Kritik zu Holy Spider

© Alamode Film

Nach dem vielfach ausgezeich­neten »Border« nimmt sich Ali Abbasi einer düsteren ­Geschichte aus dem Iran an: Ein Serienmörderfall enthüllt die Bigotterie und ­Misogynie einer ganzen Gesellschaf

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Maschhad, mit mehr als drei Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Iran, gilt dem schiitischen Islam vor allem aufgrund des Schreins des Imams Reza als heiliger Ort und wird jährlich von Millionen von Touristen und Pilgern besucht. Ausgerechnet dort ereignete sich Anfang der 2000er Jahre einer der spektakulärsten Kriminalfälle der iranischen Geschichte: die Frauenmorde des »Spinnenmörders« – so genannt, weil er seine Opfer, Straßenprostituierte, stets zunächst in seine Wohnung, sein »Netz«, lockte, bevor er sie erwürgte. Bis zu seiner Ergreifung hatte er bereits 16 Morde begangen.

In »Holy Spider«, der frei auf diesem Fall beruht, zeigt sich Maschhad (gedoubelt vom jordanischen Amman) von einer Nachtseite, wie sie uns eher von New York oder Marseille vertraut scheint. Schummrige Seitenstraßen voller Müll, verlassene Hinterhöfe, giftiges Neonlicht erzeugen eine unheilvolle Atmosphäre. Bevölkert wird diese Film-noir-Szenerie von verlorenen Gestalten wie jener jungen Frau, die der Film gleich zu Anfang mit nackten Brüsten beim Schminken vorm Spiegel zeigt – Bilder, die in einer iranischen Produktion undenkbar wären –, bevor sie sich an ihren Arbeitsort, den Straßenstrich, begibt und von Freiern aufgabeln lässt. Verächtlich und brutal gehen die Männer mit ihr um, und nur ein paar Züge Opium zwischendurch betäuben den Schmerz.

Der in Dänemark lebende gebürtige Iraner Ali Abbasi fächert in zahlreichen Facetten das Bild einer bis in die Tiefen zerrütteten Gesellschaft auf. Zerrüttet nicht wegen Prostitution und Drogensucht, sondern durch die allgegenwärtige menschenverachtende Bigotterie und Misogynie. Allgegenwärtig sind die Zeichen des Unrechts im Namen von Religion und »Anstand«. So scheint es alltäglich, dass die Protagonistin von »Holy Spider«, die Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi), die zur Recherche aus Teheran nach Maschhad kommt, im Hotel erst einmal ein paar Schikanen über sich ergehen lassen muss, bevor sie als alleinreisende Frau ein Zimmer bekommt. Auch bei ihren Nachforschungen auf den Straßen und bei den Behörden stößt sie immer wieder auf Widerstände und Vorbehalte – struktureller wie auch persönlicher Natur. Lediglich der lokale Kriminalreporter Sharifi (Arash Ashtiani) unterstützt sie vorbehaltlos.

Die zweite Hauptfigur ist der Killer; der Film porträtiert ihn mit bemerkenswerter Nähe, man könnte fast sagen einfühlsam, obwohl sein Morden explizit und drastisch dargestellt wird. Während die Journalistin relativ eindimensional bleibt, als genretypische, selbstbewusste Kämpferin für die Wahrheit, zeichnet »Holy Spider« ein differenziertes, auch widersprüchliches Bild des von seiner Mission überzeugten Mörders. Der nach außen ganz normale, liebevolle Familienvater Saeed, der auf nächtlichen Streifzügen mit seinem Motorrad »Sünderinnen« aufgabelt und tötet, also in seinen Augen die heilige Stadt von ihnen »reinigt«, ist sich zwar der Ungesetzlichkeit seines Tuns voll bewusst, genießt aber heimlich die mediale Aufmerksamkeit. Und doch ist er zugleich ein Getriebener – auch ein unverarbeitetes Trauma aus seiner Zeit im Krieg zwischen Iran und Irak legt der Film zumindest als möglichen Hintergrund für seinen Wahn nahe.

»Holy Spider« führt diese beiden Handlungsstränge – die Recherchen Amiris, das Morden Saeeds – lange Zeit parallel, im Stile einschlägiger Serienmörderfilme und mit vertrauten Elementen wie etwa Anrufen des Täters in der Zeitungsredaktion oder Amiris wagemutigem Entschluss, sich dem Mörder als Lockvogel auf der Straße anzubieten. Dann allerdings nimmt die Geschichte eine Wendung, die umso bestürzender ist, als sie nah an den historischen Tatsachen bleibt. Deutlicher noch als alles Vorangegangene führt die öffentliche Reaktion auf Saeeds Verhaftung und Prozess die Abgründe eines Landes vor Augen, in dem Misogynie zum Teil der Staatsräson geworden ist.

Dies alles ist spannend erzählt, in den Hauptrollen auch stark gespielt, und besitzt natürlich gerade wegen der jüngsten Ereignisse im Iran eine hohe Aktualität. Doch so radikal die Analyse der iranischen Gesellschaft ist, so sehr bleiben Narration und filmische Gestaltung den Konventionen verhaftet.

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