Kritik zu Meinen Hass bekommt ihr nicht

© Tobis Film

Nach dem autobiografischen Buch von Antoine Leiris schildert Kilian Riedhof die Auswirkungen des Massakers im Pariser Club »Bataclan« schmerzlich intensiv aus einer konsequent persönlichen Sicht

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Wer kurz nach den verheerenden Attentaten im November 2015 in Paris den Post von Antoine Leiris gelesen hat, auf Facebook, auf der Titelseite der französischen Tageszeitung »Le Monde« oder wenige Tage später weltweit in den Medien, wird tief ergriffen gewesen sein, von dem Schmerz dieses Mannes und seiner Verweigerung gegen den Hass, Hass auf jene Attentäter, die ihm im Club »Bataclan« das Liebste genommen haben: Hélène, seine Frau und die Mutter seines kleinen Sohnes Melvil. Es folgten eine Welle der Anteilnahme auf der ganzen Welt und ein Buch, das der Radiojournalist und Autor Leiris über seine Trauerbewältigung geschrieben hat: »Meinen Hass bekommt ihr nicht« lautet der Titel. Der deutsche Regisseur Kilian Riedhof (»Homevideo«, »Sein letztes Rennen«, »Gladbeck«) hat mit seinen Co-Drehbuchautoren Jan Braren, Marc Blöbaum und Stéphanie Kalfon daraus einen berührenden, atmosphärisch dichten und absolut sehenswerten Film gemacht.

Ein ganz normaler chaotischer Morgen: Hélène (Camélia Jordana) muss eilig zur Arbeit, Antoine (Pierre Deladonchamps) versucht, für den kleinen Melvil (Zoé Iorio) das Frühstück zuzubereiten. Ein wenig streiten die beiden noch, ob es mit dem Korsika­urlaub im Sommer klappen wird, dabei spritzt Bananenmilch durch die Küche, weil Antoine vergessen hat, den Deckel auf den Mixer zu machen. Er, der Intellektuelle, der sich seit Monaten mit seinem ersten Roman herumschlägt, scheint überfordert. Hélène nimmt das Chaos mit fröhlicher Gelassenheit. Am Abend ein ähnliches Bild: Hektisch macht sich Hélène für einen Konzertbesuch im »Bataclan« mit dem gemeinsamen Freund Bruno (Yannick Choirat) fertig, Antoine liest Melvil eine Geschichte vor und wartet dann voller liebevoller Sehnsucht auf Hélène. Am späten Abend erreichen ihn Nachrichten von Freunden, die ihn aufschrecken und den Fernseher anschalten lassen: Erst vor dem Stade de France, dann in zwei Ausgehvierteln von Paris, schließlich im Club »Bataclan« verüben islamistische Terroristen blutige Anschläge. Hélène ist eines der knapp 90 Todesopfer in dem Club. Antoine verfällt in eine grenzenlose Trauer, die stets in Hassgefühle umzuschlagen droht. 

Diese Verzweiflung transformiert Riedhof in fein komponierte Bilder, in Handlungen. Eine zentrale Rolle nimmt das liebevoll vollgestellte dunkle Pariser Appartement ein. Als würde Hélène jeden Augenblick zurückkehren, wartet die Zahnbürste im Badezimmer, die Lesebrille auf dem Nachttisch auf sie. Die Wohnung wird zu Antoines Kokon, in dem er sich mit Melvil verschanzt; auch wenn er von helfenden Familienmitgliedern umgeben ist, bleibt er seltsam allein. Selbst in der Stadt, wenn er Melvil im Kinderwagen zur Kita schiebt, an schwer bewaffneten Polizisten vorbei, läuft er wie in Trance. Nur die Dämonen seines Verlustes tauchen immer wieder auf, Licht und Schatten, Geräusche, Düfte, die in der Wohnung ein Eigenleben zu führen scheinen. Antoine, der sich selbst als Bobo, als bourgeois und bohémien, bezeichnet, kann seine Trauer nicht teilen. Fast beiläufig verfasst er den Post mit der Botschaft an »die toten Seelen«, die Terroristen: Sie würden seinen Hass nicht bekommen. 

Der César-prämierte Pierre Deladonchamps verleiht diesem Antoine Transparenz und zugleich eine vornehm-arrogante Verschlossenheit und evoziert damit nahezu unerträgliche Emotionen, von denen Riedhof sein Publikum immer wieder durch kleine Alltagsszenen zwischen Vater und Sohn erlöst. Herzzerreißend fragt der Junge nach seiner Mama und lässt sich dann doch trösten oder durch Albernheiten ablenken. Riedhof platziert diese Szenen so einfühlsam wie geschickt und kann sich dabei auf die grandios von der Kinder-Coachin Nouma Bordj betreute Zoé Iorio verlassen.

Riedhof erzählt von dem Trauma einer Nation, wenn nicht der ganzen westlichen Welt, aus der persönlichen Perspektive eines Vaters und Witwers und verweigert sich dabei jeglicher Sensationslust. Er setzt einzig auf die autobiografische Intimität seiner Geschichte. Das dem Kitsch gefährlich nahekommende Ende lässt sich da verschmerzen. Es gibt viele Arten, von Terrorismus zu erzählen, selten aber gelingt es so eindrücklich wie in »Meinen Hass bekommt ihr nicht«.

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