Kritik zu Das Fest geht weiter!

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Zu seinem neuen Film wurde Robert Guédiguian von der jüngeren Geschichte Marseilles inspiriert. Seine Heldin ist an die erste Bürgermeisterin, die Ärztin Michèle Rubirola, angelehnt

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Es ist ein Sonntag am Strand, wie man ihn sich nicht perfekter vorstellen kann. Rosas Familie genießt ihn ausgelassen. Ihre zwei Söhne, die ausnehmend stolz sind auf ihre armenische Herkunft, verbringen glückliche Stunden mit ihren Partnerinnen. Ihr Bruder versteht sich prächtig mit der neuen Freundin. Auch die hingebungsvolle Krankenschwester Rosa (Ariane Ascaride), die ihren Namen der väterlichen Bewunderung für Rosa Luxemburg verdankt, hat eine neue Liebe gefunden. Aber brüsk ergreift eine namenlose Furcht von ihr Besitz, die sie hastig Trost suchen lässt in den Armen des Geliebten.

Es ist ein unverhoffter Moment der Beklemmung, über den Robert Guédiguian nicht einfach hinweggehen will. Immerhin beginnt sein Film mit einer urbanen Kata­strophe. Dramaturgisch sind seine Filme eigentlich ein Unding, Dramen ohne Konflikt. Sie folgen einer gleichsam klimatischen Gewissheit: In Marseille regnet es nie, und der Klassenkampf braucht keine Gegner, denn niemand wählt Faschisten. Auch diesmal harren die Probleme heiter ihrer Lösung. Alice (Lola Naymark), die Verlobte von Rosas jüngerem Sohn, wird ihre eigene Sensibilität in die armenische Familienbande einbringen. Es ist auch ziemlich beschlossene Sache, dass aus ihrem Vater Henri (Jean-Pierre Daroussin) und Rosa ein schmuckes spätes Paar wird. Und ihre junge Kollegin, die Zweifel an ihrer Berufung hat, wird am Ende wohl doch nicht im Krankenhaus kündigen. »Du wirst das Versprechen halten, das du dir gegeben hast«, herrscht Rosa sie an, »die Welt braucht Menschen wie dich.«

Mit diesen Worten landen wir stracks im Kosmos Guédiguians, wo die Zuversicht stets in wohlgeratenen Charakteren gründet, die voneinander lernen. Was anderswo didaktisch wirken würde, gewinnt bei ihm lyrische Selbstverständlichkeit. Die Utopie wird Alltagserzählung: nicht nur beschworen, sondern sorgsam hergestellt. Politisches Engagement ist hier gleichermaßen Notwendigkeit wie Lust. So darf man auch den Filmtitel verstehen. Mithin ist in seiner aktuellen Arbeit viel in Bewegung. Rosa zögert, als Spitzenkandidatin der Grünen anzutreten. Sie spürt, dass sie die Stafette an die nächste Generation weiterreichen muss, die sich womöglich in horizontaleren Strukturen organisiert. Sie wird von Alice vertreten, die in einer Initiative für die Opfer des verheerenden Hauseinsturzes arbeitet. Der Platz davor soll umbenannt werden, um der acht Toten und der Wohnungslosen zu gedenken: ein wichtiges Zeichen in einer Stadt, wo ein Achtel der Häuser unbewohnbar ist.

Damit geht eine gründliche Selbstreflexion des Regisseurs einher. Guédiguian und sein Kameramann Pierre Milon durchbrechen den gewohnt sonnigen Realismus, setzen Akzente erstaunlicher Bühnenkünstlichkeit. Die Frage der Form wird zum Gegenstand einer der schönsten Szenen, als Henri und Alice über deren Rede zur Einweihung des Platzes debattieren. Es genügt nicht, die Fakten aufzuzählen, das muss in einer einnehmend spannenden Struktur geschehen! Bei beidem, Einweihung und Lektion, fungiert als Schutzpatron die Büste von Homer, dem Urvater des Erzählens.

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