Kritik zu A Pure Place

© Koch Films

Dystopie in der Ägäis: Nikias ­Chryssos nimmt in seinem ­Genrefilm die ­politische Allegorie eines ­dandyhaften Anführers und seiner Sekte auf, die die Reinlichkeit anbetet 

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Nikias Chryssos' zweiter Spielfilm »A Pure Place« bietet seinem Publikum zahlreiche Angriffsflächen. Das beginnt schon bei der Geschichte, die er erzählt. Sie wirkt wie ein wüster Mix aus antiken griechischen Mythen und unverdautem Wagnerianismus. Und dann verpacken Chryssos und sein Co-Autor Lars Henning Jung das alles noch in das Porträt einer obskuren Sekte, die von einem charismatischen Möchtegern-Messias namens Fust angeführt wird.

Dieses krude Durcheinander der Anspielungen und Bezüge macht Chryssos' Film aber nicht nur angreifbar. Es ist zugleich selbst ein Angriff auf ein puristisches und glattes Kino, das sich gesellschaftlichen Konventionen unterordnet und nach dem kleinsten Konsens sucht. Dieser Haltung, die in der deutschen Filmszene nicht ungewöhnlich ist, tritt Chryssos mit seiner Vision eines schmutzigen, Tabus brechenden Genrekinos entgegen, dessen Wurzeln bei den italienischen Horror- und Exploitationfilmen der 1970er und frühen 80er Jahre liegen. Er überschreitet bewusst Grenzen des sogenannten guten Geschmacks und versteht dies auch als einen politischen Akt.

Fusts Sekte lebt, wie es sich für einen Reinheitskult gehört, der die antike Göttin Hygieia anbetet, vom Verkauf einer exklusiven Seife, die eine Gruppe entführter Straßenkinder herstellen muss. Die Kinder werden wie Sklaven in den Kellern eines paradiesischen Anwesens auf einer kleinen Insel gehalten. Sie vegetieren im Dreck, während Fust und seine Anhänger die Annehmlichkeiten der riesigen Villa und ihrer Gärten genießen. Aber die strikte Trennung der beiden Welten bekommt Risse, als der von Sam Louwyck gespielte Sektenführer, ein Dandy mit Gottkomplex, eines der Kinder in seinen Kult aufnimmt. Die Teenagerin Irina soll seine neue Hygieia werden. Daraufhin beginnen die Kindersklaven unter der Führung von Irinas jüngerem Bruder Paul zu rebellieren.

Wie Chryssos spielt auch sein Kameramann Yoshi Heimrath mit den Extremen. Die Szenen in der Villa sind in warmes Licht getaucht, die Szenen im Keller hüllt Heimrath dagegen in ein schmutziges Dunkel, das nicht nur Erinnerungen an die Romane von Charles Dickens weckt. In diesen bedrückenden Bildern, die einen den Schmutz ebenso wie die existenzielle Not der Kinder fast mit Händen greifen lassen, schwingt die dunkelste Phase der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert mit. Zunächst ist der Gedanke an die Konzentrationslager nur eine vage Ahnung, die sich im Finale aber auf grausige Weise konkretisiert.

Vordergründig erzählt »A Pure Place« zwar von einer Sekte, die sich dem Glauben an Erlösung im Elysion verschrieben hat. Aber letztlich geht es dem Filmemacher um mehr. Hinter der Genreoberfläche verbirgt sich eine politische Allegorie, die den Terror der Nationalsozialisten ebenso umschließt wie andere Regime und ideologische Strömungen, die ihre Vorstellungen von einer in ihren Augen reinen Welt mit allen Mitteln verwirklichen wollen. 

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