Kritik zu Der Mongole

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Asiatisches Historienepos mit dem Flair eines Western: Der russische Regisseur Sergei Bodrov hat mit dem japanischen Independentstar Tadanobu Asano in der Titelrolle die Geschichte Dschingis Khans verfilmt

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Zuallererst ist dieser Film eine Augenweide: majestätische Landschaften mit breitem Horizont, sandige Steppen, schneebedeckte Abhänge, bewaldete Hügel und darüber stets die unendliche Weite des Himmels in allen Schattierungen. Die Tonspur tut ein Übriges dazu: Da flüstert es unheimlich aus heraufziehenden Nebeln, Pferde wiehern, Flammen züngeln und mit scharfem Pfiff durchschneiden Säbel die Luft und klirren hell, wenn die Klingen aufeinandertreffen. Spektakulär im ursprünglichen Sinne des Worte sind auch Ausstattung und Kostüme: Männer und Frauen mit Lang- und Kurzhaarfrisuren in »unzivilisierter« Vielfalt tragen Ledermäntel und Pelzmützen, die aussehen, als hätten sie die Tiere, von denen sie stammen, noch gekannt. Energiegeladene Aufnahmen herangaloppierender Reiterhorden wechseln sich ab mit meditativen Bildern mäandernder Flussläufe, die im Mondschein glitzern, oder einer untergehenden Sonne, die blass-rötlich hinterm Felsen verschwindet. Langer Rede kurzer Sinn: »Der Mongole« ist ein Film von solch visueller Schönheit und atmosphärischer Dichte – wie man ihn wohl aus Russland zuallerletzt erwartet hätte.

Der Titel verkündet es ja recht plakativ: Hier geht es nicht um einen Mongolen, sondern um den Mongolen, und zwar um den, der unser aller, Ost wie West, Mongolenbild bis heute prägt: Dschingis Khan, dem Ruf nach grausamer Herrscher eines Weltreichs, das aus Barbarei und Sklaventum entstand. Der Theaterautor Heiner Müller pflegte sein Publikum gerne mit Geschichten von mongolischen Foltermethoden zu erschrecken, und ähnlich Horrendes findet sich auch im Werk des japanischen Bestsellerautors Haruki Murakami. Dass Sergei Bodrov seinen Film mit der Geste präsentiert, den landläufigen Vorurteilen entgegenwirken zu wollen, hat also gute Gründe. Doch darf man sich von diesen Behauptungen und dem Verweis auf Quellengenauigkeit und »historische Stimmigkeit« nicht allzu sehr beeindrucken lassen. Unter der prächtigen Oberfläche der Erzählung, all den fesselnden Bildern von säbelschwingenden Horden in endloser Steppe, stellt Bodrov uns einen Dschingis Khan ganz nach seinem eigenen, cineastisch geprägten Geschmack vor. In der Sprache des Kinos kann das nur heißen: als großen Liebenden.

Von besonderem erzählerischen Geschick zeugt nun, wie Bodrov, gelernter Drehbuchschreiber, diese Liebe vorstellt. Zu Beginn des Films reitet der 9-jährige Temudjin – so der Geburtsname des künftigen Khan – mit seinem Vater auf Brautschau. Die Verabredung mit einem bestimmten Clan ist schon getroffen, da machen sie unterwegs Halt bei einem ihnen rangmäßig untergeordneten Stamm. Dort spricht den kleinen Temudjin ein Mädchen an, das ein, zwei Jahre älter ist als er. »Nimm doch mich zur Frau!«, sagt es keck, und der 9-Jährige zeigt sich beeindruckt von so viel Geradlinigkeit. Der Vater gewährt die für ihn unvorteilhafte Verbindung mit patriachaler Großspurigkeit, während hinter seinem Rücken die Kinder sich verschwörerisch zulächeln.

Es ist nicht ohne Ironie, dass ein Film, der letztlich wie die Iron- und Batmans von einem Superhelden, sprich Supermacho handelt, als Erstes zeigt, wie dieser dem Willen einer Frau nachgibt. Für Bodrov liegt darin nichts weniger als der Schlüssel für die Persönlichkeit Dschingis Khans: ein Mann, dessen Stärke darin besteht, im richtigen Moment nachzugeben.

Der spontan geschlossene Bund zwischen Temudjin und Börte hat zunächst fatale Folgen: Bereits auf dem Nachhauseweg wird der Vater bei der Begegnung mit einem feindlichen Stamm vergiftet. Auch diese Szene dient Bodrov als Einführung eines ihm wichtigen Filmmotivs: die Auseinandersetzung mit dem, »was ein Mongole tut«. Zum Beispiel die Gebote der Gastfreundschaft nicht verletzen, was auch heißt: keine Gabe zurückzuweisen. Der Vater trinkt den ihm dargebotenen Trank, weil ihm die Einhaltung des Gebots wichtiger ist als seine persönliche Gefährdung. Ein anderes Mongolengebot rettet Temudjin zunächst das Leben: Er, seine Mutter und Geschwister werden entrechtet und enteignet, aber weil »ein Mongole keine Kinder tötet«, will sein Feind ihn lediglich gefangenhalten, bis er alt genug ist, um umgebracht zu werden. Es wird die erste einer ganzen Serie von demütigenden Gefangenschaften – die Dschingis Khan natürlich reifen und stark werden lassen.

Die Landschaften dabei sind nie nur Kulisse, sie prägen das Geschehen: mit der Unmöglichkeit, sich in diesen Weiten zu verstecken, mit der Anforderung, kilometerweit laufen zu müssen, um zu fliehen. Womit sich auch die mongolische Sitte erklärt, bei Gefahr Frauen und Kinder als »Ballast« den Feinden zu überlassen. Bodrov nun zeigt seinen Temudjin als den Ersten, der mit dieser Sitte bricht und seinen Gefolgsleuten verspricht, auch ihre Frauen und Kinder zu beschützen. Es ist nichts weniger als der Beginn einer Zivilisation.

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