Kritik zu Der Phönizische Meisterstreich

englisch © Universal Pictures

Wes Anderson macht Wes-Anderson-Sachen – mit seiner Geschichte um Benicio del Toro als zwielichtigen Geschäftsmann schlägt er auch ungewohnt makabre Töne an, die seinem Werk gut zu Gesicht stehen

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Symmetrische Bildanordnungen, Pastellfarben, Retro-Charme, skurrile Charaktere: Kaum ein Filmstil war in den letzten Jahren so klar erkennbar wie der von Wes Anderson. Das führte vor zwei Jahren sogar zu einem Social-Media-Hype, bei dem zahlreiche teils selbst gedrehte, teils mit KI erstellte Videos auf TikTok oder Instagram den markanten Look des Regisseurs imitierten. Zeitgleich mehrten sich aber auch Stimmen, die meinten, der Stil habe sich erschöpft. Zwei Jahre nach seinem letzten Kinofilm »Asteroid City« und den kurz danach veröffentlichten Roald-Dahl-Kurzfilmadaptionen kommt nun bereits der nächste Film heraus und Wes Anderson scheint nicht vorzuhaben, seine charakteristische Handschrift zu ändern, zeigt aber gleichwohl, dass er in der Lage ist, seinen Filmkosmos zu variieren.

Im Mittelpunkt von »Der phönizische Meisterstreich« steht der zwielichtige Unternehmer Zsa-zsa Korda (Benicio del Toro), der es um 1950 zu großem Vermögen gebracht, sich dabei aber auch so einige Feinde gemacht hat. Die zuletzt gehäuften Attacken auf sein Leben sind Anlass für ihn, Vorkehrungen für sein mögliches Ableben zu treffen und seine Tochter Liesel (Mia ­Threapleton) zur Alleinerbin zu machen. Die ist zunächst irritiert, hatte sie doch seit Jahren keinen Kontakt zu ihrem Vater und ist eigentlich gerade dabei, eine Nonne zu werden. Schließlich ringt sie sich dazu durch, ihren Vater bei der Durchführung seines großen Lebenswerks zu begleiten, der Errichtung von »Korda-Land«, einem riesigen Infrastrukturprojekt im Nahen Osten. Als Bedingung fordert Liesel, auf Sklavenarbeit zu verzichten und Hungersnot vor Ort zu bekämpfen. Nun gilt es, unterschiedlichste Investoren zu gewinnen und zugleich die Attacken von Terroristen und feindlich eingestellten Regierungen abzuwehren. 

Seinen auf symmetrischen Bildkompositionen beruhenden Stil hat Wes Anderson hier noch einmal auf die Spitze getrieben. Fast jede der komplett im Filmstudio Babelsberg entstandenen Szenen wirkt wie ein bewegliches Gemälde oder ein Fotoabzug. Unterstrichen wird dies dadurch, dass die Bildwechsel immer wieder durch diashowartiges Verschieben erfolgen, ein Stilmittel, das sich bis zu den horizontal laufenden Credits fortsetzt. Es entsteht der Eindruck eines visuellen Kunstwerks, das durchzogen ist von Verweisen und bei dem Anderson auch immer wieder Szenen und Settings seiner bisherigen Filme zitiert. Anders als bei Andersons letzten Kinofilmen fügen sich die zahlreichen Verweise und Metaebenen hier allerdings in einen klaren Handlungsstrang ein. Mit Zsa-zsa und Liesel sowie dem als Assistenten mitreisenden Björn (Michael Cera) behält der Film ein klares Zentrum. Während Björn etwas unbeholfen versucht, mit Liesel anzubandeln, entwickelt sich zwischen Zsa-zsa und Liesel langsam wieder eine Vater-Tochter-Beziehung, die allerdings unter anderem von der im Raum stehenden Frage überschattet wird, wer seinerzeit Liesels Mutter umgebracht hat – Zsa-zsa ist einer der Verdächtigen. 

Einmal mehr setzt Anderson auf ein Konzept, das sich mit dem des epischen Theaters von Bertolt Brecht vergleichen lässt: Nicht Illusion und emotionale Einfühlung stehen im Mittelpunkt, sondern distanzierte Beobachtung. Immer wieder werden Handlungen gerafft und Ereignisse von einzelnen Figuren oder einem übergeordneten Erzähler zusammengefasst. Die Darstellenden sind in den symmetrischen Bildern oft frontal ausgerichtet und sprechen direkt in die Kamera, Elemente wie die zwischenzeitliche Inszenierung von Zsa-zsas Nahtoderfahrungen, bei denen er sich unter anderem vor einer Art Jüngstem Gericht verantworten muss, verstärken den Verfremdungseffekt. 

Fast schon plakativ formuliert der Film die Frage nach moralischem Handeln im kapitalistischen Geschäftsgebaren als Grundmotiv. Manifestiert wird dies durch den Zusammenstoß mit der Religion, die als moralische Instanz jedoch brüchig erscheint. Die Figuren leben dabei von der satirischen Überzeichnung: Zsa-zsa, der auf einmal Gewissensbisse wegen seines Handelns bekommt, für den Handgranaten aber vorerst weiterhin zum Reiseinventar gehören; demgegenüber Liesel, die auf geradezu absurde Weise ihre katholischen Rituale zur Schau stellt und gleichzeitig eher Nonnen untypisch sofort ein Messer zur Verteidigung zur Hand hat und das Gebot des Alkoholverzichts recht schnell fallen lässt. Dass auch Björn nicht nur der Insekten liebende Freak ist, für den er sich ausgibt, versteht sich fast schon von selbst.

Man kann »Der phönizische Meisterstreich« als moralische Fabel lesen und das Handeln der Figuren entsprechend analysieren. Man kann aber auch einfach seinen Spaß an den skurrilen Charakteren haben, um die herum Anderson seinen typischen verspielten Humor aufbaut, zahlreiche Running Gags etabliert und ulkige Szenen mit dem wieder einmal bis in die Nebenrollen starbesetzten Ensemble inszeniert. Einmal mehr ist Anderson zudem ein Meister darin, Komik durch den Zusammenschnitt von Bildern zu erzeugen; besonders die Reaction-Shots auf den irritiert-verunsichert dreinblickenden Michael Cera sind eine Kunst für sich. 

In die absurden Szenerien mischt sich aber auch ein sehr bissiger, makabrer Humor und eine für Anderson ungewohnte, stilisierte Brutalität, der gerade Benicio del Toro das ein oder andere Mal zum Opfer fällt – wenn Anderson im Vorspann von oben herab filmt, wie der übel zugerichtete Korda in der Badewanne sitzend von seinen Bediensteten umsorgt wird, ist dies übrigens ein Beispiel dafür, dass er nicht nur das Stilmittel der Montage, sondern auch die Plansequenz beherrscht. Man kann nun drüber streiten, ob dieser etwas düstere Stil eine Reaktion auf die eher pessimistisch stimmende Weltlage ist, ebenso, ob der Film hierzu tatsächlich einen größeren Debattenbeitrag liefert; Bezüge zur heutigen Zeit lassen sich durchaus herstellen. Rein vom filmischen Werk her gesehen stehen diese neuen Töne dem Anderson-Kosmos aber auf jeden Fall ganz gut zu Gesicht und machen »Der phönizische Meisterstreich« zu einem kurzweiligen Vergnügen.

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