Das System Franco

Anke Sterneborg über einen rastlosen Künstler

James Franco in »Eyery Thing Will Be Fine«

Gibt es tatsächlich nur einen James Franco? Oder versammeln sich unter diesem Label lauter Klone, die in die Welt ausschwärmen, um Filme zu drehen, Bilder zu malen, Geschichten zu schreiben ...

Als Wim Wenders anlässlich der Weltpremiere seines neuen Spielfilms »Every Thing Will Be Fine« auf der Berlinale seinen Star auf die Bühne rief, kündigte er James Franco kurzerhand als »Mr. Berlinale 2015« an. Schließlich war der Schauspieler noch in zwei weiteren Filmen des Festivals prominent vertreten, als Liebhaber von Nicole Kidman in Werner Herzogs »Queen of the Desert« und als Lebensgefährte von Zachary Quinto in Justin Kellys Panorama-Beitrag »I am Michael«. Und es kursierten Gerüchte, dass rund zehn weitere Filme mit seiner Beteiligung eingereicht waren, was vielleicht ein bisschen übertrieben sein mag, aber auch nicht weiter verwundern muss, wenn man einen Blick auf seine Filmografie wirft, die auch mal rund zehn Filme als Schauspieler, zwei als Regisseur und noch einige als Autor und Produzent in einem einzigen Jahr aufweist. Tatsächlich ist der Mann ein Phänomen, selbst wenn diese ungeheure Produktivität naturgemäß auch eine ganze Menge Ausschussware hervorbringt.

Gerade noch war James Franco in dem Skandalfilmchen »The Interview« als Gastgeber einer ziemlich trashigen Celebrity-Talkshow zu sehen, die auf niederen Enthüllungsjournalismus spezialisiert ist: Egal ob Rob Lowe unter einer Perücke schüttere Haarsträhnen zur Schau stellt, Eminem sich en passant zur Homosexualität bekennt oder Matthew McConaughey seiner sexuellen Vorliebe für Ziegen frönt – Francos Dave Skylark ist der Mann, der all diese Sensationen mit großer Geste, wild grimassierend und in marktschreierischem Ton ans Boulevardvolk bringt. Das ist die ausgelassen kindische Sau, die er wie hier vor allem im Gespann mit seinem Freund Seth Rogen gerne rauslässt; seit sich die beiden als Youngsters in Judd Apatows (Produktion) und Paul Feigs (Buch und Regie) hinreißender Highschool-Serie »Voll daneben, voll im Leben« kennengelernt haben, gaben sie nicht nur die Highschool-Freaks, sondern waren unter anderem zugedröhnt auf dem »Ananas Express« oder in der großen Weltuntergangssause von Das ist das Ende zu sehen. Wobei der Spaß all dieser überdrehten Albernheiten vor allem der unangestrengten Chemie zwischen den beiden Schauspielern zu verdanken ist, die jedenfalls nicht den Eindruck vermitteln, als müssten sie hier allzu hart arbeiten. Eher schaut es so aus, als würden sie genau das tun, was sie auch nach ein paar Bierchen auf ihren Sofas zu Hause treiben, wenn sie mit den neuesten, verrückten Ideen jonglieren.

Doch das ist nur eine der Seiten des James Franco: Hier der polternde Talkshow-Host in »The Interview«, dort der leise Schriftsteller in »Every Thing Will Be Fine«. Hier der durchgeknallte Drogenkönig mit Waffenarsenal und glänzendem Stahlgebiss in »Spring Breakers«, dort der verzweifelt in einer Felsspalte eingeklemmte Abenteurer Aron Ralston, der unter der Regie von Danny Boyle 127 Stunden lang allein ausharrt und sich nur befreien kann, indem er sich den Arm absägt. Den größten Teil der 93 Filmminuten ist Franco allein mit der Kamera im Felsen, eine Tour de Force, die ihm 2010 eine Oscarnominierung bescherte, im selben Jahr, in dem er die Verleihung zusammen mit Anne Hathaway auch noch moderierte – was in der Geschichte der Academy Awards vorher noch nie passiert war.

Jedenfalls kann Franco auch ganz ernst, zurückhaltend und minimalistisch, eher introspektiv als extrovertiert, unangestrengt charismatisch sein, so wie in Wim Wenders’ »Every Thing Will Be Fine«, wo er einen Schriftsteller spielt, dessen Leben aus den Angeln gehoben wird, als er schuldlos den Tod eines Kindes verursacht. Den inneren Kampf, den er in den folgenden zwölf Jahren austrägt, macht er spürbar, ohne aussprechen zu müssen, um was es wirklich geht. Was wiederum das Kriterium war, nach dem Wim Wenders ihn und seine anderen Schauspieler ausgewählt hat: »Die 3D-Kamera nimmt alles wahr und zwingt den Schauspieler, zu sein und nicht mehr zu spielen, weil sie die geringste Übertreibung gnadenlos wiedergibt. Aus diesem Grunde habe ich bei der Besetzung besonders darauf geachtet, dass die Schauspieler eine starke und sehr glaubhafte Präsenz haben, die sie sich nicht erst erspielen müssen.«

Generell balanciert Franco auf einem schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion, Hollywood und New York, Filmset und Uni-Vorlesungssaal, jongliert immer zugleich mit Film, Kunst und Literatur. Auch der Wechsel zwischen millionenschweren Blockbustern, anspruchsvollen Independent-Produktionen und schrägen Undergroundfilmen gelingt ihm spielend. Wenn er also in »Das ist das Ende« zusammen mit seinen Kumpels aus der weitgestreuten Apatow-Crew unter eigenem Namen auftritt, dann ist das in gewisser Weise auch schon ein Hinweis darauf, wie das System Franco funktioniert, in dem auffällige Ballungen durchaus ein Indiz für persönliche Vorlieben sind.

Gewiss ist es kein Zufall, dass der Akteur, der selbst unter dem nach seinem Geburtsort benannten Titel »Palo Alto« einen inzwischen auch verfilmten Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht hat, immer wieder Literaten und Künstler spielt: unter anderem Allen Ginsberg in Howl, den fiktiven Tomas in Wenders neuem Film oder auch den Schauspieler James Dean in dem Fernsehfilm, der ihn 2001 mit einer Golden-Globe-Nominierung schlagartig berühmt machte. Leben und Werk gehen bei Franco fließend ineinander über, vermutlich auch, weil sonst bei dieser enormen Umtriebigkeit auch gar kein Leben mehr übrig bliebe. Das Leben wird bei ihm in gewisser Weise zum Gesamtkunstwerk, in dem Film, Literatur, Fotografie, bildende Kunst, Medien- und Gesellschaftskritik verschmelzen. So beschrieb er auch das Spiel mit seinem Medienimage und seiner Sexualität in einem SZ-Interview vor zwei Jahren als Ventil: »Im Internet wird der größte Schwachsinn über Prominente verzapft. (...) Für mich verlieren die Behauptungen und Spekulationen ihre Macht, sobald ich auf sie künstlerisch reagiere. So komme ich mit der ungeheuren Distanzlosigkeit und dem Umstand, dass heute jeder öffentlich über jeden alles behaupten kann, viel besser klar.« Einfach nur vor der Kamera zu agieren, genügt ihm einfach nicht: »Ich habe schon immer gerne gemalt und gezeichnet. Es hat sich eben so ergeben, dass ich als Schauspieler schnell Erfolg hatte. Dann folgte eine Phase, in der ich unzufrieden wurde, weil ich mein Potenzial nicht ausschöpfe. Als Schauspieler trägt man meist nur dazu bei, den kreativen Prozess eines anderen umzusetzen, ich stand wie ein Schnellkochtopf unter Druck, so viele Ideen, so viele Interessen, so viele Möglichkeiten. Ich sehnte mich danach, auszudrücken, was sich in meinem Kopf abspielt.« So lebt er sich nicht nur als Schauspieler aus, sondern auch als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, als Fotograf, Maler und Schriftsteller.

1978 als erster von drei Söhnen (darunter Schauspieler Dave Franco) im kalifornischen Palo Alto geboren, belegte er schon parallel zum Studium der englischen Literatur an der UCLA in Los Angeles Schauspielkurse. Erste Nebenrollen übernahm er 1999 in dem Fernsehmehrteiler »Tage voller Blut – Die Bestie von Dallas« und in Raja Gosnells romantischer Komödie »Ungeküsst«. Und dann kam auch schon bald der Durchbruch in Mark Rydells biografischem Fernsehfilm »James Dean«, eine Rolle, an der man sehr leicht scheitern kann – wie Dane DeHaan in Anton Corbjins Life aktuell bestätigt. Franco spielt Dean auf eine Weise, die keine Zweifel lässt, dass dessen Ehrgeiz, Leidenschaft, Getriebenheit und zu einem Teil sogar dessen innere Einsamkeit auch seine sind. Doch der äußeren Ähnlichkeit zum Trotz spielt er ihn auch, ohne ihn zu imitieren, ohne sich in ihm zu verlieren. Es ist eher so, als würden die beiden James – Dean und Franco – wechselweise aufschimmern, wie die zwei schillernden Farben einer Thai-Seide, von denen eine, je nachdem wie man den Stoff hält, immer etwas stärker leuchtet. Tatsächlich umgibt Franco, ähnlich wie Dean, eine Aura des Loners, der autark, beziehungsscheu oder beziehungsunfähig nie wirklich in der Gemeinschaft mit einer Frau aufgeht, von den »Freaks and Geeks« in der Highschool bis zu »Every Thing Will Be Fine«, in dem sich immerhin eine Hoffnung eröffnet. Das Dean-Thema ließ Franco nicht ganz los, später kam er noch mal darauf zurück, in einem eigenen Film Sal über das tragische Leben von Sal Mineo, Deans Ko-Star in »Rebel Without a Cause«.

Der Golden-Globe-Ruhm eröffnete Franco dann auch den Weg ins Blockbusterkino, in Sam Raimis »Spider-Man«-Comic-Verfilmungen, in denen er insgesamt dreimal Harry Osborn spielte, den Freund und späteren Gegenspieler des Helden. Es folgten kleinere Rollen in renommierten Produktionen wie Robert Altmans »The Company – Das Ensemble«, in Paul Haggis’ »Im Tal von Elah« und Ryan Murphys »Eat Pray Love«. Doch neben seiner zunehmend zeitintensiven Schauspielkarriere studierte James Franco weiter, war zeitweise parallel in drei New Yorker Universitäten eingeschrieben und kann einen Bachelor of Arts-Abschluss mit Schwerpunkt kreatives ­Schreiben und einen Master of Fine Arts vorweisen. Derzeit bereitet er sich, ganz nebenbei, auf seine Doktorprüfung vor, weshalb er auf dem Set von Wim Wenders jede freie Minute zum Lesen nutzte. Außerdem unterrichtet er Filmstudenten, unter anderem an der New Yorker »Tisch School for the Arts« und spielte 2014 auch noch auf der Broadway-Bühne in John Steinbecks »Of Mice and Men«. Nach eigener Aussage schläft er nicht mehr als drei bis fünf Stunden und meidet Alkohol und Drogen. Anders wäre das alles nicht durchzuhalten, doch die Frage ist: Was treibt ihn zu diesem mörderischen Tempo an, als würde ihm die Zeit davonlaufen?

Spätestens seit James Franco in Gus van Sants Milk einen der Liebhaber von Seans Penn Titelhelden gespielt hat, dem ersten bekennenden schwulen Aktivisten, der es in San Francisco in die Politik schaffte, engagiert er sich für die Belange der Schwulen. Und zwar nicht nur, indem er Rollen übernimmt, vor denen so mancher Hollywoodschauspieler aus Angst vor der Schädigung seines heterosexuellen Rufs zurückschrecken würde, zuletzt in »I am Michael«, wo er sich, basierend auf der Biografie von Michael Glatze, vom engagierten Blogger-Aktivisten zum bigotten Priester wandelt. Mit solchen Rollen kokettiert er nicht nur, um sich als wagemutiges Enfant terrible zu inszenieren, ihm geht es glaubhaft darum, gesellschaftliche Normen infrage zu stellen: »Es gefällt mir nicht, wie meine Wahrnehmung verdreht wird, nur weil jede verdammte Toilettenpapierwerbung einen Mann und eine Frau zeigt, die zusammenleben. Und weil jede verdammte Liebesgeschichte von einem Mann erzählt, der ein Mädchen sucht, und die einzige Art, wie sie glücklich werden, ist, am Ende in den Sonnenuntergang zu laufen. Ich habe diesen Mist einfach satt!«, sagt er im Bonus-Interview zu »Interior.Leather Bar«, in dem er zusammen mit Koregisseur Travis Mathews imaginiert, wie die 40 zensierten und vernichteten Minuten von William Friedkins Cruising ausgesehen haben könnten. Wie so oft bei Franco verschwimmen in dem Film die Grenzen von Realität und Fiktion. Während er sich diese Minuten vor- und sie dann nachstellt, dokumentiert er zugleich den Entstehungsprozess seines eigenen Films und damit auch die Zweifel, die den Schauspieler Val Lauren überkommen, der hier, wie einst Al Pacino, zugleich abgestoßen und fasziniert ist von der fremden Welt. Für Franco ist dieses Projekt Teil einer Mission gegen die gesellschaftlich manipulierten Bilder, die sich das Mainstream-Kino von schwulem Sex macht. Statt die Lederbar wie in »Cruising« als dunkle, böse Hölle darzustellen, die logisch zu abartigen Verbrechen und Mord führt, will er sie als eine von vielen möglichen Optionen zeigen: »Es darf gezeigt werden, wie Menschen in Explosionen und Kugelfeuer weggeblasen werden, aber schwuler Sex soll verdammtes Teufelszeug sein? Jeder spricht ständig über Sex, jeder tut es unablässig, aber zeigen darf man es nicht? Sex sollte ein Mittel sein, um eine Geschichte zu erzählen, um etwas über die Menschen zu erzählen, von denen sie handelt. Fuck, yes! Gay sex should be in the mainstream!«

2004 begann James Franco mit eigenen Regiearbeiten, die er als Nebentätigkeit und Spaß bezeichnet und zunächst meist mit sehr kleinem Budget auf der Basis von Stücken seiner Freunde und mit Darstellern aus seiner Theatergruppe realisierte. Während die meisten dieser Filme recht fahrig und unausgegoren wirken, eher wie Regiefingerübungen denn fertige Filme, gewinnt er langsam auch als Regisseur an Profil. Die Verfilmungen von Cormac McCarthys »Child of God« und von William Faulkners Roman »Als ich im Sterben lag« sind bereits kleine Meisterstücke: Mit Split-Screen und Voice-over bricht er in »As I Lay Dying« die harsche Realität des Farmalltags in den Südstaaten. Die verschiedenen Kapitel, die die Geschichte bei Faulkner in die verschiedenen Perspektiven der Familienmitglieder aufteilen, lässt er auf hypnotisch fließende Weise ineinander übergehen, und er findet ein filmisches Äquivalent für Faulk­ners Sprache, wobei Franco im Bonus-Interview eine Beziehung herstellt zwischen den aus dem Off gesprochenen Monologen und den Beichten des Reality-TV. Dabei entsteht ein eigentümlicher Sog, in dem sich nach dem Tod der Mutter die Familiengeheimnisse langsam entblättern, während der zahnlose Vater (Tim Blake Nelson), seine drei Söhne (einer davon von Franco gespielt) und die Tochter im Kampf gegen die Zeit und die Hitze den selbst gezimmerten Sarg mit einem Pferde­karren durchs unwegsame Land ziehen.

Auch als bildender Künstler und Fotograf wird Franco inzwischen durchaus ernst genommen. 2010 wurde seine erste Solo­ausstellung in New York eröffnet, es folgten eine Zusammenarbeit mit Gus van Sant im MoMa und die Soloausstellung »Gay Town«  in Berlin. Die Themen sind ähnlich gelagert wie die seiner Filme: Genderdiskurs und Homophobie, die Filmindustrie und die Celebritykultur. Bleibt die Frage, ob er dieses Tempo halten kann. Oder ob er, statt rastlos alles zu machen, sich möglicherweise auf eine weisere Auswahl konzentriert.

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