Kritik zu Sicario

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Auch in seinem dritten US-amerikanischen Film erforscht der Kanadier Denis Villeneuve (»Die Frau, die singt«, »Prisoners«) die Grenzlinien zwischen Gesetz und moralischer Korruption, in einem kompetent inszenierten Drogenkriegthriller, dessen rasanteste Actionsequenz originellerweise in einem Verkehrsstau spielt

Bewertung: 3
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 4)

Die nächste Generation von Kinogängern wird wahrscheinlich gar nicht mehr wissen, was eine Helikopteraufnahme ist. Selbstverständlich werden auch ihr majestätisch raumgreifende Kamerafahrten aus luftiger Höhe dargeboten werden. Aber deren Wirkung wird sich nicht mehr dem Geschick von Piloten verdanken, sondern der Fernsteuerung von Drohnen. Einen Unterschied wird man vielleicht nicht mehr bemerken. Das ist womöglich sogar schon in Sicario der Fall, in dem immer wieder bewegte Aufsichten auf Stadt- und Wüstenlandschaften zu sehen sind. Diese Totalen vermessen Territorien, Einflussbereiche und Machtansprüche im Grenzgebiet von Arizona und Mexiko.

Mitunter vermitteln sie ein Hochgefühl. Wenn etwa eine Kolonne schwarzer SUVs die Grenze zu Ciudad Juárez überquert, dann mutet das schon von oben wie eine auftrumpfende Geste an. Der Konvoi befördert eine Einsatzgruppe, die aus mehreren Bundesbehörden gebildet wurde: Drogenfahnder, Marshals, eine FBI-Agentin und einige undurchsichtige Beamte, die aller Wahrscheinlichkeit nach der CIA angehören.

In Mexiko sollen sie ein hochrangiges Mitglied eines Drogenkartells festnehmen, um durch ihn an seine Hintermänner zu kommen. Ihre Fahrzeuge haben sie wohlüberlegt ausgewählt, denn auch das Kartell demonstriert mit einem solchen Fuhrpark seine Macht. An einer Abzweigung bietet sich ihnen ein furchtbarer Anblick: An einer Brücke sind geköpfte oder sonstwie verstümmelte Leichen aufgehängt; als Drohgebärde, die in- und ausländische Gegner des Narco-Terrors abschrecken soll. Der Kanadier Denis Villeneuve greift tief in den Mythenfundus des US-Kinos, das sich das Nachbarland im Süden in der Regel als einen rechtsfreien Raum erschließt. Die Reise dorthin wird als Abstieg in die Verworfenheit inszeniert, als Eskapade in eine Hölle der Verfügbarkeit: von Drogen, Sex und billiger Arbeitskraft. Wenn Militär oder Polizei die Grenze von Norden her überschreiten, tun sie das im Hollywoodkino meist mit zivilisatorischem Mandat. Nur Richard Brooks' Revolutionswestern »Die gefürchteten Vier« war da aufgeklärter, dort lassen sich die Söldner wieder vom Feuer der Anarchie und des Idealismus anstecken.

Sich Letzteren zu erhalten, ist die harte Bewährungsprobe, vor der die junge FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) steht. Sie nimmt an der Mission aus Gerechtigkeitsempfinden teil – und um Vergeltung zu üben für einen Anschlag des Kartells, der viele ihrer Kameraden das Leben kostete. Der gefährlich nonchalante Befehlshaber Matt Graver (Josh Brolin) lässt sie über den wahren Zweck des Einsatzes im Unklaren. Auch sein Adjutant, der mysteriöse Söldner Alejandro (Benicio Del Toro), schweigt sich darüber aus. Sie frage, wie eine Uhr funktioniert, speist er sie gönnerhaft ab, dabei müsse sie nur wissen, wie spät es ist. Kate wird zum ahnungslosen Spielball in einem Geheimkrieg ohne Regeln und Gesetze.

Das Drehbuch meint es ohnehin nicht gut mit ihr. Die weibliche Präsenz dient dem Film als zweifaches Alibi. Kate ist eine fahrlässig naive Identifikationsfigur. Die puritanische Hingabe an die Arbeit hat ihr Privatleben verdorren lassen, was sie empfänglich für die Verführungskünste eines korrupten Beamten macht. Allerdings darf man dem Buch hoch anrechnen, dass es Kate durch ihren Nikotinkonsum nicht ernstlich diskreditiert. Die faszinierendste Figur in dieser unübersichtlichen moralischen Gemengelage gibt ohnehin Alejandro ab, dem Del Toro jene sublime Janusköpfigkeit verleiht, der man zugleich das Schlimmste und das Beste zutraut. Seine skrupellose Professionalität wird gebrochen durch das sporadische Aufblitzen fürsorglicher Menschlichkeit. Damit wird er zu einem mulmigen dramaturgischen Zentrum des Films, der einerseits davon erzählen will, was die Gewalt aus Opfern und Tätern macht, und andererseits sachte Vorbehalte anmeldet gegen eine US-Außenpolitik, in der die CIA die Kompetenz aller anderen Behörden aufsaugt. Auch uns zeigt er nur, wie spät es ist.

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