Kritik zu Sisi & Ich

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Auch Frauke Finsterwalder entdeckt in der legendären österreichischen Kaiserin die Frau, die sich gegen gesellschaftlichen und höfischen Druck auflehnt

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Statt sich von der Wiege bis zur Bahre an einer Persönlichkeit abzuarbeiten, schauen Filmemacher lieber durchs Schlüsselloch auf eine prägnante Episode des Lebens. Oder sie nehmen die intime Perspektive eines weniger prominenten Menschen ein, der dem Star für eine Weile sehr nah gekommen ist. Die Augenzeugin, die hier von der Beobachterin zur Bewunderin und Komplizin wird, ist die Gräfin von Sztáray (Sandra Hüller): »Es war in ihrer Gegenwart, als habe jemand alles Licht der Welt auf einen gerichtet«, konstatiert sie aus dem Off am Anfang des Films, »und wenn sie das Licht wieder wegnahm, war es, als würde ein spitzes Stück Glas ins Herz gerammt.« Für die 42-jährige Gräfin ist die Anstellung bei Hofe die einzige, aber nicht gerade leichte Alternative zum ungeliebten Leben als Ehefrau oder Nonne. Als die Gräfin erschöpft von der langen Reise und halb verdurstet in der Hitze Korfus ankommt, wird sie erst mal auf Herz und Nieren auf ihre Eignung als Gefährtin der Kaiserin geprüft, muss zeigen, wie schnell und ausdauernd sie laufen und springen kann, und wird von ihrer Vorgängerin wie auf dem Pferdemarkt untersucht, vermessen und gewogen.

Natürlich ist es nicht verwunderlich, dass es zwei Regiefrauen sind, die kurz hintereinander einen modernen Blick auf die kapriziöse Kaiserin aus dem 19. Jahrhundert werfen, quasi eine »Anti-Sissi« entwerfen, ein Gegenbild zur lieblichen Märchenprinzessin, die Romy Schneider ein Leben lang verfolgt hat. Wie Marie Kreutzer in »Corsage« schaut nun auch Frauke Finsterwalder auf die letzten Jahre der berühmten Kaiserin, und wie jene legt auch sie hinter dem K+K-Märchenflor die sehr aktuelle Realität einer Frau frei, die sich gegen gesellschaftlichen und höfischen Druck auflehnt, gegen die Forderung nach ewiger Schönheit und Jugend, nach Demut und Mütterlichkeit. 

Anders als Kreutzer, die ihrer Kaiserin nur kleine, gestohlene Fluchten in die Ohnmacht oder in die Tiefen ihrer Badewanne gewährt, eröffnet Finsterwalder ihrer Sisi (Susanne Wolff) fern des Wiener Hofes, im griechischen Inselrefugium und später auf einer Ägyptenreise, den Freiraum einer Frauenkommune. Und ähnlich wie Kreutzer, die Vicky Krieps auch mal den Stinkefinger zeigen ließ, unterwandert Finsterwalder die Historientreue mit Brückenschlägen zur Moderne, vor allem in Mode und Musik. 

Die Gewänder mit aufgeplusterten Puffärmeln, wallend raschelnden Röcken und eng geschnürten Corsagen werden auf kaiserlichen Befehl verbrannt und gegen die eigenwillig schlichte Eleganz japanischer Kreationen getauscht, mit plissierten Falten, geometrischen Schnitten, locker fallenden Stoffbahnen und im Wind flatterndem Georgette (Kostüme: Tanja Hausner). Und der frauenpunkige Soundtrack, mit Songs von Portishead, Rose Melberg, The Would-Be Gods, den Pop Tarts und Nico, pusht mit aufmüpfiger Lebenslust. So verbindet sich die kapriziöse Kaiserin mit einer ganzen Reihe widerständiger Frauen aus vergangenen Zeiten, die das Kino der letzten Jahre wiederentdeckt.

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