Kritik zu L.A. Crash

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Regiedebüt des Drehbuchautors Paul Haggis

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»In jeder anderen Stadt wird man beim Gehen angerempelt«, räsoniert am Anfang der schwarze Polizist Graham, »in L.A. berührt dich niemand. Die Leute vermissen die Berührung so sehr, dass sie Kollisionen verursachen, um etwas zu spüren.« So geht es in diesem Film also darum, wie sich die Wege von 12 Menschen über 36 Stunden hinweg in einer Stadt immer wieder kreuzen und verlieren. Los Angeles gleicht dabei einem riesigen Billardtisch, auf dem sich die Wege der Menschenkugeln nach jeder Kollision verändern, wobei das Tempo gebremst und beschleunigt wird und sich durch die mehr oder weniger gewalttätigen Begegnungen die Gefühle und Befindlichkeiten ändern. Die Art, wie der Drehbuchautor und Fernsehregisseur Paul Haggis in seinem Spielfilmdebüt zwischen kluger Konstruktion und gelassener Beiläufigkeit kleine lose Nuancen des Alltags und übergreifend politische Zusammenhänge zu einem Netz von Wegen und Knotenpunkten flicht, erinnert durchaus an Robert Altman und Lawrence Kasdan, an »Short Cuts« und »Grand Canyon«. Schon in seinem Drehbuch zu Clint Eastwoods »Million Dollar Baby« verstand er es, im Boxstudio eine kleine komplexe Welt von Boxern und Trainern, von resignierten Losern und aufstrebenden Siegern zu entfalten.

Los Angeles ist die legendäre Stadt der Engel, die in den Filmen der Regisseure, die ihr zwischen Liebes- und Kriegserklärung, zwischen Dokument und Fiktion huldigen, immer wieder zur Hölle wird. Schnell spürt man in »L.A. Crash« den hohen Grad an Wut und Aggression in dieser multikulturellen Gesellschaft, mit all ihren Vorurteilen und Ressentiments, mit halbherziger Toleranz und voreiliger Verurteilung, spontanen Gewaltausbrüchen und vorsätzlichen Verbrechen. Schnell kochen hier die Gefühle hoch, am Unfallort, wo sich eine chinesische Fahrerin über die Unfähigkeit des Unfallgegners echauffiert, im Waffenladen, in dem sich ein iranischer Kunde herablassend behandelt fühlt, im Bett, wenn einer Puertoricanerin achtlos eine mexikanische Abstammung unterstellt wird, bei einer routinemäßigen Polizeikontrolle, wenn ein Cop seine brodelnde Wut an einem harmlosen afroamerikanischen Paar abreagiert, auf der Straße, wo zwei Schwarze sich beleidigt fühlen, weil sich eine weiße Passantin bei ihrem Anblick unvermittelt enger an die Schulter ihres Begleiters drückt, nur um Sekunden später genau diesem Vorurteil gerecht zu werden. Matt Dillon, Don Cheadle, Sandra Bullock und Brendan Fraser, Ryan Philippe und Thandie Newton führen ein großartiges Ensemble von Schauspielern an, das dafür sorgt, dass die Vignetten nicht zum Klischee erstarren, sondern in vielen Nuancen aufschimmern und bei aller cleveren Konstruktion menschliche Wahrhaftigkeit bewahren.

Es gibt keine Guten und Bösen in diesem Film, sondern nur Menschen, die ihren Ansprüchen und Hoffnungen nicht gerecht werden, die gut sein wollen und Böses tun, oder umgekehrt. So gelingt es Paul Haggis, ganz ohne erhobenen Zeigefinger jeden Zuschauer mit seinem eigenen inneren Schweinehund zu konfrontieren, mit all den fatalen Nuancen des Vorurteils unter der falschen Oberfläche von Toleranz und all den sich verselbstständigenden Mechanismen von Hass und Gewalt, in einem System von Zufällen und Missverständnissen. Schnell wird da klar, dass ein weißer Staatsanwalt kurz vor der Neuwahl, dessen Auto auf offener Straße von zwei Schwarzen gestohlen wird, erheblich größere Probleme hat als nur den materiellen Verlust. Dabei ist »L.A. Crash« zugleich minutiöse Bestandsaufnahme der Wirklichkeit in L.A. und raffinierte Kinofiktion. Statt die Kollisionen dramatisch zur Explosion zu bringen, führt Haggis sie einem eher optimistisch versöhnlichen Ende zu, in dem die harsche Realität der Gewalt auf amerikanischen Straßen auf geradezu magische Weise mit dem Märchen vom unsichtbaren Schutzcape verschmilzt.

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