Kritik zu La isla mínima – Mörderland

© Drop-Out Cinema

Zwei »True Detectives« im Sumpfland von Südspanien: Alberto Rodríguez gewann mit seinem stimmungsvollen Vergangenheitsbewältigungskrimi zahlreiche Festivalpreise und räumte im letzten Jahr mit zehn Auszeichnungen auch bei den Goyas, den spanischen Oscars, ab

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Aus der Vogelperspektive betrachtet ist das Marschland des Guadalquivir im südlichen Spanien von bizarrer Schönheit: Verästelte Flussadern malen ein abstrakt anmutendes Muster in die flache Landschaft mit wechselnden, fast künstlich erscheinenden Farben. Aus der Perspektive derjenigen, die hier als Fremde ankommen, erscheint die Landschaft endlos, öde und feindlich mit ihrem Labyrinth aus Wasserwegen. Dazu noch haben die beiden Kommissare Juan (Javier Gutiérrez) und Pedro (Raúl Arévalo) eine Autopanne bei der Anreise. Das ungleiche Paar ist in die Gegend gekommen, um das Verschwinden zweier Schwestern im Teenageralter aufzuklären. Aber die Chancen auf ein schnelles Vorankommen stehen schlecht. Nicht nur, dass sich bei ihrer Ankunft niemand besonders kooperativ zeigt, auch untereinander beäugen sich die beiden Männer misstrauisch.

Auf den ersten Blick geben sie ein fast klischeehaftes Gegensatzpaar ab: Juan scheint der Typ »abgebrühter Veteran« zu sein, und der jüngere Pedro, der Jungspunt voller Elan, der noch Ideale hat. Interessant werden diese Unterschiede, weil Alberto Rodríguez seinen Film im Herbst 1980 spielen lässt. Franco ist seit fünf Jahren tot, aber in welche Richtung Spanien sich entwickeln wird, ist noch umkämpft und unklar. In dem Hotel, in dem die Kommissare schließlich unterkommen, findet Pedro ein Kruzifix, das mit Hitler- und Franco-Porträts verziert ist. Er versteckt es sichtlich angewidert in der Schublade, während sein Kollege mit undurchschaubarem Grinsen kommentiert: »Das ist dein neues Land!«

Kurze Zeit darauf werden die Leichen der verschwundenen Mädchen entdeckt. Die Tatsache, dass sie schwer misshandelt wurden und dass es weitere verschwundene Mädchen gibt, zieht die Aufmerksamkeit des Zuschauers für einige Zeit weg von der Dynamik zwischen den Kommissaren und hin zu einem so düster wie undurchdringlich scheinenden Geflecht aus Armut, Illegalität, Korruption und Hinterwäldlertum. Da gibt es den Vater der Mädchen, der ganz offenbar seine Frau schlägt. Letztere steckt den Ermittlern heimlich einige wichtige Hinweise zu. Der Verdacht konzentriert sich bald auf einen jungen Schönling, der auf die jungen Mädchen der Gegend offenbar eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Vielleicht fallen sie auch nur auf das falsche Versprechen von einem Job anderswo, in besseren Gegenden, herein. Ein einsames Haus im Marschland spielt eine Rolle, genauso wie ein abgehalfterter Fotograf, auf dessen Dienste Pedro zurückgreift. In der nahen Fabrik wird unterdessen für einen besseren Lohn gestreikt, deren Besitzer aber scheint noch die Privilegien eines Adelsfürsten zu genießen.

Je näher Juan und Pedro der Lösung ihres Falles kommen, desto mehr kommt wieder ihre Gegensätzlichkeit in den Blick. Nur anders, als man zunächst denkt: Der linke Idealist Pedro sieht sich zunehmend konfrontiert mit seinen eigenen finsteren Seiten. Eine Entdeckung, die ihm auch deshalb Unwohlsein bereitet, weil er Dinge über Juan erfährt, die er nur schwer mit dem ihm gegenüber absolut loyalen älteren Kollegen zusammenbringen kann, der ihm schlussendlich sogar das Leben rettet. Der »Pakt des Schweigens«, der die spanische Gesellschaft nach den Franco-Jahren oberflächlich vor Konflikten bewahrte, vergiftet gleichzeitig noch Jahre später auch gut gemeinte Taten.

Die Verbindung aus düsterer Krimigeschichte und Vergangenheitsbewältigung ist keine Neuerfindung. Aber Rodríguez reichert seine Variation mit so viel besonderer Atmosphäre an, dass man gar an die erste Staffel von »True Detective« denken muss. Oberflächlich fühlt man sich vom Mysterium der Mordfälle gefesselt, in Wahrheit aber ist es eine Figur wie Juan, von der man die Augen nicht lassen kann. Javier Gutiérrez verführt den Zuschauer, indem er ihm die richtige Dosis an melancholischem, lebensmüdem Charme verleiht, aber dahinter wieder und wieder den Schrecken des Vergangenen aufblitzen lässt. »La isla mínima« ist in jedem Fall einer der spannendsten Filme des Kinosommers.

Meinung zum Thema

Kommentare

.... für diese Filmkritik! Hätte ich sie nicht hier gelesen, wäre mir ein wirklich sehenswerter Film entgangen. Sehr gelungen fand ich auch die stimmungsvolle, nie aufdringliche Filmmusik.

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt