Mads Mikkelsen: Der große coole Schweiger

Mads Mikkelsen in »King's Land« (2023). © Henrik Ohsten / Zentropa

Mads Mikkelsen in »King's Land« (2023). © Henrik Ohsten / Zentropa

Bond-Schurke, Serienkiller, Sexiest Man Alive, Charakterdarsteller im Arthouse-Kino: Mads Mikkelsen spielt in einer eigenen Liga. Jetzt darf er ein Held sein. Beinahe

Der Vorname Mads, vor einer Generation gänzlich unbekannt, gehört mittlerweile zu den 50 beliebtesten Namen für neugeborene Jungs. Vielleicht hat das ein bisschen mit der seit Jahren ungebrochenen Beliebtheit von Mads Mikkelsen zu tun. Seit der Schauspieler 2006 seinen internationalen Durchbruch als James-Bond-Schurke Le Chiffre in »Casino Ro­yale« feierte, ist er im familientauglichen Blockbuster-Kino allgegenwärtig. Er ist im Marvel-Universum vertreten – in »Doctor Strange« als Magier Kaecilius –, im Star Wars-Prequel »Rogue One« als Schöpfer des Todessterns, in »Phantastische Tierwesen: ­Dumbledores Geheimnisse« als faschistoider Magier Gellert Grindelwald und im letzten Indiana Jones-Abenteuer »Indiana Jones und das Rad des Schicksals« als Nazi-Wissenschaftler Jürgen Voller. Mehr Popcorn-Kintopp geht nicht. Doch am schönsten böse ist er in der Serie »Hannibal« (2013-2015) als kultivierter Kannibale Hannibal Lecter. Was ist das Geheimnis seiner Anziehung? »Sei dänisch!«, lautet seine selbstironische Antwort auf die Frage, welchen Ratschlag er für zukünftige Schauspieler habe. 

»Hannibal« (Staffel 1, 2013). © Brooke Palmer/NBC)

Zumindest war das niedliche dänische Lispeln, das sogar in der Originalfassung von »Hannibal« zu hören ist, kein Karrierehindernis. Mikkelsen ist die derzeit prominenteste Verkörperung einer Hollywood-Faustregel: »Mit einem lustigen Akzent im Englischen muss man der böse Bube sein.« Doch es gelingt ihm, seine Schurken auch als gebrochene Helden, gefallene Engel darzustellen und das Publikum dazu zu bringen, die Welt aus deren Perspektive zu sehen, sie so weit zu vermenschlichen, dass sie uns in ihren Bann ziehen. Die Strahlkraft dieser Bösewichte beweist, dass Mikkelsen, wie »Hannibal«-Vorläufer Anthony Hopkins, sein Repertoire um hochklassige Charakterrollen hätte erweitern können – wäre da nicht dieser ausländische Zungenschlag.

Das macht aber fast gar nichts, denn Mads Mikkelsen, Fantasy-Star, ist zugleich seit vielen Jahren eine feste Größe im Arthouse­kino. Auf ihn können sich alle verständigen, Big-Budget-Regisseure ebenso wie europäische Autorenfilmer. Er wird mit ambitionierten Kostümdramen auf Festivals ebenso gefeiert wie in Kreisen, die man nicht auf Anhieb mit Filmkunst in Verbindung bringt. Seinen bis jetzt merkwürdigsten Auftritt absolvierte er 2015 in Rihannas Musikvideo »Bitch Better Have My Money«. In dieser Ü-18-Sadomaso-Fantasie ist er das gefesselte Objekt der Begierde einer von Rihanna dargestellten Kidnapperin. Auch sonst bespielt Mikkelsen hippe Zielgruppen, etwa im Computergame »Death Stranding« des japanischen Spieleentwicklers Hideo Kojima. Selbst in Motion-Capture-Version stiehlt er darin als Clifford Unger den Mitspielern die Show. Gerade jüngere Fans können gar nicht genug kriegen von ihm: Er inspirierte Fan-Art, Merchandise – es gibt ihn sogar als lebensgroßen Pappaufsteller – und einen (inzwischen stillgelegten) Twitter-Account »Mads Mikkelsen Doing Things«. 

Seit Asta Nielsen hat kein dänischer Schauspieler eine so große Fangemeinde versammelt. Dieses Phänomen ist umso faszinierender, als Mikkelsen erst relativ spät, mit 31 Jahren, zum Film fand. Und dann auch noch im kleinen Dänemark. Dort erblühte in den neunziger Jahren eine neiderregend kreative Filmemacherszene. Die größte Außenwirkung entfaltete »Dogma 95«, eine Gruppe, die sich protestantischer Askese in Form und Inhalt verschrieben hatte: kein Requisiten-Tand, kein fauler Zauber, keine Gewalt; nur die nackte Wahrheit von Handkamera, Originalschauplätzen und Einheit von Zeit, Ort und Handlung. 

Mit dem Erstling eines jungen Wilden, Nicolas Winding Refn, feierte auch Mikkelsen sein Kinodebüt. »Pusher« (1996) war anfangs als Kurzfilm für die Bewerbung an der Filmhochschule gedacht. Doch Winding Refn hatte mit »Dogma« nichts am Hut, und was in seinem Action­drama so packend authentisch wirkt, ist auch schlichter Geldnot geschuldet. Der Film, gedreht mit Handkamera und natürlicher Beleuchtung, ist angesiedelt in den »Mean Streets« von Kopenhagen und überrascht mit tarantinoesker Gewalt. In dieser Chronik eines Dealers, der verzweifelt versucht, seine Schulden bei einem Gangster zu begleichen, tobt sich auch Mads Mikkelsen als drogensüchtiger Tonny aus. Als Nebenrollen-Loser mit Goldkettchen und Trainingshosen, der sich »Respekt« auf die Glatze tätowiert hat und sich beim angeberischen Kung-Fu-Tritt den Fuß verrenkt, setzte er eine kräftige Duftmarke. In Deutschland nur auf DVD zu sehen, war der Film in seiner Heimat ein riesiger Erfolg, fand zwei Fortsetzungen und 2012 ein britisches Remake. 

Von nun an gehörte der nicht mehr ganz junge Newcomer dazu und wurde in süffigen Fieslingrollen stetig weitergereicht. In der schwarzen Komödie »Flickering Lights« (Blinkende Lichter, 2000) von »Dogma«-Regisseur Anders Thomas Jensen macht er als durchgeknallter Kleingangster mit definierten Muckis im Feinripp-Unterhemd schaudern. In der im 19. Jahrhundert spielenden Saga »Ich bin Dina« (2002) besetzt ihn Ole Bornedal, mit dem Psychothriller »Nightwatch« ein weiterer Pionier des dänischen Filmwunders, als verklemmten Pfeffersack und Vergewaltiger, der als heulendes Elend endet. Seine Apotheose als gefährlicher Spinner erlebt Mads Mikkelsen in Jensens Kannibalen-Komödie »Dänische Delikatessen« (2003), in der er als schwitzender Metzger um die kulinarische Anerkennung seiner Kunden heischt und nicht damit aufhören kann, etwa »einen kleinen Schweden, den ich heute Nacht im Park gefunden habe«, in die Wurstmaschine zu stecken. Er sieht aus, als habe er ständig Magenkrämpfe und ist vom zugeknöpften Hemd über die Windjacke bis zum zurückgekämmten Haar so stocksteif und mitleiderregend neurotisch, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. 

Offensichtlich hatte dieser hochgewachsene Darsteller mit den scharfen Wangenknochen und dem hohlwangigen Blick mehr zu bieten als platte Psychopathennummern. Susanne Bier, »Dogma«-Regisseurin der ersten Stunde, besetzte ihn in ihrem Drama »Für immer und ewig« (2002) gegen den Strich als netten Arzt und emanzipierten Familienvater. Er verliebt sich in eine labile junge Frau, deren Verlobter von seiner Gattin zum Krüppel gefahren wurde. Bier inszeniert ihn als idealtypischen »neuen Mann«, der eigentlich zu pflegeleicht ist, um wahr zu sein. Während sie Mikkelsen jedes Geheimnis austreibt, sieht Lone Scherfig ihn in ihrer Tragikomödie »Wilbur Wants to Kill Himself« (2002) ebenfalls als Arzt, jedoch mit latenten Abgründen. Als Krankenhauspsychologe kümmert er sich um potenzielle Selbstmörder und darf dabei seine deadpan-Miene wunderbar zur Geltung bringen. »Keine Metaphern bitte!«, weist er die überschwänglichen Teilnehmer der Therapierunde zurecht. 

In den frühen 2000er Jahren zählte neben »Für immer und ewig« besonders »Adams Äpfel« (2005) zu Mikkelsens größten Erfolgen. In Jensens gefinkelter Groteske ist er der gnadenlos menschenfreundliche Dorfpfarrer Ivan, Betreuer einer Resozialisierungs-WG aus Kleinkriminellen. Der WG-Neuankömmling, ein Neonazi, ist so genervt von diesem zwänglerischen Pastor und seinem unerschütterlichen Langmut, dass er ihn brechen und mit der Boshaftigkeit der Welt konfrontieren will. Wie in dieser an die Geschichte des Propheten Hiob angelehnten Parabel der Unhold umgedreht wird und zusammen mit Ivan das Credo, »quia absurdum est – Ich glaube, weil es der Vernunft zuwiderläuft« lebt – das ist ein Schauspiel, das in seiner Gewitztheit niemanden kaltlässt. Mads Mikkelsen bekam für die Rolle des heiligen Narren seine bisher originellste Auszeichnung, den »Gabriel«-Kulturpreis der dänischen Pastoren, verliehen. 

Kleine Meisterwerke wie »Adams Äpfel« stimmen nostalgisch, denn sie gehören zu den Höhepunkten einer durch aufregende europäische Filme geprägten Arthousekultur, die es heute nicht mehr gibt. In jenen Jahren erzielten dänische Filme in ihrer Heimat bis zu 34 Prozent des nationalen Kinoeinspielergebnisses und waren oft Kassenhits im deutschen Programmkino. Von diesem Boom ist wenig übrig. Einst mega angesagte Regisseure wie Lars von Trier (»Geister«), Nicolas Winding Refn (»Drive«), Lone Scherfig (»An Education«), Susanne Bier (»In einer besseren Welt«), Thomas Vinterberg (»Das Fest«) und Anders Thomas Jensen (»Adams Äpfel«) sind ebenso ins zweite Glied zurückgefallen wie ihre Schauspieler, darunter Nikolaj Coster-Waldau (»Nightwatch«, »Game of Thrones«), Nikolaj Lie Kaas (»Open Hearts – Für immer und ewig«), Ulrich Thomsen (»Adams Äpfel«) und Trine Dyrholm (»Love Is All You Need«; »Nico, 1988«). Mads Mikkelsen aber, der eine ebenso steile Karriere machte, ist nach wie vor ganz oben, sei es auf dem internationalen oder dem nationalen Markt.

Und das ist kein dänischer Witz: Mikkelsens erstes Honorar als Schauspieler – für »Pusher« – war ein Fahrrad, wobei er, als frischgebackener Familienvater, erfolglos einen Kindersitz auszuhandeln versuchte. Davor war er bereits acht Jahre als Tänzer aufgetreten. Anders als seine Kollegen, die meist aus Film- oder Bühnenmilieus stammen, wuchs Mikkelsen in einem Arbeiterhaushalt in einem rauen Viertel in Kopenhagen auf. Um die Jungs von der Straße fernzuhalten, bot ein Mathematiklehrer Sportunterricht an. Der junge Mads, der für Bruce Lee schwärmte, legte sich ins Zeug und wurde gefragt, ob er als Hintergrundstatist in einem Musical ein paar akrobatische Kunststücke vorführen wolle. Dabei wurde er von einem Choreografen entdeckt, der ihm riet, Tanzunterricht zu nehmen. »Warum nicht? Ich hatte nichts Besseres vor«, erzählt Mikkelsen in einem Interview mit dem »New Yorker«. Sein erster Bühnenauftritt war auch sein erstes Mal im Theater. »Alles, was danach geschah, war purer Zufall. Wenn Sie so wollen, ist das eine reale Billy Elliot-Story« – nicht zuletzt, weil er seinen Kumpeln nicht wirklich sagen konnte, was er da tat. Sein erstes Musicalengagement war in »Ein Käfig voller Narren«.  

Den Wunsch, Schauspieler zu werden, verspürte er erst Jahre später. Der Zufall bescherte ihm auch seine erste Kinorolle. Winding Refn suchte eigentlich einen Laiendarsteller, wurde aber auf Mikkelsen verwiesen, der gerade die Schauspielschule absolviert hatte und sprachlich jene Straßenköter-Anmutung besaß, die für den Tonny-Part gebraucht wurde. Von der Körperbetontheit seiner manischen Schurkenrollen, etwa in »Flickering Lights«, wanderte der Fokus allmählich auf sein Gesicht. Oder eher seine Gesichtslandschaft, die, in adäquater Beleuchtung, mit hohen Wangenknochen, sinnlichem Mund und prüfenden Augen unter halbgeschlossenen Lidern eine eigentümlich hochmütige und statuarische Ausstrahlung hat. 

»Coco Chanel & Igor Stravinsky« (2009). © 24 Bilder

Man sieht Mikkelsen in seinen Filmen kaum je lachen oder theatralisch grimassieren. Es verwundert nicht, dass sein zweites Vorbild nach Bruce Lee Buster Keaton ist, der sich vom Akrobat zum Schauspieler wandelte. Auch Mikkelsen ist als Schauspieler ein Minimalist. Besonders in internationalen Filmen gibt er, der seine Filmkarriere als durchgeknallter Junkie begann, den großen coolen Schweiger, der mit seiner katzenhaft lauernden Präsenz ebenso unheilverkündend wie anziehend wirkt. In Dänemark wurde er von einer Frauenzeitschrift mal zum »Sexiest Man Alive« ernannt. Und in Rihannas Musikvideo, erklärte er grinsend, hat es ihm Spaß gemacht, ihre bitch zu sein. Der französische Regisseur Jan Kounen schreckte nicht davor zurück, ihn in »Coco Chanel & Igor Stravinsky« (2009) als Komponist zu besetzen, der dem echten Strawinsky so ähnlich sieht wie ein Wolf einem Dackel. Die kurze Liaison zwischen den beiden Kreativen wird mit viel Sex aufgebrezelt, ohne an Relevanz zu gewinnen. Sehenswert ist der Film wegen seiner Chanel-Ausstattung – und, als bester menschlicher Hingucker, ebendieses Dänen, der trotz zerquälter Miene und Nickelbrille antörnt. 

Mikkelsen wirkte daneben in einer Handvoll deutscher Filme mit, die Sprache hatte er in seiner Kindheit durch das deutsche Fernsehen aufgeschnappt. Im Mystery-Thriller »Die Tür« (2009) spielt er einen über dem von ihm verschuldeten Tod seiner Tochter verzweifelnden Vater, der zum Mörder wird. Als »Michael Kohlhaas« (2013) tritt er neben Bruno Ganz in westernhafter Dramatik als Rächer auf. 

Seine stärksten Auftritte hat Mads Mikkelsen jedoch nach wie vor in dänischen Filmen. Und vielleicht ist es nicht zu hoch gegriffen, ihn als dänischen Gérard Depardieu und filmisches Aushängeschild seiner Heimat zu bezeichnen. So ist er die erste Wahl für tragische Figuren der dänischen Historie. In »Tage des Zorns« (2008) spielt er den Widerstandskämpfer Citronen, in »Die Königin und der Leibarzt« (2012) den Arzt und Reformer Johann Friedrich Struensee. Auch in seinem neuen Film »King's Land« verkörpert er mit Ludvig von Kahlen einen Rebellen: einen Soldatenveteranen im 18. Jahrhundert, der gegen widrigste Umstände ein Stück Heidelandschaft urbar machen will. Mikkelsen, der dafür bekannt ist, seine eigenen Vorstellungen auf sanfte Weise durchzusetzen, erreichte, dass sein alter Weggefährte, Drehbuchautor Jensen, dem Helden rücksichtslosere Züge verlieh. Mikkelsen wollte den Pionier Kahlen entgegen dem ursprünglichen Drehbuch nicht mit der Sensibilität und dem Moralverständnis eines Mannes aus dem Jahr 2023 ausstatten, sondern einen Menschen darstellen, der durch die bedrückende Realität des feudalistischen 18. Jahrhunderts hart und brutal geworden ist. Wenn Ludvig von Kahlen endlich lächelt, ist das, wie bei Buster Keaton, ein Ereignis. Und so gelingt es dem instinktsicheren Schauspieler, einem Drama über Kartoffelanbau Spannung zu verleihen. 

Virtuos eingebrachte Ambiguität zeichnet auch seine Auftritte im Drama »Die Jagd« (2012) aus, in dem er als vermeintlicher Kinderschänder im Dorf zum Ausgestoßenen wird, und in »Der Rausch« (2020) als Lehrer, der mit seinen Freunden mit Alkohol experimentiert – beide Male unter der Regie von Thomas Vinterberg. Anders als in seinen Fantasyfilmen, in denen Mikkelsen als übernatürlicher, oft dandyhafter Schurke auftritt, ist er hier ein Herr Jedermann: einer dieser fast klischeehaft netten, mätzchenfreien, sozialdemokratischen Skandinavier, wie sie Mikkelsen, der langjährig verheiratete, auf Mallorca urlaubende Familienvater, auch privat prototypisch verkörpert. In »Der Rausch« ist Lehrer Martin mit seiner Angepasstheit jedoch zur grauen Maus geworden, sein Sex-Appeal sinkt unter null. Ab einem bestimmten Promillepegel aber verwandelt sich der transusige Pauker in einen mitreißenden Entertainer und Draufgänger. Es folgen Pflichtvergessenheit, Exzess und Wiedereinhegung, begleitet von tragischen Umständen. Mikkelsens dämonische Auftritte in Fantasyfilmen finden hier ihre Entsprechung in einem braven Mann, der kurzzeitig seinen kleinen Dämonen Ausgang gewährt. Ganz einfangen lassen sich diese nicht, wie das wunderbare Ende zeigt, in dem Mikkelsen, zum allerersten Mal in seinen Filmen, sein Talent als akrobatischer Tänzer beweist. Wenn er in katzenhafter Anmut über das Pflaster rollt oder durch die Luft fliegt, ist das auch ein Geschenk an seine Fans.

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