Kritik zu Radical: Eine Klasse für sich

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In Sundance wurde Christopher Zallas Film mit dem Publikumspreis ­ausgezeichnet. Er erzählt die wahre Geschichte eines unorthodoxen Lehrers mit einem Elan, der die Orthodoxie des Wohlfühlfilms respektiert

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Die erste Lektion steht nicht auf dem Lehrplan. Anfangs merkt man nicht einmal, dass sie überhaupt eine ist. Die sechste Klasse der José-Urbina-Lopez-Grundschule jedenfalls ist gründlich verwirrt. Ihr neuer Lehrer gebärdet sich nicht wie seine Vorgänger, die Wert legten auf Gehorsam und Disziplin. Der Neue jedoch lässt sie erst einmal Schiffbruch erleiden.

Er stellt alles von den Füßen auf den Kopf, angefangen mit den Tischen, die jetzt als Rettungsboote dienen. Es gibt aber zu viele Schüler für sie. Welches wird sich über Wasser halten und weshalb? Niemand hat einen blassen Schimmer; anscheinend auch der Lehrer nicht. Doch das Problem dringt auf eine Lösung und wird die Klasse einige Tage beschäftigen. Bald gewinnt es Konturen: Es geht um Auftrieb, das Zusammenspiel von Gewicht, Volumen und Dichte. Der exzentrische Sergio, den der Komödiant Eugenio Derbez als einen Springteufel der Wissbegier spielt, führt seine Klasse zu höchster Konzentration. Der Unterricht hört auf, Pflicht zu sein, und fängt an, ein Abenteuer des Entdeckens zu werden. Das Ganze geht so lebhaft zu, dass man fast vergisst, wie metaphorisch Regisseur Christopher Zalla es tatsächlich meint. Keiner der Schüler soll untergehen im Alltag der mexikanischen Grenzstadt Matamoros, wo Armut, Apathie und Drogenkartelle herrschen.

Sergio, der sich vor Beginn des Films an einem Nullpunkt (auch der Pädagogik) befand, ist ein Genie der Ermutigung. Er vermittelt Lehrstoff, aber vor allem die Freude am Lernen. Auf seine Fragen folgen zahllose, die sich die Schutzbefohlenen nun selbst stellen. Drei von ihnen rückt das Drehbuch mit redlicher Mechanik in den Mittelpunkt. Paloma, die Tochter eines Müllsammlers, erweist sich als Rechengenie und träumt davon, Raumfahrtingenieurin zu werden. Lupe entdeckt ihr Interesse an Philosophie und würde gern Lehrerin werden. Aber die Verantwortung für ihre Geschwister droht, sie von einem weiteren Schulbesuch abzuhalten. Nico schließlich macht auf allen Gebieten enorme Fortschritte – aber was nützen sie ihm, solange er sich nicht aus dem Klammergriff der Kriminalität befreit? Die drei sind einnehmend; ihre Worte und Blicke treffen ins Herz.

In ihrem Lehrer hat die Klasse einen Verbündeten, der von ihnen hinzulernen will. Seine Methoden stoßen derweil im Kollegium auf Ablehnung. Nur den naschhaften Schulleiter Chucho, dessen Leibesfülle Sergio eingangs in das Experiment einspannte, zieht er auf seine Seite. Chuchos anfängliche Warnung, nicht ins Wespennest zu stechen, muss man leider im Kopf behalten. Denn Sergio stiftet Unruhe. Sein Unterricht bereitet die Klasse aufs Leben vor: Er versetzt sie in die Lage, einen Anspruch auf die Zukunft zu erheben. Das jedoch war bisher in Matamoros nicht vorgesehen – die meisten Kinder besuchten nach Abschluss der sechsten Klasse keine weiterführende Schule mehr. Sergio will sich nicht damit abfinden, dass Bildung eine Sackgasse bleiben soll. Im furiosen Finale gilt es, die Klasse durch die Prüfung zu führen. Und danach darf ihre Wissbegier nicht erlöschen.

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