Regisseur Paul Schrader im Interview

Ich weiß, wie Männer ticken
Paul Schrader und Oscar Isaac beim Dreh von »The Card Counter« (2021). © Heidi Hartwig / Focus Features

Paul Schrader und Oscar Isaac beim Dreh von »The Card Counter« (2021). © Heidi Hartwig / Focus Features

Der Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader erzählt im Interview mit Patrick Heidmann, wie er Stoffe entwickelt, was ihn am Film­geschäft stört und wie er Oscar Isaac in seinem neuen Film »The Card Counter« ein­gesetzt hat

Seine Karriere begann Paul Schrader, geboren 1946 in Michigan, als Filmkritiker, mit der großen Pauline Kael als Mentorin und einem viel beachteten Buch über Ozu, Bresson und Dreyer. Das erste eigene, gemeinsam mit Bruder Leonard verfasste Drehbuch »The Yakuza« löste prompt einen Bieterkrieg in Hollywood aus und wurde schließlich von Sydney Pollack verfilmt. Lange Jahre war Schrader fortan eine große Nummer in Hollywood, schrieb für Martin Scorsese die Drehbücher zu »Taxi Driver«, »Raging Bull«, »Die letzte Versuchung Christi« und »Bringing Out the Dead« und inszenierte selbst Filme wie »Ein Mann für gewisse Stunden«, »Mishima«, die Pinter-Adaption »Der Trost von Fremden« oder das Drama »Der Gejagte«. Nach einem Karriereknick in den 2000er Jahren mit Flops wie »Dominion: Exorzist« oder dem Lindsay-Lohan-Debakel »The Canyons« ist Schrader spätestens seit seiner Oscarnominierung für das Drehbuch zu »First Reformed« wieder bestens im Geschäft. Sein aktueller Film »The Card Counter« mit Oscar Isaac, Tiffany Haddish und seinem langjährigen Wegbegleiter Willem Dafoe feierte Weltpremiere im Wettbewerb des Festivals von Venedig (wo wir ihn zum Interview trafen). Und über die Filme anderer Leute schreibt er immer noch. Nur nicht mehr in Form von Kritiken, sondern in kontrovers-meinungsstarken Facebook-Posts.  

Mr. Schrader, »The Card Counter« handelt von einem ehemaligen Soldaten, der sein Geld als Pokerspieler verdient. Womit nahm dieser Film, in dem thematisch viel steckt, seinen Anfang?

Paul Schrader: Meine Drehbücher handeln immer nur von Dingen, die mich beschäftigen oder interessieren. Ich schreibe sie ja stets aus eigenem Antrieb, nie, weil mich jemand darum bittet oder mir gar einen Auftrag gibt. In jedem Fall müssen für mich bei jedem Skript zwei Dinge zusammen kommen: der Protagonist oder vielleicht sein Beruf auf der einen Seite und ein Thema, ein gesellschaftliches Problem auf der anderen Seite. Manchmal weiß ich erst, wer im Zentrum der Geschichte steht und finde dann das Problem, von dem ich mit ihm erzählen will. Und manchmal ist es andersherum. Da habe ich erst das Thema und muss dann die richtige Metapher dafür finden. So wie damals bei »Taxi Driver«.

Und wie war es in diesem Fall?

Dieses Mal hatte ich zuerst die Metapher und den Protagonisten. Ich schaute Poker-Übertragungen im Fernsehen und machte mir Gedanken darüber, was für ein seltsames Leben das doch ist. Im TV hat das ja was Glamouröses, aber diese Leute spielen mitunter zehn bis 12 Stunden am Tag. Sitzen einfach da, schreiben Zahlen auf, berechnen Wahrscheinlichkeiten und Gewinnchancen. Wer macht so etwas? Ist das statt glamourösem Spaß nicht eher eine Art Fegefeuer, in dem man weder lebendig noch tot ist? Eine Art Zombie-Welt? Ich wollte jedenfalls unbedingt jemanden zeigen, der nicht so wirklich dem entspricht, was man sonst in Film und Fernsehen von Pokerspielern sieht.

Also haben Sie Ihren Protagonisten zum Veteranen gemacht?

Erst einmal kam dann das Gesellschaftsproblem, von dem ich erzählen wollte. Und da ging es mir darum, dass heutzutage niemand mehr Verantwortung übernimmt. Statt »ich habe gelogen« sagen Leute nur noch »ich habe mich falsch ausgedrückt«. Niemand gesteht Schuld ein, sondern man beruft sich auf Fehleinschätzungen. Dagegen komme ich aus einer Zeit und einem Umfeld, wo man in eine Welt der Schuld hineingeboren wurde – und sich im Laufe des Lebens nur noch schuldiger machte. Doch was passiert nun, wenn jemand wirklich eine so große Schuld auf sich lädt, dass er sich selbst nicht verzeihen kann? 

So kamen Sie auf Kriegsverbrechen?

Genau. Das Militärthema kam bei »The Card Counter« dann ins Spiel, weil ich für diesen Mann etwas finden musste, das letztlich unverzeihlich ist. Ein Raubüberfall oder Mord wäre nicht genug gewesen. Da kam mir Abu Ghraib in den Sinn, dieser Schandfleck einer ganzen Nation, der für immer untrennbar mit den Vereinigten Staaten verbunden sein wird. Die Regierung mag ihm dafür verziehen haben, schließlich saß er fast acht Jahre im Gefängnis. Aber er selbst hat sich nicht verziehen. Und von dort ließ sich dann der Bogen schlagen zum Poker. Er spielt ja nicht des Geldes wegen Karten, wie er einmal sagt, sondern weil es die Zeit vertreibt. Das ist alles, wozu er im Leben noch in der Lage ist: die Zeit vertreiben. Er wartet eigentlich nur, so wie damals auch Travis Bickle nur gewartet hat.

Haben Sie die Figur in »The Card Counter« für Oscar Isaac geschrieben?

Nein, ich schreibe nie mit Blick auf bestimmte Schauspieler. Dabei wird man bloß faul. Denn wenn sich ein Monolog in meinem Kopf nur toll anhört, weil ich mir vorstelle, dass Al Pacino ihn spricht, dann ist das womöglich nicht automatisch ein großartiger Monolog. Aber in jedem Fall hatte ich Oscar früh im Sinn für die Rolle. Schon bei »First Reformed« wollte ich ihn eigentlich besetzen, habe mich dann aber doch für Ethan Hawke entschieden, weil der ein wenig älter ist. Und kennen tue ich Oscar noch viel länger, denn ich gab ihm vor 20 Jahren seine erste Hauptrolle, in einem Film, der dann leider im letzten Moment nicht zustande kam.

Was machte ihn nun zum richtigen Schauspieler für Ihren Pokerspieler?

Ich mag, dass er aussieht wie ein klassischer Filmstar. Zumindest wenn er nicht gerade so ungepflegt daherkommt wie in »Inside Llewyn Davis«. Oscar erinnert mich an Ramón Novarro, einen aus Mexiko stammenden Star der Stummfilmzeit. Und an Marcello Mastroianni. Seine 
Optik, diese filmreife Hülle, wollte ich mir zunutze machen, denn diese Figur trägt ja quasi eine Maske. Der Charakter verbirgt sich hinter der Oberfläche des schicken Pokerspielers. Und für so etwas braucht man einen starken Schauspieler, denn sich im Spiel aufs Äußere zu verlassen, macht den meisten Angst.

Sie erwähnten gerade »First Reformed«, für dessen Drehbuch Sie 2019 Ihre allererste Oscarnominierung erhielten. Hat der Film in gewisser Weise Ihre Karriere wiederbelebt?

Eigentlich passierte das schon einen Film früher, mit »Dog Eat Dog«, zu dem ich das Drehbuch gar nicht selbst geschrieben habe. Damals war ich gerade aus einem anderen Projekt rausgeschmissen worden und meine Karriere eigentlich fast vorbei. Das Skript zu »Dog Eat Dog« landete auf meinem Tisch und gefiel mir. Ich wusste, dass ich Nicolas Cage dafür gewinnen würde können, womit sich die Finanzierung auf die Beine stellen ließe. Meine einzige Bedingung war, dass ich den Final Cut bekomme. Seither habe ich bei meinen Filmen Final Cut. Und weil gleichzeitig durch die technologischen Fortschritte die Budgets niedriger sind als früher, habe ich plötzlich so viele künstlerische Freiheiten wie nie zuvor.

Früher hatten Sie keinen Final Cut?

Lange Zeit sah ich dazu gar keine Notwendigkeit. Schließlich hatte man es in den siebziger und achtziger Jahren mit Produzenten zu tun, die Filme liebten. Nicht immer machten ihre Entscheidungen das Ergebnis am Ende besser, aber man musste ihre Motivation nicht infrage stellen. Doch dann veränderte sich die Filmbranche. Erst hielt das corporate money Einzug, und Warner Bros. gehörte plötzlich einer Firma, die sonst Parkplätze betrieb. Danach kam das hedgefund money, und spätestens da hatte man es dann nur noch mit Leuten zu tun, denen es nicht um Filme, sondern um Investitionsmöglichkeiten ging. Auf die guten Absichten seiner Produzenten kann man sich seither nicht mehr verlassen, also ist es plötzlich essenziell, dass man als Regisseur Final Cut hat.

Warum tun Sie sich die Branche überhaupt noch an? 

Welche Wahl habe ich denn? Ruhestand gibt's in diesem Job schließlich nur, wenn irgendwann das Telefon nicht mehr klingelt. Und das gilt es eigentlich zu verhindern. Solange ich noch Ideen habe, freue ich mich jedenfalls, wenn ich weitermachen kann. Natürlich weiß ich, dass ich so viele Filme nicht mehr drehen werde. Einer kommt auf jeden Fall noch, danach sehen wir weiter. Ich weiß nur, dass ich keine Lust auf Trivialitäten habe. Und langweilen will ich mich auch nicht. Deswegen freue ich mich so auf meinen nächsten Film »Master Gardener«. Da geht's um einen von Joel Edgerton gespielten Mann zwischen zwei Frauen, einer älteren und einer jüngeren. So eine Dreiecksgeschichte habe ich noch nie erzählt.

Wo wir gerade bei Frauenfiguren sind: Warum haben Sie nie eine Ihrer Charakterstudien – wie »The Card Counter«– mit einer Protagonistin umgesetzt?

Es ist nicht so, dass ich nicht darüber nachgedacht hätte. Und ich habe ja im Laufe meiner Karriere durchaus ein paar spannende Frauenfiguren gehabt. Ich habe einen Film über Patty Hearst gedreht, und denken Sie an »Cat People« mit Nastassja Kinski. Aber wissen Sie, bei Männern kenne ich jedes kleine Rädchen im Getriebe. Ich weiß, wie sie ticken und habe ein intuitives Gespür für sie. Das habe ich bei Frauen nicht. Es fällt mir nicht so leicht, mich in ihre Köpfe hineinzuversetzen. Manche Männer können das, ich nicht.

Letzte Frage noch zu Ihrem alten Wegbegleiter Martin Scorsese, der bei »The Card Counter« als Executive Producer gelistet ist. Wie sah sein Einfluss aus?

Marty und ich arbeiten an einem größeren Fernsehprojekt, das wir für eine Weile auf Eis legen mussten, während er an seinem neuen Film »Killers of the Flower Moon« arbeitete. Als ich damit beschäftigt war, »The Card Counter« auf die Beine zu stellen, fragte ich ihn, ob er es nicht auch nett finden würde, wenn wir auf unsere alten Tage noch mal gemeinsam in einem Vorspann stehen. Ich wusste, dass es ein klein wenig leichter für mich würde, die Finanzierung zu bekommen, wenn sein Name fällt. Diesen Gefallen tat er mir gern. Aber mehr war das auch nicht.

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