Kritik zu Gefühlt Mitte Zwanzig

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Generationenkonflikt in neuem Licht: In Noah Baumbachs sanfter Komödie verkörpern Ben Stiller und Naomi Watts ein gesetztes Paar, das seinen Jungebliebenenstatus herausgefordert sieht durch ein Paar tatsächlich junger Menschen

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.6
3.6 (Stimmen: 5)

Die Scebnicks, ein New Yorker Paar in den Mittvierzigern, können sich eigentlich nicht beklagen. Während Cornelia (Naomi Watts) als Tochter eines berühmten Filmemachers selbst produziert, gibt Josh (Ben Stiller) an der Uni Seminare über Filmästhetik. Seit Cornelia zwei Fehlgeburten hatte und ihre Freunde ringsum mit ihrem Nachwuchs in einen anderen Lebensabschnitt eingebogen sind, läuft es bei den beiden aber nicht mehr rund. Das kinderlose Paar versucht, seine Ungebundenheit zu genießen. Bei Josh geht das Auskosten seiner kreativen Freiheit jedoch so weit, dass er seit acht Jahren mit der Fertigstellung seines letzten Dokumentarfilms hadert.

Das klingt nach Woody Allen, mit dem Noah Baumbach oft verglichen wird. Auch seine Filme werden von überspannten, therapieresistenten Stadtneurotikern bevölkert. So interviewt Josh beispielsweise für seinen Dokumentarfilm einen schrulligen Philosophen, dessen schachtelsatzartige Statements zwischen Genialität und Senilität changieren. Doch Baumbachs Charaktere sind meist psychologisch differenzierter. Seine Filme bilden eine autobiografisch angehauchte Metaerzählung über Scheidungskinder aus Intellektuellenfamilien, deren Eltern nicht Eltern sein wollen und deren Kinder deswegen nicht erwachsen werden. In Margot und die Hochzeit (2007) etwa glänzte Nicole Kidman als Lifestyle-Autorin, die ihren pubertierenden Sohn wie einen Gleichaltrigen behandelt. Und in Frances Ha avancierte Greta Gerwig als leicht tollpatschige Tänzerin zur Independent-Ikone.

Ben Stiller verkörperte bereits in Baumbachs Greenberg (2010) einen dünkelhaften Musiker, der vor Jahren einen Plattenvertrag platzen ließ, worauf sein Leben und das seiner Freunde und Bandmitglieder eine verhängnisvolle Wendung nahm. In Gefühlt Mitte Zwanzig spielt der Komiker nun wieder einen Kreativen, dem die Kreativität zum Fluch wird. Sein achtstündiges Filmprojekt, eine kopflastige Welterklärung, ist gefühlte siebeneinhalb Stunden zu lang. Diese Einschätzung ist umso bitterer, als sie von seinem Schwiegervater stammt, einem berühmten Dokumentarfilmer.

Ohne in den Klamaukgestus von Meine Braut, ihr Vater und ich abzugleiten, glänzt Stiller als zwanghafter Charakter, dessen Leben in einer mentalen Rückkopplung aus Perfektionismus und Versagensangst stecken geblieben ist. Neue Impulse bekommt der Prokrastinierer durch die Begegnung mit dem jungen Studenten Jamie. Während Josh mit digitalem Schnickschnack am Puls der Zeit zu bleiben versucht, lebt der Mittzwanziger in einer entschleunigten analogen Retrowelt mit Vinyl, Dual-Plattenspieler und manueller Schreibmaschine. Der Hipster, von Adam Driver mit einer Mischung aus liebenswürdiger Unbekümmertheit und schwer durchschaubarer Berechnung gespielt, bringt frischen Wind in das festgefahrene Leben des Mittvierzigers. Josh ahnt noch nicht, dass der junge Mann sehr berechnend ist. Dank einer gewöhnungsbedürftigen Auffassung von Kreativität und geistigem Eigentum – und mit Joshs blauäugiger Unterstützung – avanciert Jamie zum Shootingstar der Dokufilmer. Für Josh ein schmerzliches Erwachen. Das ihn aber zu sich selbst führt.

Mit diesem subtil erzählten Clash der Generationen gelingt Baumbach eine gefinkelte Stilübung. Augenzwinkernd dekliniert er Zeitgeistphänomene wie schamanische Kotzpartys mit der Indianerdroge Ayahuasca durch. Hat man schon mal jemanden in Brooklyn auf dem Fahrrad gesehen? Dem Mumblecore, einem Subgenre des Independentfilms, bei dem mangelndes Budget durch dialoglastige Seelenenthüllungen kompensiert wird, ist der Regisseur mit seinem vergleichsweise aufwendigen New-York-Tableau nicht mehr zuzurechnen. Seinem entspannt dahinplätschernden Erzählstil ohne dramatische Höhepunkte bleibt er aber treu. Nicht jeder wird das mögen – Ben-Stiller-Fans schon gar nicht. Dennoch ist Gefühlt Mitte Zwanzig gefühlt ziemlich genial.

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