Kritik zu Die Jagd

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Es ist was faul im Staate Dänemark: Mads Mikkelsen spielt in Thomas Vinterbergs Drama einen geschiedenen Vater, der des sexuellen Missbrauchs bezichtigt wird

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Unschuldig beschuldigt, grundlos gehetzt: das ist im Kino vor allem das Schicksal der Thrillerhelden, ein Topos, den vor allem Alfred Hitchcock kultivierte und zelebrierte. Eine Verwechslung, ein dummer Zufall, der falsche Ort zur falschen Zeit – es braucht so wenig, um ein Leben aus der Bahn zu werfen oder eine irrwitzige Kettenreaktion auszulösen. Der Däne Thomas Vinterberg, einst Mitverfasser des ominösen »Dogma 95« und mit »Das Fest« einer seiner erfolgreichsten Vertreter, verlegt dieses Konzept nun ins Gesellschaftsdrama, man könnte auch sagen: in den Heimatfilm. Ein dänisches Städtchen im Hier und Jetzt, eine friedlich-freundliche Gemeinschaft, scheinbar modern und weltoffen, zeigt plötzlich ihre dunkle Seite. Und erweist sich dabei als mindestens ebenso rabiat und gewalttätig wie die Bösewichte in einem Thriller.

Für seinen Protagonisten Lucas (Mads Mikkelsen) konstruiert Vinterberg eine besonders große Fallhöhe. Einen netteren, korrekteren und, ja, unschuldigeren Mann als diesen sanftmütigen Kindergärtner hätte wohl kein Drehbuchautor der Welt ersinnen können. Lucas leidet noch unter einem doppelten Zusammenbruch – seine Frau hat ihn verlassen, und die Schule, in der er unterrichtete, wurde geschlossen. Aber er hat sich aufgerappelt, mag seine neue Arbeit, will seinen Sohn zu sich nehmen, ist fest integriert in einen Freundeskreis, der schon seit Jugendzeiten existiert.

Und es gibt sogar Hoffnung auf eine neue Liebe mit Nadja (Alexandra Rapaport), einer Aushilfe im Kindergarten. Aber dann folgt dieses winzige Missverständnis, diese achtlose Lüge, und mit einem Mal wird Lucas' Welt aus den Angeln gehoben. Die kleine Klara (Annika Wedderkopp), schüchtern-verträumte Tochter seines Freundes Theo (Thomas Bo Larsen), bezichtigt Lucas des sexuellen Missbrauchs; auch wenn sie bald ahnt, was sie damit angerichtet hat: zurücknehmen lassen sich diese Worte, einmal ausgesprochen, nicht.

So sorgfältig, wie Vinterberg diesen Kosmos etabliert, so gründlich zerlegt er ihn auch wieder: Mit kühler Präzision schildert er die fatalen Mechanismen einer Hexenjagd, die von Hysterie, Aberglauben und Misstrauen befeuert wird und zu einer erst schleichenden, dann schlagartigen Eskalation führt. Der Zusammenhalt, die Freundschaft, die Solidarität: alles Illusionen. Vinterberg bemüht sich sehr um Realismus und Ausgewogenheit – niemand ist wirklich böse, niemand tut – zunächst – etwas »Falsches«. Die Leiterin des Kindergartens scheint die Situation zwar auf eine seltsame Art fast zu genießen, gleichwohl hat sie keine andere Wahl, als den Vorwürfen auf den Grund zu gehen und die Indizien ernst zu nehmen. Lucas' Freunde verhalten sich illoyal – aber wer könnte ihnen ihre Unsicherheit verdenken? Und die kleine Klara, noch zu jung, um die Tragweite ihres Handelns zu verstehen, versucht intuitiv, ihren Fehler gutzumachen. Aber da rollt die Lawine schon mit stringenter Konsequenz. Das Einzige, was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Spannung: Vinterbergs Geschichte wirkt oft wie eine diabolische Versuchsanordnung, in der ein Dominostein nach dem anderen fällt – unaufhaltsam, aber leider auch sehr absehbar.

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