Kritik zu Michael Kohlhaas

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Heinrich von Kleists Novelle, verfilmt im Stil eines späten Kurosawa. Mads Mikkelsen gibt in der Titelrolle einen fast avantgardistisch anmutenden Mann: idealistisch und schön, stolz und selbstzerstörerisch

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Eigentlich ist Kleists legendärer Text aus dem Jahr 1810 unzählige Male fürs Kino adaptiert worden. In vielen Western und fast jedem Clint-Eastwood-Film ist nämlich mehr als ein Hauch von Kohlhaas zu spüren, von der Diskrepanz zwischen Recht und Gerechtigkeit, von der Kraft, aber auch den bitteren, zerstörerischen Konsequenzen eines von seinen Prinzipien beherrschten Mannes. Direkt verfilmt wurde Kleists Novelle aber recht selten. Ende der 60er Jahre gab es zwei Verfilmungen, natürlich befeuert durch ’68: Volker Schlöndorffs bis heute unterschätzter, wilder Pop-Kohlhaas mit David Warner, Anna Karina und Anita Pallenberg sowie Wolf Vollmars zurückhaltender, gesellschaftskritischer TV-Mehrteiler mit Rolf Boysen.

Jetzt starten wieder zwei Kohlhaas-Verfilmungen, als sei unsere Zeit wieder reif für Kleists (Anti-)Helden. Die zwei Filme, das sind Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel, ein deutscher Film von Aron Lehmann, in dem das Filmemachen selbst zu Kohlhaas’schen Aufgabe wird, sowie die große, zwischen Kunst und Kintopp chargierende französische Verfilmung von Arnaud des Pallières. Das Presseheft des französischen Films verweist auf die Aktualität des Rebellen Kohlhaas angesichts der Occupy-Bewegung oder Stéphane Hessels Buch »Empört Euch!«. Die Aktualisierung scheint aber doch vor allem Publicity zu sein angesichts der Komplexität von Kleists Text und des Pallières’ Film.

Die erste große Konfrontation zwischen Kohlhaas und dem jungen Baron inszeniert des Pallières düster und verstörend. Kohlhaas, der Pferdehändler auf dem Weg zum Markt, ist hier eindeutig der Stärkere. Seine physische Präsenz scheint die Macht seines Business widerzuspiegeln. Der junge Adelige, der Kohlhaas mit einem ominösen Passierschein schikaniert und für die Durchreise zwei Rappen als Pfand verlangt, wirkt mit seinen Gefolgsleuten wie eine verdorbene Jugend ohne Zukunft. Zombies sind sie, eine letzte Macht behauptend. Auf dem Markt macht Kohlhaas dann Geschäfte mit dem Gouverneur, den Bruno Ganz als listigen Vertreter der Obrigkeit spielt, der bei Kohlhaas in ökonomischer Schuld steht. Die gesamte Obrigkeit erscheint gestrig gegenüber Kohlhaas’ prächtiger Männlichkeit, in der Ästhetik, Moral und Geschäft eine Einheit bilden.

Von Clint Eastwood als Kohlhaas habe er einst geträumt, sagt Regisseur des Pallières. Jetzt hat er Mads Mikkelsen für die Titelrolle gewonnen. Das erotische, ausdrucksstarke Gesicht Mikkelsens filmt des Pallières wie eine Landschaft, es ist ein zentraler Teil des archaisch anmutenden Schauplatzes, der von Brandenburg und Sachsen in die karge Region der Cevennen verlegt wurde. Alle Außenaufnahmen verweisen auf die Innenwelt eines besessenen, um den Zustand der Welt ringenden Charakters.

Das Familienleben von Michael Kohlhaas schildert des Pallières beinahe modern. Es gibt einige artifiziell ausgeleuchtete Sexszenen zwischen Kohlhaas und seiner Frau. Einmal werden die beiden von Lisbeth, ihrer kleinen Tochter beim Sex gestört. Wie in einer zeitgenössischen Familie ist der Umgang mit dem Kind offen und locker. Beachtlich allerdings ist die geradezu wuchtige Liebeserklärung, die Kohlhaas von seiner Frau erhält. Kurze Zeit später wird sie sich für ihren Mann, ihr Idol, der im Rechtsstreit mit dem jungen Baron feststeckt, gleichsam opfern.

Das ist stets die große, heimliche Frage bei Kleist: Wann hätte Kohlhaas in seinem berechtigten Streben nach Gerechtigkeit stoppen sollen, um kostbares Leben zu retten? Der Tod seiner Frau, verursacht durch eine hinterhältige Obrigkeit, stellt gewiss den point of no return dar, in jeglicher Hinsicht. Des Pallières filmt den Beginn des Rachefeldzuges mit der Entschlossenheit und der Kintopp-Power eines Westerns. Als Kohlhaas die Burg des Barons stürmt und dessen Gefolgsleute erbarmungslos killt, inszeniert des Pallières dies fast altmodisch, wie in einem spirituellen Actionfilm aus den 70ern von Kurosawa, Herzog oder Tarkowski. Kohlhaas scheint gegen die jungen Adeligen zu kämpfen wie gegen seine eigenen Dämonen.

Nach dem Überfall auf die Burg verliert der Film an Zugkraft. Als Kohlhaas alle möglichen Freischärler, Rebellen und Unzufriedenen um sich schart, ohne das zu wollen, gehen dem französischen Regisseur die Ideen aus. Nach einem Gastauftritt von Denis Lavant als Luther, der Kohlhaas die Leviten liest, bleibt vor allem die Beziehung des Pferdehändlers zu seiner Tochter Lisbeth bemerkenswert. Eine fast moderne Vater-Tochter- Beziehung wird geschildert, in der die Tochter schließlich den Machismo des Vaters relativiert. Sie wird über das Ende hinaus der neue Mensch sein. Eine Rebellin, möglicherweise.

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