Kritik zu Das Verschwinden des Josef Mengele

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Sympathy for the devil? Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov (»Leto«) hat den Bestseller von Olivier Guez über einen der furchtbarsten Nazi-Täter verfilmt

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Der Nazi-Massenmörder Josef Mengele wurde nie gefasst. Der »Todesengel von Auschwitz«, der an der Rampe entschied, wer gleich ins Gas kam und wer durch Arbeit vernichtet werden sollte, und der im Dienst der Nazi-Rassentheorie und Eugenik unsagbar grausame Experimente durchführte, floh, wie viele Nazis, nach Argentinien. Dort gewährte das Regime Perón, das mit dem Faschismus durchaus sympathisierte, den über die »Rattenlinien« Geflohenen Unterschlupf.

Der russische Regisseur Kirill Serebren­nikov, bekennender Putin- und Ukraine­kriegsgegner, der nach langem Hausarrest in Moskau in Berlin lebt, hat den 2017 erschienenen gleichnamigen Tatsachenroman des französischen Autors Olivier Guez adaptiert. Der Film setzt ein mit dem Sturz von Perón 1955, als es für Mengele nicht mehr sicher war in Argentinien. August Diehl spielt diesen Mengele, der sich mit seinem markanten Oberlippenbart immer wieder umdreht und die Straßenseite wechselt, mit kalter Präzision als Getriebenen und Fanatiker, der sich auf Geldzuwendungen aus der Bundesrepublik und auf ein Netzwerk aus untergetauchten Nazis in Südamerika stützt. Die Hochzeit mit seiner zweiten Frau (Friederike Becht, siehe S. 5) 1958 in Uruguay taucht tief ein in die Männerbünde und Rituale der Hakenkreuzler. In den 60ern lebt Mengele bei einer ungarischen Familie in Brasilien auf einer Farm, in die er sich eingekauft hat.

1956 kehrt er noch einmal zurück, zu seiner Familie ins bayerische Günzburg. Das ist historisch verbürgt und sagt viel darüber aus, wie wenig die junge BRD die Nazi-Täter verfolgt hat. Eine der intensivsten Szenen des Films ist das Essen im getäfelten Speisesaal, mit Dienstboten und dem patriarchalen Vater. Er wird verkörpert von Burghart Klaußner, der in Der Staat gegen Fritz Bauer den hessischen Generalstaatsanwalt spielte. Mengeles Untertauchen wird zu einem stetigen Abstieg, und der akkurate Nazi-Arzt immer paranoider. Anflüge von Schuld oder Scham kennt er nicht, und er brabbelt weiter Nazi-Floskeln vor sich hin. Am Ende seines Lebens wohnt er in einer Hütte in São Paulo. Wo ihn 1977, ebenfalls verbürgt, sein Sohn besucht. Rolf will wissen, was sein Vater in Auschwitz getan hat, aber Mengele bleibt stur, symptomatisch vielleicht für den ausgebliebenen Dialog der Täter mit ihren Kindern. 

Serebrennikov und sein hervorragender Kameramann Vladislav Opelyants haben ihren Film, der immer wieder zwischen den Zeitebenen springt, in Schwarz-Weiß gedreht, das suggeriert nicht nur, dass in einer Vergangenheit, die wir alle als eher bunt erinnern, ein Ewiggestriger herumläuft, es illustriert auch den Schattencharakter Mengeles in Südamerika. Nur einmal kommt Farbe ins Bild: in einer als Amateurfilm inszenierten Sequenz mit Mengele und seiner ersten Frau beim Baden an einem See, eine Szene, die nicht von ungefähr an Jonathan Glazers »The Zone of Interest« erinnert. Doch wo Glazer die Präsenz des Lagers nur als beständiges Rauschen und Stimmengewirr der Tonspur vorführt, geht Serebrennikov weiter: Er zeigt die Erschießung eines Vaters und eines Sohnes und wie sein Assistent, der Häftling Nyiszli, die Körper kocht, um das Fleisch von den Knochen zu lösen. Mengele will die Knochen seinem Mentor Otmar von Verschuer schicken. Eine ungemein brutale Szene, wie im Nebenbei gefilmt. Darf man das? Claude Lanzmann, der mit Shoa den definitiven Erinnerungsfilm über den Holocaust drehte, war der Meinung, man könne den Horror der Vernichtungslager nicht in – inszenierte – Bilder fassen. Ein berechtigter Einwand, doch hier funktioniert das durchaus, als Dokument der Menschenverachtung.

»Das Verschwinden des Josef Mengele« betreibt keine Introspektive, keine Täterpsychologie eines Mannes, der sichtlich voller Hass ist und in seinem Drecksloch immer noch glaubt, der Herrenrasse anzugehören. Sympathy for the devil? Eine Identifikation verhindert Serebrennikov durch die Kälte seiner Inszenierung und den Verzicht auf Thrillerelemente. Man mag dem Film keinen allzu hohen Erkenntnisgewinn bescheinigen, aber als Film über das Fortleben faschistischer Ideologie und Strukturen in der Nachkriegszeit funktioniert er. 1979 ist Mengele gestorben. Beim Baden.

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