Kritik zu Tausend Zeilen

© Warner Bros. Pictures

Michael Herbig inszeniert die Leinwandadaption des Relotius-Skandals als mokante Satire auf den schmierigen Medienbetrieb. Jonas Nay und Elyas M'Barek schlüpfen in die Rollen der gegensätzlichen Helden mit unterschiedlichem Wahrheitsanspruch

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Der Fall Claas Relotius beschäftigte zu Weihnachten 2018 die deutsche Öffentlichkeit. Irgendwas war dran an der Story, dass sie über die Branche, die sich hier so grandios blamiert hatte, hi­naus viel weitere Kreise zog. Bald diskutierten auch viele, die nie eine Zeile von Relotius gelesen hatten, darüber mit, wie es denn sein konnte, dass da ein Reporter jahrelang für die prestigeträchtigsten Medien Texte geschrieben hatte, die sich zum Teil als frei erfunden herausstellten. Die Geschichte dieses Betrügers war selbst so gut, dass sie fast wie erfunden klang: das junge Autoren-Talent, das von den mächtigen Herren des »Spiegel« hofiert und mit Preisen überschüttet wird, dadurch aber zunehmend die Verbindung zur Wirklichkeit verliert. Und wer weiß, vielleicht wäre es noch jahrelang so weitergegangen, wenn es da nicht eine Art Wadenbeißer gegeben hätte, der hartnäckig daran arbeitete, den Betrug aufzuklären.

Die Rolle des Wadenbeißers spielte im realen Leben Juan Moreno, der seine Aufklärungsarbeit und seine Sicht der Dinge schon bald in Buchform brachte, die Filmrechte noch vor Drucklegung verkaufte und sich nicht zuletzt deshalb stetig gegen den Vorwurf wehren musste, seinerseits die Geschichte »frisiert« zu haben. Die Verfilmung, bei der Michael Herbig die Regie übernahm, ersetzt denn auch die realen Namen durch fiktive: Jonas Nay spielt Lars Bogenius, der seine Reportage-Ideen kaum vortragen muss, da machen ihm die Redakteure schon verliebte Augen und öffnen das Spesenkonto. Seinen Gegenspieler verkörpert Elyas M'Barek als Juan Romero, einen tapfer am Laptop schwitzenden Familienvater, der für seine Geschichten im wahrsten Sinn des Wortes noch kämpfen muss.

Der Film setzt ein mit der launigen Schilderung der unterschiedlichen Arbeitsweisen der beiden Reporter. Auf der einen Seite schlürft da Bogenius einen kühlen Drink am Pool, während er eine wilde Story um texanische Milizen an der mexikanischen Grenze herbeifantasiert. Auf der anderen Seite sieht man Romero, wie er sich unter allerlei physischen Qualen zwischen den echten Grenzgängern um authentische Zitate bemüht. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein: In der Fantasie funktioniert die Dramaturgie wie am Schnürchen; in der Realität ist alles nicht ganz so einfach: Pro­tagonisten sind nicht immer gesprächsbereit, und der gute Storybogen ergibt sich auch nicht von allein. Trotzdem ist natürlich abzusehen, welcher Autor aus der Redaktion den Vorzug bekommt. Romero wird dazu verdonnert, Bogenius zuzuarbeiten. Und so entdeckt er eben bald, dass die Geschichten des verehrten Kollegen im wahren Sinne zu gut sind, um wahr zu sein.

Die Idee, die filmischen Mittel dazu zu nutzen, um nachzustellen, wie sich Fantasie und Realität in den Reportagen von Relotius/Bogenius verhalten, funktioniert erstaunlich gut. Vor allem auch weil Herbig sie nur sparsam, dafür umso einschlägiger einsetzt. In diesen wenigen Szenen gibt es ein Bemühen darum, zu verstehen, warum der von Relotius verfolgte »Story«-Ansatz so beliebt war in den Redaktionen und offenbar auch bei den Lesern: Relotius spannte die emotionalen Klischees des Kinos für seine Zwecke ein. Aber leider ist damit das Interesse des Films an den Gründen für den jahrelangen erfolgreichen Betrug auch schon erschöpft.

Im Übrigen begnügt sich der Film damit, den Ablauf des Skandals in jenem mokanten Ton zu schildern, den Helmut Dietl vor 30 Jahren in »Schtonk!« einsetzte. Vielleicht ist die Ähnlichkeit ja sogar beabsichtigt – wie damals der »Stern« wird heute der »Spiegel« als von schmierigen Herren beherrschtes Unternehmen geschildert, das es verdient hat, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. In Cameos erkennt man so einige Promis, die am »Spaß« teilhaben wollen und darin eine Eitelkeit erkennen lassen, die dem aufklärerischen Impetus des Films zuwiderläuft. In der Geschichte um Relotius aber wäre so viel mehr drin gewesen.

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