Kritik zu Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
Der letzte Film des 2024 verstorbenen Wolfgang Becker erzählt von einem Videothekenbesitzer, der unfreiwillig zum DDR-Helden stilisiert wird, und fasst vieles zusammen, was Beckers Werk ausmacht
Es ist schön, mal wieder eine Videothek in einem Film zu sehen. Videotheken hatten ihren eigenen Charme, zwischen schmuddeliger Verruchtheit und einem hehren Hort der Filmgeschichte. Aber in den 2020er Jahren ist ein solcher Ort natürlich anachronistisch – und wem sagen Louis de Funès und Sophie Marceau noch was, deren Aufsteller in den Gängen stehen?
»Tycoon« heißt diese Videothek, vielleicht nach Elia Kazans »Der letzte Tycoon«, aber ihr Besitzer Micha (Charly Hübner) ist das genaue Gegenteil eines drahtigen Medienmoguls, ein eher verpennter Typ, bei dem sich die Mahnungen in der Schublade stapeln. Und der in seiner Videothek eigentlich keine Besucher begrüßen kann. Bis der Journalist Alexander Landmann kommt, der in seiner Vita gekramt hat. Micha soll den Bolzen aus einer Weiche geschlagen haben, die 1983 eine Ostberliner S-Bahn in den Westen lenkte und zu einer »Massenflucht« von 127 DDR-Bürgerinnen und -Bürgern führte.
Diese »Massenflucht« hat es natürlich nie gegeben, Maxim Leo hat sie sich für seinen 2022 erschienenen Roman gleichen Titels ausgedacht. Mit einem Augenzwinkern zeigt die Verfilmung die Fahrt der S-Bahn durch die neblige Berliner Nacht in einer Modelleisenbahn-Szenerie. Glaubt nicht alles, was ihr seht und hört, soll das heißen.
Mit viel Geld kitzelt der Journalist eine regelrechte Heldengeschichte aus Micha heraus, wie dieser ganz bewusst den Coup plante als Akt des Widerstands gegen das DDR-System und für mehrere Monate in den Bau musste. Und so wird Micha zur Titelgeschichte des »Fakt«-Magazins und viel bewunderter Gast in einer Talkshow. Was ihm anfänglich durchaus Spaß macht, bevor er merkt, welche Geister er da rief. Denn nun will auch noch der Bundespräsident, dass er eine Rede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls hält, und zwischen ihm und Paula, die als Kind in der S-Bahn saß, entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte.
Doch das steht alles auf tönernen Füßen. Das mit der Weiche war eher ein Versehen, und Micha hat nur zwei Tage gesessen. Allerdings wurde er für Jahre in den Tagebau versetzt, und seine Ex-Frau war eine auf ihn angesetzte Stasiagentin. Was aus dem Tollpatsch, der in die Heldenrolle eher hineinstolpert, eben doch eine tragische Figur macht.
Das Thema der Legende und ihrer Bildung exerziert der Film auf verschiedenen Ebenen durch, nicht nur bei Micha, sondern auch bei dem Widerständler (Thorsten Merten), der eigentlich die Rede halten soll. Und er zeigt: Wenn eine Legende erst einmal in der Welt ist, hat die Wahrheit wenig Wirkungsmacht. Oder, um es einmal mit einem Zitat aus John Fords »The Man Who Shot Liberty Valance« zu sagen: »When the legend becomes fact, print the legend.«
Mit »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« gelang Wolfgang Becker eine sanfte, augenzwinkernde Satire, bei der auch oft gesehene Karikaturszenarien wie eine an Schtonk! erinnernde Redaktionskonferenz nicht weiter stören. Es ist der letzte Film von Wolfgang Becker, der 2024 im Alter von 70 Jahren verstorben ist. Er konnte den Film noch inszenieren und hat einen ersten Rohschnitt gesehen, vollendet hat ihn der X-Filme-Kollege Achim von Borries. Nur ein schmales Œuvre hat Becker hinterlassen, aber mit Filmen, die es in sich haben, angefangen 1988 mit seinem existenzialistischen DFFB-Abschlussfilm »Schmetterlinge«.
In »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« hat er – neben einem großartigen Charly Hübner – viele Schauspielerinnen und Schauspieler besetzt, die wichtig waren in seinem Werk, etwa Christiane Paul (als Paula) und Jürgen Vogel (als Werbefilmregisseur für vegane Würstchen), das Liebespaar aus Beckers Berlin-Geschichte »Das Leben ist eine Baustelle« (1997) oder Daniel Brühl (als Serienstar), der in »Good Bye, Lenin!« (2003) seiner Mutter die DDR vorspielt und in »Ich und Kaminski« (2005) einen schmierigen Kunstkritiker gibt. So ist »Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße« ein Film geworden, der vieles zusammenfasst, das Wolfgang Beckers Werk ausmacht: die Sympathie für seine Figuren, ein Faible für die Underdogs und »einfachen Menschen« unserer Gesellschaft, ein untergäriger Witz und ein verschmitzter Umgang mit der Zeit- und Mediengeschichte. Ein schöner und würdiger Abschied.





Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns