Kritik zu A Most Violent Year

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Das Öl, das Geld, die Macht und die Stadt: In J. C. Chandors (Margin Call, All Is Lost) neuem Film kämpft im New York des Jahres 1981 ein Unternehmer um seine Existenz. Oscar Isaac und Jessica Chastain verkörpern ein »Power Couple« zwischen Business und Korruption

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4 (Stimmen: 3)

Das Erste, was einem auffällt, ist dieser Mantel: Kamelhaar, wüstensandbraun, zweireihig, edel. Man schreibt das Jahr 1981 und der Mann, der ihn trägt, heißt Abel Morales, ein kolumbianischer Einwanderer, der sich in New York ein Unternehmen als Heizöllieferant aufgebaut hat. Der Mantel steht bei ihm für Wohlstand und Seriosität, aber der cinephile Zuschauer erinnert sich, dass auch ein anderer Einwanderersohn einen solchen Mantel trug: Michael Corleone in »Der Pate 2«. Da stand er für Macht und eiskalte Autorität. Man kann davon ausgehen, dass Regisseur J. C. Chandor diesen Bezug bewusst angelegt hat. »A Most Violent Year« steckt voller Anspielungen auf die Filme der 1970er Jahre, vor allem auf die New-York-Filme von Francis Ford Coppola und Sidney Lumet, mit ihrem Blick auf Milieus, ihrem sozialkritischen Furor und ihren moralischen Ambivalenzen.

Anders aber als etwa »American Hustle« sieht »A Most Violent Year« nicht wie eine Kostümparty aus, sondern eher wie ein wiederentdeckter Film von damals. Die fahlen Bilder sind eine klare Referenz an Kameramänner wie Arthur J. Ornitz und Gordon Willis, die eleganten Parallelmontagen an Cutter wie Dede Allen und Peter Zinner; die Gestalt und der betont ruhige, selbstsichere Sprachduktus des Hauptdarstellers Oscar Isaac erinnern an Al Pacino. Auch hier treibt Chandor ein cleveres Spiel mit Zuschauerprojektionen, denn während Michael Corleone seine Ruhe als Staffage für mörderische Geschäfte benutzte, versucht Morales – nomen est omen –, geschäftlich und moralisch integer zu bleiben. Das aber ist alles andere als einfach, denn New York scheint hier wie ein riesiger Sumpf. Das Jahr 1981 gilt statistisch als das kriminellste der Stadtgeschichte. Fortwährend tönen Schreckensnachrichten über Gewalttaten aus den Radios und setzen einen beklemmend-bedrohlichen Grundton. Wer soll in dieser Welt sauber bleiben?

Auch die Tankwagen von Morales’ Firma werden regelmäßig überfallen; vermutlich steckt ein Konkurrent dahinter, die Zeiten sind hart. Zudem setzt ihn ein Staatsanwalt (David Oyelowo) mit einer Betrugsanklage unter Druck. Das wiederum bringt Morales’ Kreditwürdigkeit in Gefahr, ausgerechnet jetzt, wo er den Kaufvertrag für ein teures Lagerareal unterschrieben hat. Zunehmend in die Enge getrieben, muss er sich fragen, wie weit er für die Rettung seiner bröckelnden Existenz gehen will. Hier gewinnt der Film denn auch eine eigene inhaltliche Perspektive jenseits seiner Vorbilder: durch seine Konzentration nicht auf Mafia oder Polizei, sondern auf die Mittelständler, die bei Coppola und Lumet höchstens am Rand auftauchten. Wie J. C. Chandors vorherige Filme handelt auch »A Most Violent Year« von einem Mann in existenziellen Konflikten. »Margin Call« nahm die Wirtschaftskrise als Ausgangspunkt, »All is Lost« war nicht zuletzt eine Metapher auf amerikanische Isolation. A Most Violent Year spielt zwar vor mehr als 30 Jahren, aber wie Chandor die Geschichte inszeniert, wirken die Konflikte zeitlos. Man merkt, dass sich im kapitalistischen

Verdrängungswettbewerb die Methoden verändert haben, nicht aber die Prinzipien; Morales’ Geschäftszweig wird dabei zu einem schönen Sinnbild: Mit den Heizöllieferungen sickert gewissermaßen auch die Korruption in jeden Haushalt. Und wenn Morales seinen Vertretern eine ausgefuchste Gesprächsstrategie vormacht, könnte das dem bitteren Klassiker Glengarry Glen Ross entnommen sein.

»Ich habe mein ganzes Leben lang versucht, kein Gangster zu sein«, sagt Morales einmal. Aber dieses Selbstbild erweist sich als idealisiert. Sein Erfolg basiert zumindest indirekt auf Kriminalität, denn seine Firma kaufte er einst von seinem Schwiegervater, einem berüchtigten Brooklyner Mafioso. Morales’ Ehefrau Anna erweist sich denn auch als weit weniger skrupulös. Jessica Chastain spielt diese Gangstertochter als Mischung aus aufrichtig besorgter Gattin und kühl kalkulierender Patin. Mit ihrem blonden Bob-Haarschnitt, dem blassen Teint, der großen Sonnenbrille und den weißen Kostümen sieht sie aus wie Michelle Pfeiffer in Brian de Palmas Scarface (der ebenfalls zu Beginn der 80er spielt). Ihren Mann nennt sie wegen seines Idealismus spöttisch »Mister American Dream«.

Wie fließend die Grenzen zwischen »Streben nach Glück« und Wirtschaftsverbrechertum sind, signalisiert Chandor, indem er seinen Protagonisten mit den Merkmalen eines halbseidenen Typen ausstattet: das Auto ein bisschen zu dick, die Villa ein bisschen zu groß, der Anzug ein bisschen zu feinzwirnig. Dabei ist er nur ein Mann, der seinen sozialen Aufstieg zur Schau stellen will. Der uramerikanische Individualismus des Latinos Abel Morales findet eine Entsprechung im Ehrgeiz des afroamerikanischen Staatsanwalts, der ihn ins Visier nimmt. Beide bewegen sich im Umfeld eingesessener Clans, deren Milieus der Film skizziert: die irischen und italienischen Familien, die den Heizölhandel unter sich aufteilen; die mächtige Teamster-Gewerkschaft der Lkw-Fahrer; die ultraorthodoxen Juden, von denen Abel zu beinharten Bedingungen ein Lagergrundstück kauft (es gehört zu den klugen Details, dass Anna dabei vor der Tür warten muss, ohne dass es erklärt wird: Chassidim dulden keine Anwesenheit von Frauen); und dazwischen ein paar verzweifelte Ganoven, die mitten in New York Lastwagen kapern, als wäre es ein Kriegsgebiet.

Im Film sind diese Milieus Parallelwelten mit profitablen, aber nicht immer sauberen Berührungspunkten. »A Most Violent Year« beobachtet einen Mann beim Balanceakt dazwischen. Am Ende zeigt Oscar Isaac in einem äußerst starken Schauspielmoment nur durch eine Drehung der Augen, dass Morales seine Ideale verliert. Im nächsten Moment relativiert er dann seine moralische Integrität: »Ich habe stets den Weg gewählt, der am richtigsten war«. Für ihn ist Existenzangst ein Ansporn. Wer diesen Selfmade-Mut nicht aufbringt, bleibt auf der Strecke. Diese Erkenntnis ist wohl das Brutalste an» A Most Violent Year«.

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