Kritik zu Rote Sterne überm Feld
Laura Laabs' Debütfilm wurde auf dem Max-Ophüls-Filmfestival mit dem Preis der Filmkritik ausgezeichnet
Wer ist die Leiche aus dem Moor? Sie wird mit großem Polizeiaufgebot aus einem Tümpel in der Gegend von Bad Kleinen geholt. In den Mooren lagert die Geschichte, sagt der Universitätsprofessor Gömer, der nicht nur erstaunlich genau den Fundort der Leiche weiß, sondern früher auch der Bürgermeister der kleinen Gemeinde war.
Die deutsche Geschichte der letzten fast 100 Jahre, sie ist das eigentliche Thema dieses klugen, anspielungsreichen und experimentierfreudigen Films. Und aus jeder der Episoden und Vignetten, die Laura Laabs in ihrem ersten Spielfilm verschachtelt, könnte die Leiche stammen. Es besteht eine geheime Verbindung zwischen dem Gewesenen und uns, sagt Tine (Hannah Ehrlichmann) einmal, die sich als würdige Nachfolgerin von Gabi Teichert entpuppt, der Lehrerin, die sich in Alexander Kluges »Die Patriotin« auf die Suche nach den Spuren der Geschichte macht.
Eigentlich ist Tines Rückkehr nach Bad Kleinen und in die ostdeutsche Provinz eine Flucht. Sie hat mit ihrer aktivistischen linken Gruppe auf dem Reichstag rote Fahnen gehisst und taucht bei ihrem Vater (Hermann Beyer) unter, auf einem verlassenen Bauernhof, der früher zu einer LPG gehörte. Die Versuche des Leiters Willi, die LPG nach der Wende zu retten, scheiterten, und er verschwand, genauso wie Tines Mutter Rieke (Jenny Schily), eine in der DDR untergetauchte RAF-Terroristin. Und apropos RAF: Soll es bei dem missglückten Einsatz der GSG 9 gegen die dritte Generation der RAF in Bad Kleinen nicht auch einen dritten Toten gegeben haben? Tines Nachforschungen führen ins Leere, aber sie lässt den »Zugriff« von ihrer Schülerfilmgruppe nachstellen. Und ein weiterer Vermisster rückt ins Blickfeld: Rudi, der mit seiner Familie im Haus wohnte und dessen zwei Brüder sich der SS anschlossen und in Russland fielen.
Sie solle doch die alten Geschichten ruhen lassen, sagt Tines Jugendfreund Martin, der seine Freizeit mit einer Clique aus Rechten und Nazis verbringt. »Frei. Sozial. National« ist die Parole. Doch die Suche nach dem Ungeklärten ist die Triebfeder des Films, der einmal die Figuren der Vergangenheit wie Geister in einer surrealen Szene zusammenkommen lässt. Geschichte über mehrere Generationen an einem Ort vorzuführen, das erinnert an Mascha Schilinskis »In die Sonne schauen«, aber jeder Naturalismus ist »Rote Sterne überm Feld« fremd. Laabs, die in Bad Kleinen aufwuchs und auch das Drehbuch schrieb, arbeitet mit verschiedenen Bildformaten, plakativen Inserts, mythologischen Einsprengseln (der von Till Lindemann gespielte Erlkönig als Todesengel) und jeder Menge Verweise: Das Fest der Moorleichenforscher ähnelt einem grotesken letzten Abendmahl (mit einem riesigen Mettigel), und die Ankunft der Wessis in einem Golf Cabrio hat Laabs wie politisches Kabarett inszeniert. Nicht alles zündet, aber die Fülle der Ideen gebietet Bewunderung. Und: So vehement politisch hat kein Film der letzten Jahre argumentiert. Die Identität der Moorleiche wird übrigens nicht geklärt. Aber das ist eigentlich auch egal.








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