spiegelbild Hollywoods. Denn das Remake war nie ein reines US-Phänomen. Es zeugte vielmehr schon immer vom interkulturellen Austausch von Geschichten und Ideen, der in einer globalisierten Welt selbstverständlich zunimmt. Gerade wenn »kleinere« Filmnationen sich an die Adaption von Stoffen aus dominanten Industrien wagen, kann man das durchaus als subversiven Akt sehen, als Feststellung einer Gleichwertigkeit in einer leider immer noch ungleichen Filmwelt.    

So lässt sich das Remake vielleicht am besten als Ausdruck eines fluiden Austauschs von Erzählungen verstehen, die in unterschiedlichen nationalen Kontexten zwar verschiedene Bedeutungen annehmen können, aber doch auf eine gemeinsame Frage, ein geteiltes Interesse hinweisen. Die neoliberale Chiffrierung von Kunst als »Content« täuscht nämlich darüber hinweg, dass hinter transnationalen Adaptionen und Übersetzungen mehr steckt als bloßer Handel mit Verwertungsrechten und »geistigem Eigentum«. Sie weisen viel mehr auf eine andauernde Weiterentwicklung des Kinos als Kunstform hin – ein vielstimmiges Übersetzen in andere Sprachen, andere Kulturen und zunehmend auch in neue visuelle Medien. 

Bereits die frühesten Filme von den Gebrüdern Lumière, George Méliès und anderen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Ländern neu verfilmt und den sich rapide entwickelnden technischen Möglichkeiten des Kinos angepasst. Vielleicht trifft es die Interpretation von Bernardo Bertolucci am besten, der einmal im Interview sagte, er sähe die Geschichte des Kinos nicht als eine Reihe von Remakes, sondern als »einen endlosen Film, signiert von verschiedenen Autoren in einem komplexen Spiel von Zitaten, Einflüssen, Variationen und Referenzen«.

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