Kritik zu Zärtlichkeit

© Salzgeber

Der Skiunfall ihres Sohnes in den ­französischen Alpen führt ein ­ge­schiedenes Ehepaar für eine kurze Wegstrecke wieder zusammen

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Die Aufmerksamkeit der Männer ist nicht immer galant. Frans ist erst seit ein, zwei Minuten in der Wohnung von Lise, seiner Exfrau, als ihm die Spinnweben an der Decke auffallen. Seine Entdeckung amüsiert sie: »Komisch, du siehst immer noch Dinge, die ich nicht sehe.«

Seit 15 Jahren sind sie nun getrennt. Einige alte Gewohnheiten sind geblieben, ein paar neue hinzugekommen. Er (Olivier Gourmet) hat noch immer wenig Zutrauen zu ihren Fahrkünsten. Dass sie (Marilyne Canto) nach wie vor raucht, stört ihn nicht mehr. Sie erinnert sich daran, wie laut er schnarcht. Das tat sie auch, worüber er sich aber nie beklagte: »Das sagt man nicht zu einer Frau.« Auch das erheitert sie sehr. Wenn es um ihren Sohn geht, antworten sie gleichzeitig, wie aus einem Mund. Ein Skiunfall, den Jack (Adrien Jolivet) in den Alpen hatte, führt die Eltern wieder auf den gleichen Weg: Er muss wieder zurück nach Belgien geholt werden, und es ist keine Frage, dass sie dies gemeinsam tun. Frans’ neue Frau hat nichts dagegen. Jacks Freundin Alison (Margaux Châtelier) meint, sie habe noch nie zwei Menschen gesehen, die so unterschiedlich sind und denen man doch anmerkt, dass sie sich lieben.

Ist Marion Hänsels neuer Film eine »comedy of remarriage«? Gehört er mithin jenem Genre an, das dem Hollywoodkino der ersten Tonfilmjahrzehnte und später der Filmtheorie so teuer war? Beinahe. Er steckt voller humorvoll parierter Missgeschicke, die als Gleichnis fungieren sollen für die Geschlechterverhältnisse. Zärtlichkeit ist ein leichter, wenngleich kein schwereloser Film. Gleich die Eröffnungssequenz besiegelt diesen Unterschied. In atemberaubenden Totalen sind zwei Skifahrer zu sehen, die sich lautlos und elegant den Weg durch den Schnee bahnen. Plötzlich ist ein Aufprall zu hören und nach dem Schnitt entdecken wir, dass einer von ihnen in einen Baum gerast ist. Es ist kein tragischer Auftakt; ein Beinbruch, nicht mehr. Warum also sollte die Rückhol­aktion ein Drama sein?

In diesem Auftakt scheint Hänsels Liebe zu den Landschaften und Elementen auf. In ihren früheren Filmen galt sie der Wüste und dem Meer. Lise mochte die Berge früher nicht. Nun entdeckt sie deren Schönheit und Harmonie. Letztere ist gleichsam der Erzählmodus des Films. Seinen Titel trägt er nicht von ungefähr. Er muss keinen Konflikt bemühen, um über eine Laufzeit von knapp 80 Minuten zu kommen. Er schert sich nicht viel um die Regeln, die in Drehbuchseminaren gelehrt werden. Es passiert nicht viel. Die Rückfahrt wird mit zwei Autos bestritten. Ab und zu geben sie sich verschmitzte Zeichen mit dem Blinker. Für eine Weile stößt ein liebenswürdiger Tramper (Sergi López, wer sonst?) hinzu, der irgendwann eine andere Mitfahrgelegenheit findet. Es ist schön, dass er eine Weile mit von der Partie war. Die Figuren, die Marion Hänsel aufeinandertreffen lässt, mögen einander. Daran ändert auch Frans’ joviale Xenophobie nicht viel. So viel Einklang darf man fade finden, aber man hat Roadmovies schon in verdrießlicherer Gesellschaft verbracht.

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