Filmpreise im Wandel

Die Zukunft von Golden Globes und Oscars
»Aftersun« (2022). © MUBI

»Aftersun« (2022). © MUBI

Am 12. März werden in Hollywood die Oscars ­vergeben. Die Golden Globes haben versucht, sich neu aufzustellen. Werden die kommenden Filmpreise Vielfalt und Inklusion berücksichtigen?

»Die Zeiten ändern sich. Es gibt sehr viel mehr Diversität und Inklusion. Das ist nicht mehr bloßes Lippenbekenntnis«, sagte Michelle Yeoh im Januar, als die 60-Jährige als erste Asiatin den Golden Globe für die beste weibliche Hauptrolle erhielt – in der Sci-Fi-Komödie »Everything Everywhere All At Once« (kurz: »EEAaO«). Und vielleicht sprach da ein bisschen die Euphorie über die Auszeichnung aus ihr, als sie nachlegte: »Was auch immer diese gläserne Decke war, wir haben sie mit einem Ninja-Kick zum Bersten gebracht.« In der Tat kratzt der Jahrgang in mancher Hinsicht an tradierten Stereotypen der Filmgeschichte, die längst überholt sein sollten, und öffnet sich der Vielfalt. Das wird vor allem bei den wichtigsten aller Filmpreise interessant, den Academy Awards of Motion Picture Arts and Sciences, die am 12. März im Dolby Theatre in Los Angeles zum 95. Mal verliehen werden. Wie divers sind die Oscars inzwischen wirklich?

Die Award Season fängt traditionell mit den Filmfestivals im Herbst an, wenn Hollywood seine aussichtsreichsten Kandidaten nach Toronto, Telluride, Venedig und New York schickt. Hier begannen im September und Oktober die Aufmerksamkeitskarrieren von Filmen wie Todd Fields Drama »Tár« mit Cate Blanchett als Dirigentin eines Berliner Orchesters (und Nina Hoss in einer beeindruckenden Nebenrolle als ihre Lebensgefährtin), Brendan Frasers Fatsuit-Auftritt in Darren Aronofskys Kammerspiel »The Whale«, Steven Spielbergs semiautobiografische Kindheitserinnerungen »The Fabelmans« und Martin McDonaghs irische Dramedy »The Banshees of Inisherin« über das Ende einer Männerfreundschaft, die seitdem diverse Preise einheimsen, von den Kritikerverbänden über die Gewerke bis zu den Golden Globes und den BAFTAs. Darunter sind aber auch Filme, die bereits im Mai in Cannes Premiere hatten, etwa Baz Luhrmanns Biopic-Spektakel »Elvis« und das Tom-Cruise-Actionvehikel »Top Gun: Maverick«.

Konkrete Spekulationen im Detail sind müßig, die Nominierungen sind für den 24. Januar angekündigt – nach Drucklegung des Heftes. Ein Blick lohnt sich dennoch auf einige der Trends und Entwicklungen, die sich sehr wahrscheinlich auch in so manchen der Entscheidungen widerspiegeln werden. Die Oscars sind das zentrale Forum, auf dem sich die amerikanische Filmbranche selbst feiert. Für ihre Filme und ihre Stars, für die künstlerische Qualität ihrer Produktionen, aber vor allem auch für die richtige Haltung. Die Awards sind immer auch ein Gradmesser für gesellschaftspolitische Debatten. Und die Academy will inzwischen, wie andere Institutionen, vom Europäischen Filmpreis über die BAFTAs bis zu den zweifelhaften Golden Globes, dabei auch aktiv den Wandel mitgestalten, im Idealfall eine Vorreiterrolle spielen bei den Bemühungen um Gleichberechtigung (wenngleich sie in Wahrheit gesellschaftlichen Realitäten hinterherhinken). Seit 2017 werden Jahr für Jahr mehrere Hundert Neumitglieder eingeladen, um den Anteil von Frauen, People of Color, LBGTQ+ und Non-US-Amerikanern zu erhöhen. Mit einigem Erfolg, wenn auch nach wie vor überschaubar. Von den mehr als 10.000 Akademiemitgliedern sind 2022 etwa 19 Prozent nicht weiß, 2014 waren es nur sechs Prozent. Der Anteil der Frauen ist in zehn Jahren von 23 auf 33 Prozent gestiegen. Noch viel Luft nach oben also.

Um der strukturellen Benachteiligung von Minderheiten in der Filmindustrie entgegenzuwirken, hatte die Academy außerdem vor zwei Jahren vier Standards beschlossen, von denen eingereichte Produktionen zwei erfüllen müssen, um sich für die Kategorie Bester Film zu qualifizieren. Das betrifft die Repräsentation von Frauen und marginalisierten Gruppen auf der Leinwand, im kreativen Team, in der Ausbildung und in Marketing und Vertrieb. Diese Anforderungen gelten allerdings erst ab den Oscars 2024, es bleibt also abzuwarten, welchen Effekt diese Initiative haben wird. Weitere Richtlinien sollen 2025 folgen. Auch Überlegungen zu genderneutralen Schauspielpreisen gibt es, wie sie bereits die Berlinale und andere internationale Filmfestivals eingeführt haben.

Die Maßnahmen waren auch eine Reaktion auf das Fiasko 2016, als die vier Schauspielkategorien komplett weiß besetzt waren und mit dem Hashtag #OscarsSoWhite in den sozialen Medien sehr zu Recht gegen die Ignoranz des weltweit wichtigsten Filmpreises protestiert wurde. Fünf Jahre später kam dann in Sachen Inklusion ein Durchbruch. Allein von den 20 Schauspielnominierungen gingen neun an People of Color. Dieses Verhältnis wird dieses Jahr wohl nicht erreicht, aber wenn die Golden Globes ein Index sind – und trotz aller weiterhin berechtigten Vorwürfe gegen diese sehr kleine, ganz überwiegend weiße und bestechliche Gruppe alter Journalist*innen nicht-amerikanischer Medien sind sie das nach einer Zwangspause erneut –, dürfte es zumindest in einigen Oscar-Kategorien ein diverser Jahrgang werden. 

Bei den Hauptdarstellerinnen gilt zwar Cate Blanchett als haushohe Favoritin, doch zuletzt wurden neben Michelle Yeoh, die nach 95 Jahren die erste asiatische Gewinnerin wäre, unter anderem Viola Davis für »The Woman King« und Danielle Deadwyler für »Till« hoch gehandelt. Auch bei den Nebenrollen haben nicht weiße Darsteller*innen gute Chancen, darunter Angela Bassett im Fantasyblockbuster »Black Panther: Wakanda Forever«, Hong Chau in »The Whale« oder Stephanie Hsu (»EEAaO«). Und bei den männlichen Nebendarstellern geht kaum ein Weg vorbei an dem aus Vietnam stammenden Ke Huy Quan, ebenfalls für »EEAaO«. Einzig bei den männlichen Hauptrollen wird es wohl erneut sehr weiß bleiben, nachdem im vergangenen Jahr Will Smith für »King Richard« ausgezeichnet worden war.

Weiterhin schlecht sieht es im Regiefach aus, wo es sehr wahrscheinlich scheint, dass keine einzige Frau unter den fünf Letzten ist, trotz hervorragender Kritiken etwa für Charlotte Wells' Vater-Tochter-Drama »Aftersun«. Oder zwei Filmen, die den Diskurs um #MeToo auf der Leinwand fortsetzen, Maria Schraders Enthüllungsdrama »She Said« über den Fall Harvey Weinstein und Sarah Polleys komplexes Kammerspiel »Die Aussprache« über Frauen einer orthodoxen Glaubensgemeinschaft, die sich beraten, wie sie mit der sexualisierten Gewalt durch die Männer der Kommune umgehen sollen. Diese Filme wurden immerhin mit anderen, kleineren Preisen im Vorfeld der Oscars bedacht. Die Kategorie Bester Internationaler Film ist per se diverser, doch auch thematisch wird es vielfältig, mit Filmen über Misogynie im Iran (»Holy Spider«), queeres Aufwachsen (»Close« aus Belgien) und Rassismus (»Saint Omer« aus Frankreich). 

Eine nicht zu unterschätzende Rolle dürften in diesem Jahr die sozialen Medien spielen, in denen Trends entstehen oder verstärkt werden. Auf Twitter wurden »Avatar: The Way of Water« und »Top Gun: Maverick« als Reanimatoren des Kinos gefeiert, die auch bei den Awards gewürdigt werden sollten. Hier begann durch unzählige Posts von Fans die Aufmerksamkeit für »EEAaO« und das Tollywood-Actionepos »RRR« stark zu steigen. Und hier entstand auch plötzlich der Buzz für einen kleinen Film, den zuvor kaum jemand wahrgenommen hatte: Zahlreiche prominente Kolleg*innen unterstützen Andrea Riseborough für ihre Hauptrolle im Indiedrama »To Leslie«. Inwiefern diese virtuellen Schwarm-Wellen tatsächlich Einfluss auf das Wahlverhalten der Akademiemitglieder haben, ist schwer zu sagen. Doch Hollywood hatte schon immer ein Herz für Underdogs und Außenseiter. Selbst wenn am Ende dann doch oft jemand anderes gewinnt. Bei »EEAaO« zumindest scheint es sich auszuzahlen.

Bei den Hosts dagegen, also da, wo die Academy als Organisation am leichtesten ein Zeichen setzen kann, war man in Sachen Diversity schon mal weiter. Vor fast drei Dekaden, am 21. März 1994, führte Whoopi Goldberg als erste schwarze Frau durch die 66. Academy Awards. Und danach noch dreimal. Unvergessen ihre Eröffnung der Gala 1996 als Queen Elizabeth, komplett kostümiert und mit weißgeschminktem Gesicht. Ein großartiger Auftritt, der so heute wohl nicht mehr möglich wäre. Nachdem im vergangenen Jahr mit Regina Hall und Wanda Sykes erstmals gleich zwei PoC Hosts waren, wird die biggest night in Hollywood diesmal wieder von Jimmy Kimmel moderiert. Der 55-jährige Lateshow-Host wird auf der Bühne kaum ohne einen Witz darüber auskommen, als mittelalter weißer Heteromann das Gesicht der Oscars 2023 zu sein.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt