Kritik zu Herbert

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Aus dem Leben eines ehemaligen Box-Champions: Der Leipziger Regisseur Thomas Stuber (»Teenage Angst«) erzählt in seinem zweiten Kinofilm von einem starken Außenseiter, der sich unvorbereitet mit der eigenen Schwäche auseinandersetzen muss. Am Drehbuch schrieb Clemens Meyer (»Als wir träumten«) mit

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Dieser Körper zieht erst mal alle Blicke auf sich. Seine großen Zeiten liegen zwar schon lange hinter Herbert. Doch der einstige »Stolz von Leipzig« hat immer noch eine Ausstrahlung, die andere schnell einschüchtern kann. Natürlich sind das alles nicht mehr nur Muskeln. Die Jahre und das Leben haben ihre Spuren hinterlassen, vor allem in Form von Tattoos. Sie erzählen Herberts wechselhafte Lebensgeschichte, sind Ausdruck seiner Träume und seines Scheiterns. Aber noch eindrucksvoller als die Tattoos sind sein Auftreten, die Stärke und die Kraft, die sich zunächst noch in jeder seiner Bewegungen spiegeln.

Wenn der frühere Box-Champion in einer der ersten Einstellungen von Thomas Stubers veristischem Männer-Weepie an einem Sandsack trainiert, sitzt jeder Schlag. Eine Klarheit und eine Genauigkeit liegen in diesen Schlägen, die erst einmal alles über den von Peter Kurth gespielten Herbert erzählen. Boxen, das ist für ihn weit mehr als nur ein Sport. Schönheit und Freiheit mögen in der Welt jenseits der Boxhalle für einen wie Herbert, der sich sein Geld als Eintreiber verdient und säumigen Zahlern Hände oder Nasen bricht, unerreichbar bleiben. Doch im Ring und im Training sind sie zum Greifen nah.

Ein tänzelnder Schritt, eine präzise Rechte oder ein perfekter Haken, mehr braucht es nicht, um alles andere auszulöschen. Eben diese Seite des Boxens, die etwas Erlösendes haben kann, versucht Herbert dem jungen Boxer Eddy (Edin Hasanovic) zu vermitteln. Doch auch dieser Traum von einem Vermächtnis wird für ihn nicht in Erfüllung gehen. Zunächst ist da nur ein Zittern seiner Hände, das Herbert noch kaschieren kann, dann kommen die Krämpfe, die ihn im wahrsten Sinne umhauen, und schließlich eines Abends der Zusammenbruch, auf den dann die Diagnose folgt: Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).

Die Krankheit raubt Herbert ausgerechnet das, worüber er sich immer definiert hat: seinen Körper. Nach und nach verliert er die Kontrolle über seine Muskeln. Aber es sind nicht nur die Bewegungen, die ihm schwerer und schwerer fallen. Die rechte Seite seines Mundes wird schließlich steif, und so kann er nur noch unter größten Anstrengungen sprechen. Peter Kurth porträtiert diesen allmählichen Verfall mit einer Intensität, die geradezu schmerzlich ist. Wie er mehr und mehr mit jedem Wort kämpft, wie sein massiger Körper immer schwächer wird und die Tattoos tiefer und tiefer in immer größer werdenden Hautfalten verschwinden, kann einem selbst den Atem rauben.

Und es ist nicht nur die Krankheit, die Herbert Schritt für Schritt zerstört. Er selbst hat das tragische Talent, alles, was ihm etwas bedeutet, kaputt zu machen. Während sein Körper außer Kontrolle gerät, versucht er, sein Leben, in dem er nie etwas festhalten konnte, noch einmal zu ordnen. Der Verlust der Kontrolle über Bewegungen und Sprache zieht in Thomas Stubers Krankheits- und Milieustudie, die der junge Leipziger Filmemacher gemeinsam mit dem Schriftsteller Clemens Meyer geschrieben hat, die Sehnsucht nach einer anderen Form von Kontrolle nach sich. Aber immer wenn sich Herbert den Menschen, die ihm etwas bedeuten oder denen er auch etwas bedeutet, nähern will, stößt er sie letztlich von sich.

Wie in seinen Romanen »Als wir träumten« und »Im Stein«, in denen Herbert durchaus auch einen Auftritt hätte haben können, gelingt es Meyer, das Milieu der Gestrandeten und der Aus-der-Bahn-Geworfenen, die gar nicht anders können, als sich selbst zu zerstören, mit einer überwältigenden Wahrhaftigkeit einzufangen. Und Thomas Stuber findet dafür zusammen mit seinem Kameramann Peter Matjasko Bilder, die illusionslos von Verfall und Zerstörung erzählen und doch eine ganz eigene Schönheit ausstrahlen.

Stuber und Matjasko sind meist ganz nah dran an Herbert und den anderen. Aber diese Nähe hat nichts Voyeuristisches. In ihren Bildern schwingt immer auch eine anrührende Würde mit. Selbst in Herberts schwärzesten Momenten spürt man noch den Schmerz eines Menschen, der eigentlich alles richtig machen will. So schlägt Stuber einen Bogen zu Rainer Werner Fassbinders Männermelodramen aus den 70er Jahren.

Meinung zum Thema

Kommentare

habe den film jetzt das erste mal gesehen, einfach nur spitze. ganz tolle leistung vom darsteller. bin begeistert.

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