Kritik zu Miss Hokusai

© AV Visionen/KAZÉ Deutschland

2015
Original-Titel: 
Sarusuberi: Miss Hokusai
Filmstart in Deutschland: 
16.06.2016
L: 
99 Min
FSK: 
12

Auf dem Terrain des Biopic geht Keiichi Haras Animationsfilm eigene Wege: Seine Adaption des wundersamen Mangas »Sarusuberi« erzählt nur nebenbei vom berühmten Künstler Hokusai und rückt stattdessen seine Tochter ins Zentrum

Bewertung: 4
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Nein, ganz will der Film nicht auf »Die große Welle von Kanagawa« verzichten. Der berühmte Holzschnitt von Hokusai gehört schließlich zu den Ikonen der Kunstgeschichte und führt bis heute ein reges Nachleben als Postkartenmotiv und neuerdings sogar als App. Allerdings zeigt Keiichi Hara nicht, wie der japanische Meister an ihm arbeitet. Tatsächlich entstand das Bild erst Jahrzehnte, nachdem die Handlung seines Films einsetzt. Es taucht vielmehr als ein Vorecho auf. Das Boot, mit dem die zwei jüngsten Töchter des Künstlers im Frühjahr 1814 einen Ausflug unternehmen, wird von einer Welle erfasst, der sie vergnügt die Stirn bieten. Das ist eine bezeichnende Wendung, denn Keiichi Haras Erzählimpuls zielt nicht auf eine Biografie des Vaters. Er unternimmt vielmehr eine einfühlsame Spekulation über das Leben seiner ebenfalls hochbegabten Tochter O-Ei, deren eigenes Werk von seinem Ruhm bis heute überschattet wird.

Sie selbst meldet sich zu Beginn nonchalant als Erzählerin zu Wort. Der moderne Gitarren-Rock, der zu diesem kecken Auftakt erklingt, kündigt unmissverständlich an, dass dies kein betuliches, sondern höchst eigensinniges Biopic wird. Sein Rahmen ist begrenzt: O-Ei berichtet über eines von vielen Jahren, das sie mit ihrem Vater verbrachte. Ihre Eltern leben getrennt, der trinkfeste Patriarch vernachlässigt seine familiären Pflichten ebenso energisch wie die Gebote der Höflichkeit und Körperpflege. Als Satelliten dieser exzentrischen Familie treten Schüler des Meisters auf sowie ein Hund, der gemütvoll-neugierig am heiteren Einerlei ihres Bohème-Daseins teilhat.

Die Hauptstadt Edo (das heutige Tokio) erlebt eine Periode des Friedens. Unter der Herrschaft der Tokugawa-Dynastie blühen Handwerk und Künste auf, das Unterhaltungsgewerbe und die Prostitution florieren. Hokusais Arbeiten stehen hoch im Kurs. Allein kann das unberechenbare Saufgenie die Nachfrage nicht befriedigen, oft genug muss die Tochter für ihn einspringen. Sie selbst arbeitet konzentriert an zärtlichen Frauenporträts und erotischen Skizzen. Die Zeichnungen und Holzschnitte des Vaters sind in dieser Schaffensphase vor allem Pforten zur Welt der Träume und Geistererscheinungen. Er selbst wird von vielerlei Dämonen getrieben; den eigenen Ansprüchen genügt keines seiner Werke. Seiner Kundschaft liefert er Gebrauchskunst, die er mit Hingabe und Geschick anfertigt. Zu diesem Zeitpunkt kann noch niemand ahnen, dass er einmal in Degas, Manet und anderen glühende Bewunderer finden sollte.

»Miss Hokusai« spürt einerseits dem Rätsel der Inspiration nach und entführt zugleich in ein Zauberreich der Wahrnehmung. Denn nebenher kümmert sich O-Ei liebevoll um ihre kleine Schwester, die blind ist und übersetzt ihr die sichtbare Welt in Worte und Gesten. Keiichi Hara taucht seine weitgehend untragischen Alltagserzählungen in eine höchst agile Atmosphäre, wechselt sanft sprunghaft die Blickwinkel und Stimmungen. Die Handlung vollzieht sich im Wechsel der Jahreszeiten, jede Episode klingt mit langen Abblenden stimmungsvoll aus. Mit dem Diktat der Niedlichkeit, dem allzu viele japanische Trickfilme gehorchen, bricht der Animationsstil entschieden. Sein Begriff von Schönheit ist erwachsen und dem Eigensinn seiner Heldin angemessen.

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