Kritik zu Interior. Leather Bar.

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James Franco und Travis Mathews »re-imaginieren« die vierzig verschollenen Minuten aus William Friedkins SM-Thriller Cruising und befragen Protagonisten damals und heute

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Der berüchtigte, im S/M-Milieu angesiedelte Thriller »Cruising« bedeutete 1980 in doppelter Hinsicht einen Bruch – in der Karriere von Regisseur William Friedkin, der von Schwulenverbänden der Homophobie bezichtigt wurde, aber auch als Zerfallserscheinung des New-Hollywood-Kinos, das seine erkämpften Freiheiten nicht in die bleiernen Reagan-Jahre hinüberretten konnte. »Cruising«, der »Skandalfilm« der damaligen Berlinale, stieß bei Kritik und Publikum gleichermaßen auf Ablehnung. Friedkin hatte den Schockeffekt einkalkuliert, aber die Tatsache, dass er vierzig Minuten in Schwulenclubs gedreht haben soll, zeigt auch, dass er weit weniger Berührungsängste als viele seiner Zeitgenossen hatte. Diese ominösen vierzig Minuten haben es nicht in den finalen Film geschafft und gelten heute als verschollen. Was schließlich in die Kinos kam, ist ein kruder Thriller, der mit seinem »biggest selling point« – Al Pacino in Leder – immer an der Grenze zur Exploitation operierte. Interessanterweise, so erzählen einige Protagonisten im Filmexperiment von Travis Mathews und James Franco, genießt »Cruising« in der schwulen Lederszene heute Kultstatus.

Instruktiv ist auch der frühere Arbeitstitel des Films: »James Francos Cruising«. Hollywoods Darling, das seine Karriere zwischen Stoner-Komödien, Disney-Filmen und eigenwilligen Kunstprojekten macht, hat sich zusammen mit Mathews vorgenommen, die verschollenen vierzig Minuten nachzustellen. Was zunächst nach Konzeptkunst klingt, entpuppt sich als interessante Reflexion über Männlichkeitsbilder im Hollywoodkino. Francos alter (heterosexueller) Freund Val soll in der Rolle Pacinos die Ambivalenz und Lust »rekonstruieren«, die die Figur in Friedkins Krimi angesichts von hemmungslos vögelnden Homopärchen befiel.

Sein Agent warnt Val, dass sich seine Karriere – im Gegensatz  zu der Francos – von dem Ruf, in einem »Schwulenporno« mitzuspielen, nicht wieder erholen könnte. Franco macht also keinen Hehl daraus, dass »Interior. Leather Bar.« das »vanity project« eines Künstlers ist, der seine Prominenz relativ abgesichert in die Waagschale wirft. Die anderen Teilnehmer haben einfach nur Bock, James Franco kennenzulernen. Und ihn nackt zu sehen. Das aber passiert nicht.

Friedkins Film interessiert Franco nur am Rande. Was in den verschollenen Szenen zu sehen war, ist weniger wichtig als das, was die Darsteller beim Dreh empfunden haben mögen. Vals wachsendes Unbehagen ist ein Hinweis darauf, worum es Franco tatsächlich geht. »Warum ist es für uns so normal, im Kino zerschossene Körper zu sehen, nicht aber zwei Männer beim Sex?«, fragt er in einem Metamoment. Franco macht seinen Punkt mit einer Mischung aus Eitelkeit und gespielter Naivität überdeutlich. Die »re-imaginierten« Szenen aus »Cruising« fallen denkbar kurz aus. Viel länger hält die Kamera auf die Gesichter der Männer, in denen sich das ganze Spektrum von Lust, Befangenheit, Neugier und Ekstase abzeichnet. Empfindungen, die im Laufe des Films genauso ineinander verschwimmen wie die Grenzen von Dokumentation und Inszenierung.

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