Kritik zu Nach der Hochzeit

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Die Regisseurin Susanne Bier und der »Dogma«-Autor Anders Thomas Jensen haben bereits erfolgreich bei den Filmen »Open Hearts« und »Brothers« zusammengearbeitet. Auch in »Nach der Hochzeit« zeigen sich die Qualitäten des Teams

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Es ist immer wieder bemerkenswert, wie sich das dänische Kino mit eigenwilligen kleinen Filmen behauptet. Welche Figuren es erschafft – Figuren, die skurril, ja bizarr erscheinen, dabei doch lebensnah sind und beeindruckend komplex. »Nach der Hochzeit« von Susanne Bier ist dafür ein Beispiel; und es ist keine große Überraschung, dass das Drehbuch von Anders Thomas Jensen stammt, dessen Name untrennbar verbunden ist mit der Erfolgsgeschichte des jüngeren dänischen Kinos. Jensen hat die Vorlagen für Dogma-Produktionen wie »Mifune« (1998) und »Open Hearts« (2002) geschrieben, die Drehbücher unter anderem von »In China essen sie Hunde« (1999) oder »Wilbur Wants to Kill Himself« (2002) verfasst und mit »Flickering Lights« (2000) und dem für den Auslandsoscar nominierten »Adams Äpfel« (2005) bewiesen, dass er auch selbst inszenieren kann. Er und Susanne Bier sind ein gutes Team, schon bei »Open Hearts« und »Brothers« haben sie zusammengearbeitet.

Auch in ihrem dritten gemeinsamen Film geht es um ein moralisches Dilemma, um einen Menschen, der nicht böswillig ist und dennoch in eine Lage gerät, in der er zwangsläufig andere verletzt. Mit Fragen der Wahrscheinlichkeit darf man sich dabei nicht aufhalten in diesem Film, und zu Herzen gehende Hochzeitsansprachen und »letzte Worte« sollten einen nicht schrecken. Familiengeheimnisse werden offengelegt, die Institutionen von Ehe und Familie auf den Prüfstand gestellt, wie im Dogma-Kino. Dabei begibt sich der Film von einer moralisch scheinbar eindeutigen Position auf zunehmend unsicheres Gelände.

Nach der Hochzeit beginnt in Indien, wo der Däne Jacob (Mads Mikkelsen) ein Waisenhaus leitet. Die ersten Bilder zeigen einen Wohltäter, einen Mann, der Nahrung an Straßenkinder verteilt. Dann werden die bräunlich bunten Elendsbilder von Aufnahmen einer sattgrünen Landschaft abgelöst. Die Ankündigung einer großzügigen Spende für sein Waisenhaus hat Jacob, der die Erste Welt eigentlich verachtet, nach Dänemark zurückgelockt. Für Jacobs humanitäre Arbeit aber scheint sich der Unternehmer Jørgen (Rolf Lassgård) kaum zu interessieren, und als Jacob auf Einladung seines Gastgebers die Hochzeit von dessen Tochter Anna besucht, stellt er fest, dass die Brautmutter seine Jugendliebe Helene ist. Zufall? Oder Teil eines ausgeklügelten Plans? Jacob wird überwältigt von der Erkenntnis, dass Anna seine Tochter ist, und muss sich entscheiden: Soll er in Dänemark bleiben oder nach Indien zurückkehren, wo der kleine Pramod auf ihn wartet, ein Waisenkind, um das er sich seit dessen Geburt gekümmert hat?

Aufmerksam registriert der Film die Architektur des Reichtums: die großen Räume im Herrenhaus, das Jørgen und Helene bewohnen, die riesigen Badewannen und die Trophäen an der Wand (obwohl man sich nur schwer vorstellen kann, dass Helene die Köpfe toter Tiere in ihrem Zuhause duldet), nicht zuletzt die langen Wege, die zum Haus führen. Ein größerer Kontrast zum Leben in Indien ist nicht denkbar. Fast beiläufig erzählt der Film auch von einer ungerechten Welt und der Ohnmacht von Idealisten. Und wird Jacob durch die angekündigte Spende nicht in gewisser Weise gekauft?

Der düstere Idealist wird von dem charismatischen Mads Mikkelsen verkörpert, der zuletzt den Bond-Gegner Le Chiffre spielte. Er verleiht Jacob die Aura eines Asketen, viel Sexappeal und eine schöne Abgründigkeit – Mönch und Wüstling sind bekanntlich zwei Seiten derselben Medaille. Er sei ein zorniger Mann, sagt Jørgen über Jacob gleich bei ihrer ersten Begegnung. Und tatsächlich scheint etwas in ihm zu lodern – ein Stück Selbsthass vielleicht und Verachtung gegenüber der Ersten Welt wegen ihrer satten Gleichgültigkeit und Arroganz.

Jacobs Zorn ist leicht erkennbar – viel leichter als Jørgens Trauer. Jørgen ist einer, der die Dinge gewöhnlich im Griff hat. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, ein jovialer Selfmade-man, der das Leben liebt, seine Frau und seine Kinder. Einige schöne Stillleben im Fluss der Erzählung – Bilder abgestorbener Blätter und eines toten Fuchses – mahnen jedoch die Allgegenwart des Todes an. Jørgen weiß, dass er bald sterben wird – und versucht, im Griff zu behalten, was geht: einen Ersatz für sich zu finden, seinen Nachlass zu regeln.

Die Details von Jørgens Krankengeschichte werden glücklicherweise ausgespart, wie die Erzählung überhaupt sehr straff und ökonomisch ist bei Dingen, die Jensen und Bier nicht interessieren. Die hervorragenden Darsteller tragen ebenfalls dazu bei, dass der Film nicht rührselig wird – neben Mikkelsen und Lassgård, die ebenbürtige Gegner abgeben, vor allem die beiden Frauen: Sidse Babett Knudsen als großbürgerliche Gattin, der man das ehemalige Hippie-Mädchen immer wieder ansieht, und Stine Fischer Christensen als ihre bezaubernde Tochter Anna. Als kitschresistent erweist sich der Film auch am Ende, wenn er sich jeder behaglichen Lösung verweigert und ein indischer Waisenjunge eine überraschende Schlusspointe hat.

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Kommentare

Großartiger Film!!!!

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