Goldene Palme für Iraner Panahi

Jury-Preis für deutsche Regisseurin Mascha Schilinski
»It Was Just an Accident« (2025). © Jafar Panahi / Productions Les Films Pelleas

Die Erfolgsbilanz für deutsches Kino in Cannes ist kurz und größtenteils lange her. Zum vorerst letzten Mal war es lediglich Fatih Akin gelungen, ein bisschen Palmen-Glanz von der Croisette nach Deutschland zu holen: 2017 wurde Diane Kruger als Hauptdarstellerin seines »Aus dem Nichts« geehrt; es war gleichzeitig das letzte Mal, dass überhaupt eine deutsche Regiearbeit im Rennen um die Goldene Palme vertreten war. Dass mit Mascha Schilinskis »In die Sonne schauen« 2025 ein deutscher Film für den Wettbewerb ausgewählt wurde, war darum etwas Besonderes. Dass die 40 Jahre alte Regisseurin für ihren erst zweiten Spielfilm nun den Jurypreis in Cannes erhielt, erscheint wie eine Sensation – auch wenn sie die Auszeichnung mit dem spanischen Kollegen Oliver Laxe teilt.

Laxes experimentelles Roadmovie »Sirat« und Schilinskis »In die Sonne schauen« sind auf den ersten Blick zwei Filme mit völlig entgegengesetzter Ästhetik. »Sirat« spielt unter drogensüchtigen Ravern in der marokkanischen Wüste und arbeitet mit lauter Musik und Schockelementen; der andere – »In die Sonne schauen« – verknüpft in atmosphärischen Bildern vier Frauenleben zu verschiedenen Epochen in einem Gutshof der norddeutschen Altmark und ist ein ausgesprochen leiser Film. Aber eigentlich geben sie ein schönes Paar ab: Beide Filme lassen die Konventionen des klassischen Erzählkinos hinter sich und arbeiten mit intensiv-sinnlichen Eindrücken. Laxe wie Schilinski repräsentieren damit eine neue Generation des europäischen Autorenkinos.

Der iranische Regisseur Jafar Panahi ist mit Mitte 60 dagegen ein alter Hase. Im Jahr 2000 gewann er für »The Circle« den Goldenen Löwen in Venedig, 2015 mit »Taxi« den Goldenen Bären in Berlin. Dass er nun mit »It Was Just an Accident« die Goldene Palme überreicht bekam, ist mehr als nur eine weitere Trophäe für einen etablierten Regisseur, es ist eine Verneigung vor der außerordentlichen Lebensleistung eines der mutigsten und furchtlosesten Regisseure dieser Welt. Von Haftstrafen bedroht, mit Berufs- und Ausreiseverbot belegt, macht Panahi trotzdem seit bald 30 Jahren Filme, die das Regime in Teheran aus der Perspektive der normalen Bürger kritisch in den Blick nehmen.

»It Was Just an Accident« erzählt von einer Gruppe ehemaliger Inhaftierter, die versuchen, sich an einem ihrer Gefängnisfolterer zu rächen. Mit dem Humor einer Screwball-Comedy stellt er die Hilflosigkeit und Widersprüchlichkeit seiner ungelenken Helden heraus – und besteht auf ihrer menschlichen Fehlbarkeit. Es ist ein zugleich grotesker und zärtlicher Film, der bei aller Wut auf das Regime die Hoffnung auf ein gerechteres »Danach« ausdrückt. In Cannes gab es für Panahis Hauptpreis langen und heftigen Applaus.

Wie überhaupt die Liste der Preisträger in diesem Jahr weitgehend Zustimmung erfuhr. Als Lieblingsfilm der letzten Festivaltage hatte sich Joachim Triers »Sentimental Value« etabliert, der nun mit dem Grand Prix, der Silbermedaille des Festivals, geehrt wurde. Der Film des norwegischen Regisseurs ist ein meisterhaft erzähltes Familiendrama über einen seinen Töchtern entfremdeten Patriarchen. Ohne Kitsch oder Sentimentalität schildert er eine Aussöhnung.

Das amerikanische Kino dagegen spielte erneut eine überraschend untergeordnete Rolle in Cannes, die sich bei der Preisvergabe bestätigte. Ari Asters grelle Covid- und MAGA-Western-Satire »Eddington« enttäuschte mit leeren Schock- und Gewalt-Exzessen. Richard Linklaters »Nouvelle Vague« kam zwar bei den Franzosen überraschend gut an, wurde von der Jury unter Vorsitz von Juliette Binoche aber übergangen. So auch die als Favoritin gesetzte Jennifer Lawrence, die in Lynne Ramsays »Die, My Love« ungeheuer expressiv eine junge Mutter mit Depression verkörpert. Stattdessen entschied sich die Jury für die junge Französin Nadia Melliti, die in Hafsia Herzis verhaltenem Coming-out-/Coming-of-Age-Drama »The Little Sister« ein lesbisches Mädchen islamischen Glaubens spielt.

Zwei Entdeckungen gab es in diesem Jahr, beide sind eigentlich schon seit Jahrzehnten bekannt: zum einen der Brasilianer Kleber Mendonça Filho und sein Thriller »Secret Agent«. Der 1977 zu Zeiten der Militärdiktatur spielende Film zeigt zwar in aller Härte die Korruption und Gewalt dieser Jahre, handelt aber auch auf atmosphärisch-verspielte Weise von der Sinnlichkeit der Epoche und der Liebe zum Kino. Die Auszeichnung als bester Regisseur für Mendonça Filho erscheint wohlverdient.

Die zweite Entdeckung von bereits Bekannten war der neue Film des belgischen Brüderpaars Jean-Pierre und Luc Dardenne. In ihrem »Jeunes mères« stellt ein Quartett von Teenager-Müttern vor, die zusammen in einem betreuten Wohnheim leben. Es geht um Überforderung, unzuverlässige Väter, Armut, Drogensucht und Alkoholismus. Nichts davon ist neu oder spektakulär, aber wie die Dardennes in Würde die Probleme nachempfindbar machen, das hat Größe. Die Auszeichnung fürs beste Drehbuch (und der Preis der Ökumenischen Jury) erscheint für solche Meisterschaft fast ein bisschen wenig.

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