Kritik zu Glück/Bliss

© Salzgeber

Henrika Kull erzählt in ihrem zweiten Spielfilm nach »Jibril« von einer aufflammenden Liebe zwischen zwei sehr unterschiedlichen Prostituierten

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Was für ein herrlicher Moment: Sascha (Katharina Behrens) kommt aus dem Zimmer eines Freiers, fläzt sich auf ein Sofa im Aufenthaltsraum des Bordells neben Maria (Adam Hoya), zieht eine Zigarette aus der Schachtel, keine Worte. Weil es kein Feuerzeug gibt, »rauchen« die beiden eine Luftzigarette zusammen. Die Blicke knistern: einvernehmliches Wissen, berufliche Schwesternschaft und eine sich ankündigende Liebschaft.

Regisseurin Henrika Kull ist das deutsche Exempel dafür, dass noch lange nicht alle Geschichten über die Liebe erzählt sind. Die Absolventin der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf versteht sich darauf, ungewöhnliche Romanzen ehrlich und unverkitscht in Szene zu setzen. War es in ihrem Spielfilmdebüt »Jibril« die Liebe zwischen einer dreifachen Mutter und einem Gefängnisinsassen, lernen sich in ihrem zweiten Spielfilm »Glück/Bliss« zwei Prostituierte bei der Arbeit kennen und lieben.

Gegensätze ziehen sich an, auch in Kulls Film. Sascha verkörpert einen, wenn man so will, traditionellen Frauentypus: blond, die Weiblichkeit ausstellend. Sie ist 42, arbeitet seit Jahren in dem Berliner Hausbordell, der Sohn lebt mit seinem Vater in der brandenburgischen Provinz. Eine Frau mit Fluchtreflex, die auf Maria trifft, 25, der Körper voller Tattoos, Haare unter den Achseln, eine queere Erscheinung aus Italien, die ein Notizbuch mit Gedichten füllt. 

In der Figur von Adam Hoya, der heute als Transmann lebt, berühren sich Wahrheit und Fiktion. Kull ist durch seinen Auftritt in Pia Hallenthals furiosem Dokumentarfilmhybrid »Searching Eva« auf ihn aufmerksam geworden. Damals nannte sich der Schauspieler noch Eva Collé, eine schillernde, radikal offene Persönlichkeit, die alles aus dem Privatleben und verschiedene Identitäten als Feministin, Autorin, Model, Drogensüchtige und Sexworkerin im Internet teilt. 

Es passt zu Kulls Film, dass ein geschlechterfluider Schauspieler hier in die Rolle einer Frau schlüpft, quasi in ein Alter Ego. »Es gibt keine echten Namen«, sagt seine Sascha einmal: ein Wink auf sich selbst und auch auf das vielsagende Spiel mit den realen Namen und Arbeitsnamen der beiden, das Kull treibt. Hoyas drahtige, verschmitzt-ruhige Präsenz und die wunderbare Katharina Behrens tragen diesen Film, der Bilder für jene kurzen Momente findet, die wir als Glück bezeichnen: Berührungen, Blicke, das plötzliche Hineinfallen in einen aufregenden Menschen.

Was »Glück/Bliss« darüber hinaus auszeichnet, ist sein Selbstverständnis. Ohne klassischen Problemfilmduktus und ohne falsche Romantik zeigt Kull das Bordell in naturalistischen Bildern (Kamera, wie schon in »Jibril«: Carolina Steinbrecher) als das, was es eben für viele auch ist: ein Arbeitgeber. Und ebenso selbstverständlich, wie man es selten im deutschen Film sieht, werden hier (nackte) Körper und die Liebe zwischen zwei Frauen gezeigt.

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