Kritik zu Memory Hotel

© Neue Visionen Filmverleih

2024
Original-Titel: 
Memory Hotel
Filmstart in Deutschland: 
30.10.2025
L: 
101 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Die Geschichte eines Mädchens, das nach dem Krieg in einem Hotel unter sowjetischer Besatzung festsitzt, hat Heinrich Sabl in jahrelanger Arbeit als Puppentrickfilm animiert. Das Ergebnis kann sich mit den Animationshits dieses Jahres messen

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Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges kommt es zum Zusammentreffen mehrerer Menschen in einem verlassenen Hotel in der Mitte Deutschlands: die fünfjährige Sophie und ihre Eltern, in Erwartung der Überfahrt nach Amerika, der Nazioffizier Scharf, der Hitlerjunge Beckmann und der russische Offizier Wassili. Für Sophies Eltern endet die Begegnung tödlich, Sophie verliert ihr Gedächtnis. Von den Russen als Köchin rekrutiert, verbringt sie fortan Tage und Jahre in dem mehrstöckigen Labyrinth des Hotels mit der fließbandmäßigen Zubereitung des Essens für die Russen.

Zeit vergeht, die Figuren werden sichtbar älter – wie viel Zeit, wird Sophie klar, als sie in einem der unteren Stockwerke Beckmann aufsucht und die zahlreichen Striche an der Wand sieht: »Jeder Strich ein Tag«, erklärt er ihr. Dass sogar Jahrzehnte vergangen sind, erschließt sich dem Zuschauer, wenn die Titelseite einer Zeitung zu sehen ist, die 1969 vom ersten Menschen auf dem Mond berichtet, und später, wenn aus dem Off ein Sprechchor skandiert: »Wir sind ein Volk!«

»Memory Hotel« ist ein Animationsfilm mit Puppen, die im aufwendigen Stop-Motion-Verfahren per Einzelbildschaltung zum Leben erweckt werden. Anders als die Puppen in den Filmen von Tim Burton, Henry Selick oder aus der britischen Knetschmiede von Aardman Productions, die immer etwas Modernes hatten, wirken diese hier ausgesprochen altertümlich, erinnern ans Kasperletheater. Andererseits wird in einzelnen Szenen auch der spielerische Charakter betont – so wenn die russischen Soldaten als kleine Puppen, mit ihrem Panzer als Modellbau, vor dem großen Wassili am Esstisch sitzen oder wenn ein Film durch einen Projektor läuft, den Sophie mit einem Fahrradpedal antreibt. Die Faszination für handwerklich erschaffene Details ist hier ebenso zu spüren wie für die Mechanik der Bewegung. Der Film ist ganz offensichtlich das Werk eines Menschen, der dafür ein Gespür und eine Leidenschaft besitzt.

Ein Vierteljahrhundert hat Heinrich Sabl an »Memory Hotel« gearbeitet. Als Projekt wurde der Film bereits um die Jahrtausendwende beim Cartoon Movie Forum in Potsdam vorgestellt – mir ebenso wegen der ungewöhnlichen, auf erwachsenes Publikum zielenden Geschichte im Gedächtnis geblieben wie wegen seiner Technik. In der Produktionsdauer ist er nur vergleichbar mit Phil Tippetts Puppenanimation »Mad God«, vor dreißig Jahren begonnen, 2023 fertiggestellt.

Sabl, geboren 1961, studierte Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, später Animationsfilm in Kassel bei Paul Driessen. Der Abzug der russischen Armee machte ihm deutlich, dass da eine Parallelgesellschaft existiert hatte, schreibt er in einer Director's Note. Das Ende des Dritten Reiches bringt er mit dem Ende der DDR zusammen – als Plädoyer gegen das Vergessen. Mit Michael Hazanavicius' »Das kostbarste aller Güter«, dem Oscargewinner »Flow« und Adam Elliots »Memoiren einer Schnecke« sind in diesem Jahr gleich drei bemerkenswerte Animationsfilme für Erwachsene in den deutschen Kinos gelaufen. Dem sperrigeren »Memory Hotel« wäre eine ähnliche Aufmerksamkeit zu wünschen.

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