Kritik zu Mitra

© Camino Filmverleih

Nach den realen Erfahrungen seiner Mutter entwickelt der iranisch-niederländische Filmemacher Kaweh Modiri ein Drama über Widerstand, Exil und Rache

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Erschreckt greift Haleh (Jasmin Tabatabai) in einem dunklen, leeren Wohnraum nach dem Telefonhörer. Man sieht, dass das Klingeln sie beunruhigt. Eine etwas tonlose Stimme fragt sie nach ihrem Namen und sagt dann: »Ihre Tochter Mitra wurde soeben hingerichtet. Sie können ihre persönlichen Dinge an einem der Besuchstage abholen.« 

Wir befinden uns im Teheran des Jahres 1982, der Ajatollah Khomeini herrscht mit eiserner Hand und geht gnadenlos gegen oppositionelle Gruppen vor. Mitra ist Teil einer solchen Organisation, die es vorzieht, im Land zu bleiben und sich zu wehren. Mit ihrer Hinrichtung wird sie zur Märtyrerin. Ihre Mutter Haleh und zahlreiche andere Mitglieder jedoch gehen daraufhin ins Ausland. 37 Jahre später wird Haleh mit der Frau konfrontiert, die ihre Tochter damals verraten haben soll. Sie hat sie nie wirklich gesehen, kann sich aber, so meint sie, glasklar an die Stimme erinnern, die die verräterischen Worte sprach. Nun ist es an ihr, diese Frau zu identifizieren und der Organisation auszuliefern. Obwohl es nie ausgesprochen wird, ist ihr klar, dass sie damit das Schicksal dieser Frau, die allein für ihre zwölfjährige Tochter sorgen muss, besiegelt. 

Der iranisch-niederländische Filmemacher Kaweh Modiri wurde 1982, in dem Jahr, in dem seine Figur Mitra hingerichtet wird, geboren. Grundlage des Films ist sein eigenes Buch, in dem er die Lebensgeschichte seiner Mutter verarbeitet. Jasmin Tabatabai, selbst in Teheran geboren und aufgewachsen, kam im Alter von zwölf Jahren mit ihrem Vater aus denselben politischen Gründen nach Deutschland. Im Film spricht sie Farsi und niederländisch und altert dabei glaubwürdig um knapp 40 Jahre. 

Denn der Film springt zwischen der Gegenwart in den Niederlanden und der iranischen Vergangenheit in den 80er Jahren hin und her. Er zeigt, wie die Geschichte Irans sich entwickelte, wie aus der Republik eine religiös motivierte Diktatur wird und wie hilflos der Widerstand aus dem Exil ist, der sich einzig noch auf Racheaktionen konzentrieren kann. Er setzt dabei nicht auf eine wie auch immer ideologisch unterfütterte politische Analyse, sondern auf eine absichtsvoll naive Beobachtung und wird dadurch universell. 

Die Auseinandersetzung zwischen Haleh und der vermeintlichen Verräterin, die vehement alles leugnet, was sie mit Mitra in Verbindung bringen könnte, erinnert ein wenig an Ariel Dorfmans Stück »Der Tod und das Mädchen«, das Roman Polanski 1994 kongenial verfilmt hat. Doch während sich Dorfman ganz auf die Frage konzentriert, ob hier der Peiniger und Folterknecht zu Recht bedroht wird, oder ob es sich um eine Verwechslung handelt, geht Modiri distanzierter zu Werke. Ihn interessiert vor allem die Frage, was Rache bewirken kann, wem sie hilft und was sie nach sich zieht. Es geht ihm um die Strukturen des Widerstandes und der Macht von akzeptierten Herrschaftssystemen. Mit seiner ruhigen, fast abgeklärten Erzählweise reduziert er die Emotionalität der Geschichte und erhebt sie dadurch über das Einzelschicksal.  
 

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