Kritik zu The Zone of Interest

englisch © A24

Jonathan Glazer hält es in seinem vierten Film mit Primo Levi, der überzeugt war, dass man dem Holocaust nicht direkt ins Gesicht blicken kann. Er nähert sich dem Zivilisationsbruch, indem er seinen Blick wagemutig auf den Alltag der Familie von Rudolf Höß konzentriert. Das Ausgesparte ist hier unentrinnbar

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Abends pflegt der Hausherr, in den Zimmern die Lichter zu löschen und ihre Türen fest zu verschließen. Letzteres wäre nicht unbedingt nötig. Das Haus des Lagerkommandanten dürfte das einbruchssicherste in der gesamten Umgegend von Auschwitz sein. Aber Disziplin, Ordnung und Sparsamkeit wurden ihm eben anerzogen.

Gegen den Einbruch der Wirklichkeit, die hinter der hohen, mit Stacheldraht bewehrten Mauer liegt, ist der Haushalt ebenfalls geschützt. Die Bewohner sind ganz auf den beschaulichen Alltag konzentriert. An das unablässige Dröhnen von nebenan haben sie sich gewöhnt – gerade so, wie man Industrielärm mit der Zeit nicht mehr hört. Rufe, Schüsse, Schreie und Hundegebell, die gelegentlich hinüberwehen, ignorieren sie. Nichts ficht die Integrität dieses Refugiums an. Es ist aber auch vollkommen! Im Garten blüht und gedeiht alles in paradiesischer Eintracht, der Essenstisch ist immer reichlich gedeckt und die Kinder des Ehepaares Höß sind wohlgeraten. Alles, was wir wollen, frohlockt Mutter Hedwig (Sandra Hüller), haben wir direkt vor der Haustür. Das Pflichtgefühl ihres Gatten Rudolf (Christian Friedel) ist eine Garantie für den Erhalt der Lebensqualität.

Jonathan Glazer eröffnet die Innenansicht einer obszönen Idylle; eine Nahaufnahme, die sich vor allem in distanzierten Totalen und Halbtotalen artikuliert. Sein Film nimmt nicht Anteil am Glück der Familie, sondern betrachtet es mit dem neutralen Blick einer Überwachungskamera. Er spekuliert weder auf Indizien der Monstrosität noch der Vermenschlichung seiner Charaktere. Die Eheleute müssen die Nazi-Ideologie nicht im Munde führen, weil sie diese mustergültig verkörpern. Sie sind aufstrebende Kleinbürger, die stolz auf das Erreichte sind. Er ist ein pedantischer Karrierist, dessen Organisationstalent von den Vorgesetzten hoch geschätzt wird. Der perfekte deutsche Pionier für den Ostraum, sagt sie über ihn. Hedwig wiederum führt im Haushalt ein strenges Regiment und genießt ihre Privilegien. Diese haben durchaus einen kleinlichen, schäbigen Aspekt. Wie selbstverständlich teilt die Hausherrin Kleidungsstücke von KZ-Insassen unter der Familie und den Dienstboten auf (der Nerzmantel bleibt ihr vorbehalten), während der Lagerkommandant das ihnen abgepresste Geld nach Währungen sortiert. Muss man die Hoffnung auf einen Moment des Innehaltens, des sich regenden Gewissens aufgeben? Einzig zwei Nebenfiguren ertragen das Leben an diesem Ort nicht, Hedwigs Mutter (Imogen Kogge), die vorzeitig ihren Besuch abbricht, sowie das Kindermädchen, das nachts im Alkohol Vergessen sucht.

Es geschieht nichts in diesem Film außer dem bukolischen Einerlei des Familienlebens – das einzige dramatische Ereignis ist die drohende Versetzung nach Oranienburg –,aber in jeder Einstellung steht alles auf dem Spiel. Die Bilder sind beklemmend doppeldeutig, ihre vermeintlich arglose Konkretion und ihr Subtext sind untrennbar voneinander. Sie sparen Anhaltspunkte des Grauens nicht komplett aus, die rauchenden Schornsteine des Lagers sind im Hintergrund präsent. Aber der Film, den man sieht, scheint ein anderer zu sein als der, den man hört. Aus ihrem Zusammenspiel entsteht ein mächtiges sinnliches und moralisches Vibrieren. Das verzehrende Rumoren von Johnnie Burns Sounddesign macht uns zu Mitwissern des Zivilisationsbruchs. Die Tonspur ist drapiert mit Clustern, aus denen sich allmählich das Entsetzliche herausschält; zumal in den untergründigen Chorgesängen der Partitur von Mica Levi. Wir können nicht verdrängen, was das Gebaren der Familie Höß beharrlich leugnet. Die schiere Form des Films erhebt Einspruch dagegen. Glazer setzt Schwarzbilder und Rotblenden als inszenatorische Stolpersteine in den Fluss der Geschehnisse. Allmählich drängt sich noch ein weiterer Gegenfilm hinein: Aufnahmen, die wie ein Negativbild, eine Solarisation anmuten. Wenn der Vater seinen Kindern beim Zubettgehen aus Märchen vorliest, ist eine rätselhafte Gestalt zu sehen, die Obst versteckt an den Stätten der Zwangsarbeit. Es könnte eine Anwohnerin sein, die diese einzigen Gesten der Barmherzigkeit vollführt. Sie wirken wie ein Traum, der keiner Figur zugehört, sondern den nur der Film selbst träumen kann.

Meinung zum Thema

Kommentare

Im akuellen Hamburger Kinoprgramm (26.02.) wird nicht zwischen OmU und Synchronfassung unterschieden. Gibt es nur eine Sprachfassung? Wird in der dann deutsch gesprochen?

Vor ein paar Tagen habe ich den Film „Zone of Interest“ gesehen und ich wundere mich über die allseits guten Besprechungen. Der Film wirkt zusammengestückelt und nimmt den Betrachter nicht mit. Der Film setzt voraus, dass man weiß, was alles hinter den Mauern Auschwitzs passierte und da entsteht bei jedem ein andres Kopfkino. Es gibt verschiedene Andeutungen, doch es dreht sich fast nur um die Familie Höß. Warum soll man sich dieser Leute Leben ansehen? Man könnte das Grauen erahnen, das gleich nebenan besteht, wenn der Sound, der hochgelobt wird wirklich beunruhigend wäre. Es gibt nicht viel Eindeutiges zu hören, denn das Brummen, das angeblich das Betreiben der Krematorien belegen soll, ist eher indifferent und sorgt sogar schnell für Gewöhnung, jedoch nicht wirklich für Betroffenheit.
Dafür sind eher kleine Szenen subtil vielsagend: Rudolf Höß kommt nach Hause, zieht seine Stiefel aus. Das Dienstmädchen nimmt sie in die Waschküche und man meint zu sehen, wie Blut im Abfluss abläuft. Oder: Hedwig Höß findet im Pelzmantel einer Inhaftierten oder bereits Ermordeten einen Lippenstift. Sie trägt ihn auf und es ergibt sich daraus eine kurze und sehr intime Verbindung zwischen zwei Frauen so unterschiedlicher Leben bevor sie alles gründlich abwischt. Auch Bilder eines jungen Mädchens, das Äpfel zusammensucht und dann wieder verteilt an Stellen, zu denen wahrscheinlich Zwangsarbeiter kommen sind spannend und berührend. Warum werden diese so Farbverfremdet? Soll es eine Parallelwelt bleiben? Wäre es sonst nicht interessant? Ich habe den Eindruck, dass die Filmemacher experimentiert und verschiedene Teile davon zusammengefügt haben. Jedoch ohne einen Bogen zu spannen, der es den ZuschauerInnen ermöglicht haben könnte, eine Erkenntnis oder eine Erfahrung zu bekommen, die sie noch nicht aus Filmen über die NS Zeit kannten. Da ist das Reinigen der Originalräume der Gedenkstätte Auschwitz am Ende des Films berührender als die Interpretation des Lebens eines Massenmörders mit Familie. Oder geht es eben genau um das Bagatellisieren des Vernichtungswillens, der jederzeit wieder aufflammen kann?

Ich habe mir von dem Film irgendwie mehr erwartet, dass er mich wirklich erschüttert oder auch beschäftigt. Aber es war dann eher so dass ich mich während des Schauens immer wieder zwingen musste nicht komplett abzuschweifen und auszusteigen weil echt gar nichts passiert. Und auch dieses Grauen aufgrund der Verdrängung musste ich mich eher zwingen zu empfinden, Die tatsächliche Darstellung oder der so gelobte Sound haben dass bei mir nicht ausgelöst. Und das Ende war dann komplett verwirrend. Das man mit dem Jetzt endet in dem auch wieder alles ordentlich gereinigt wird hätte ich noch verstanden. Aber diese ganze Szene im Treppenhaus zu der dann noch einmal zurückgeschnitten wird hat mich komplett ratlos zurückgelassen. Was ich tatsächlich spannend fand war die „Märchensequenz“ mit dem Mädchen. Danach fand ich dann allerdings der Familie zuzuschauen noch uninteressanter und es wirklich auch gestückelt.

Man hätte mehr aus dem Thema machen können. Es ist wirklich schwierig,dem Film zu folgen. Es fühlt sich an als ob man fremden Leuten dabei zuschaut wie sie in der Nase poppeln. Es gibt keine richtige Handlung,Szenen wirken willkürlich aneinandergereiht.Es war quälend langweilig.`Schindlers Liste´war ein Meisterwerk, das einen betroffen zurückgelassen hat. Dieser Film, wenn man ihn als Film bezeichnen will, ist Müll. Hier wurde das Thema prämiert, womit sich dieser Film auseinandersetzt.Der Film als solcher ist nicht erwähnenswert. Mir tut es nicht um das Geld leid, mir tut es um den verloren gegangenen Abend leid. ich hätte sinnvolleres machen können.

Die drei Meinungsäußerer haben leider gar nichts verstanden.
Aber so ist das Leben.
Zum Glück hat die Oscar Jury die künstlerische Brillanz des Films erkannt.

Der Film ist phantastisch und zeigt uns beeindruckend die Banalität des Bösen. Wirklich schwer erträglich, weil er die Fähigkeit von uns Menschen, das Grauen zu tun und gleichzeitig zu verdrängen so selbstverständlich vor Augen hält! Die Familie Höss sind eben kein Monster, sondern uns allen in ihrer Biederkeit und Gier nach schönem Leben so nah! Da kann man sich nicht so wunderbar identifizieren wie in dem Film Schindlers List zB. Das gerade macht den Film genial! Müsste man im Schulunterricht integrieren. Tatsächlich ist das Grauen Alltag und keiner scheint wirklich glücklich zu sein! Das Grauen als Ton wirkt noch grausamer, als wenn man etwas sehen würde. Ich war zutiefst beeindruckt und frage mich, wie hätten wir uns denn in dieser Zeit verhalten????

…. ich bin sehr beeindruckt und fand es einfach unerträglich, im guten Sinne, alles Grauen ist vorhanden und die Alltäglichkeit von Menschen die davon profitieren laufen parallel. Als Film großartig und schwer auszuhalten.
Nur eine Frage ich - zu Beginn wird der Geburtstag von Rudolf Höß gefeiert, alles blüht. Aber ist Höß nicht im November geboren? Feierte er in einer wärmeren Jahreszeit? Ich verstehe es nicht.
Weiß jemand eine Antwort?

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt