Kritik zu The Limehouse Golem

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Serienmörder, Musiktheater und Karl Marx – Wir sind im viktorianischen London! Juan Carlos Medina verfilmt Peter Ackroyds Roman über den »Genius loci« der englischen Hauptstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Bewertung: 3
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4 (Stimmen: 1)

Das viktorianische London verliert nicht an Faszination – es übt einen morbiden Reiz aus, dem sich die Popkultur offensichtlich nicht entziehen kann. Dass die zahlreichen in dieser Epoche angesiedelten Fiktionen längst ein eigenes, düsteres Paralleluniversum geschaffen haben, das historische Tatsachen weitgehend ignoriert, tut dem Spaß keinen Abbruch. Filme wie die Adaption von Alan Moores Graphic Novel »From Hell« tauchen mit diabolischem Vergnügen in die von Armut, reaktionärem Zeitgeist und Gin-getränkter Lüsternheit geprägte Kunstwelt ein. In dieser neo-viktorianischen Tradition steht auch »The Limehouse Golem«, der auf dem Roman des Autors Peter Ackroyd beruht.

Vor allem ein rastloser Geist, der wie kein anderer für die Abgründe dieser Zeit steht, spukt durch Regisseur Juan Carlos Medinas Adaption: Jack The Ripper. Denn mag uns der Film auch zu Anfang in großen Lettern versichern, dass er 1880, also acht Jahre vor den ersten Taten des Rippers einsetzt, spielt er doch in diversen Details auf den nie gefassten, berüchtigten Serienkiller an. »The Limehouse Golem« erzählt von einer ähnlich grausigen, jedoch fiktiven Mordserie, begangen von einem Täter, der sich nach dem mysteriösen Erdmonster der jüdischen Mythologie benannt hat: dem Golem. Was es mit dieser jüdischen Thematik genau auf sich hat – im Verlauf des Films folgen weitere Anspielungen – wird nicht gänzlich klar. Sie liefert Regisseur Medina jedoch einen Vorwand, niemand Geringeren als Karl Marx in die Reihe der Verdächtigen aufzunehmen. Auftritte von zeitgenössischen Berühmtheiten sind im neo-viktorianischen Genre durchaus gängig – mit seiner albernen Vision von Marx als möglichem Prostituiertenmörder tut sich »The Limehouse Golem« allerdings keinen Gefallen.

Generell kann sich das von Jane Goldman (u.a. »Kick Ass«) adaptierte Drehbuch nicht recht zwischen History Trash und stilvollem Krimi entscheiden. Da ist einerseits der von Bill Nighy gespielte Protagonist – der Scotland-Yard-Kommissar Kildare – der dem Film angenehme Gravitas verleiht; auf der anderen Seite aber steht ein überdrehter Blick in die Welt des viktorianischen »Music Theatre«: Dort ist die Komödiantin Lizzie (Olivia Cooke) zu Hause, deren Schicksal der Film in Rückblenden aufrollt und mit den Untaten des »Golems« verstrickt. Zusehend vernachlässigt das Skript dabei die narrativen Zusammenhänge, reduziert Dialoge auf reine Stichwortsammlungen für die nächste Szene, opfert jegliche Ambivalenz überkonstruierter Drastik. Ein Galgen in einer Theaterkulisse wird etwa im ersten Akt mit solch penetrantem Augenzwinkern eingeführt, dass man die Minuten bis zu seinem tödlichen Einsatz quasi an der Uhr herunterzählen kann. Trotz des misslungenen Drehbuchs fühlt man sich in der opulent ausgestatteten Düsternis des Films durchaus wohl; atmosphärisch dicht ist diese Londoner Moritat allemal, nur am erzählerischen Fingerspitzengefühl mangelt es ihr.

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