Nachruf: Wolfgang Richter

Wolfgang Richter

Wolfgang Richter

1. 2. 1947 – 4. 9. 2025

Dass in Dokumentarfilmen viel gesprochen wird, ist heutzutage etwas in Misskredit geraten. »Talkings heads« heißt es oft abwertend. Aber dennoch ist es eine große Kunst im Dokumentarfilm, nicht nur zuhören zu können, sondern auch die richtigen Fragen zu stellen. Wolfgang Richter konnte das, und er hat das Prinzip des sprechenden Kopfes in seinem letzten Film als Regisseur auf die Spitze getrieben: »Wenn Ärzte töten – Über Wahn und Ethik in der Medizin« (2009) ist mehr oder weniger ein einziges Gespräch mit dem amerikanischen Arzt und Psychiater Robert Jay Lifton, der das Buch »The Nazi Doctors« geschrieben hat, über deutsche Ärzte, die in Vernichtungslagern getötet haben, ein ungemein instruktiver und erhellender Film über die Verstrickungen der Medizin.

»Wenn Ärzte töten« entstand, wie fast alle Filme Richters, zusammen mit Hannes Karnick. 1972 gründeten sie ihre Firma docfilm, sie haben mehr als 50 Beiträge für das ZDF-Jugendmagazin »direkt!« gedreht und waren mit ihren Filmen auf den Festivals von Oberhausen, Mannheim und Leipzig präsent. Die siebziger Jahre waren eine Zeit der Polarisierung und auch der Arbeitskämpfe. In »Grüße aus Neckarsulm« dokumentierten Karnick/Richter 1975 den Kampf um die Arbeitsplätze im dortigen Audi/NSU-Werk. Aber die beiden waren nicht nur an filmischer Basisarbeit interessiert. 

Und in ...» sonst würde das Kino sterben – Drei junge deutsche Filmproduzenten« (1979) porträtierten sie hellhörig die damals noch unbekannten Bernd Eichinger, Regina Ziegler und Eberhard Junkersdorf. Richter blieb immer ein genauer Kenner des deutschen Films, und er dürfte zu den wenigen Mitgliedern der Deutschen Filmakademie gehört haben, die wirklich ALLE Filme gesehen haben, bevor er seine Wertungen für die Lolas abgab.

»Martin Niemöller: »Was würde Jesus dazu sagen?« – Eine Reise durch ein protestantisches Leben« (1985) wurde dann zu ihrem ersten großen (Kino-)Erfolg, auch ein Gesprächsfilm, über das widersprüchliche Leben des ehemaligen Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche von Hessen-Nassau. Der Film war eine Pioniertat: einer der ersten abendfüllenden Dokumentarfilme, für den die beiden eine Kinotour (damals überhaupt nicht selbstverständlich) organisiert hatten (und darüber in epd Film 3/88 berichteten). Ein Stück deutscher Geschichte, auch Erlebnisgeschichte, lieferten Karnick/Richter auch in »Radio Star – Die AFN-Story« (1995). 

Der überzeugte Darmstädter war auch medienpolitisch aktiv. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der AG DOK (des Bundesverbands Dokumentarfilm) und des Hessischen Filmbüros, das 1985 eine erste kulturelle Filmförderung in Hessen erkämpfen konnte.

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